• In der Regionalbibliothek Langenthal: Christine Brand schickt sich an, aus ihrem Roman «Blind» zu lesen. · Bild: Hans Mathys

27.03.2019
Langenthal

Christine Brand weckt Lust auf Krimi «Blind»

Die 45-jährige Schriftstellerin und Journalistin Christine Brand stellt in der Regionalbibliothek Langenthal ihren neuen, unter die Haut gehenden Krimi «Blind» vor. «Er ist in fünf Kontinenten entstanden», sagt die sympathische Globetrotterin und lässt das Publikum bei ihrer Lesung an der knisternden Spannung teilhaben.

Monika Hirsbrunner, Leiterin der Regionalbibliothek Langenthal, stellt bei der Begrüssung dem 65-köpfigen Publikum Christine Brand in vierminütiger Kurzfassung vor. Geboren ist die Autorin des Krimis «Blind» in Burgdorf, aufgewachsen in Oberburg. Ihre Ausbildung zur Lehrerin schloss sie am Seminar in Langenthal ab. Sie arbeitete bei verschiedenen Zeitungen – bei der «NZZ am Sonntag» von 2007 bis 2017 – und spezialisierte sich auf Justiz- und Gerichtsfälle. Zuvor war sie vier Jahre Reporterin bei der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens. Im Gerichtssaal und während des Berichtens über Polizeiarbeit erhielt sie Einblicke in die Welt der Justiz und der Kriminologie. 2008 erschien ihr erstes Buch «Schattentaten» (20 authentische Kriminalgeschichten). Es folgten zahlreiche fiktive Kurzgeschichten, ein Ratgeberbuch über das Auswandern und ein Buch voller Mondgeschichten. «Blind» ist nach «Todesstrich», «Das Geheimnis der Söhne», «Kalte Seelen» und «Stiller Hass» Christine Brands fünfter Kriminalroman.

Eine schreibende Globetrotterin
Die Bernerin ist in ein WG-Zimmer (Zweizimmerwohnung) in Zürich gezogen. Hier ist sie jedoch nur selten, denn meist zieht sie als schreibende Vagabundin um die Welt. Im Vorfeld der Lesung in Langenthal habe sie das Organisatorische mit Christine Brand per E-Mail abgeklärt und gestaunt, dass deren Mails jeweils aus Sansibar stammten, sagt Bibliotheksleiterin Monika Hirsbrunner. Der Vater Christine Brands war Bestatter. Tote waren deshalb für die am 11. April 1973 Geborene allgegenwärtig. Geschichten von dubiosen Todesfällen weckten ihr Interesse. Dazu gehörte auch der «Mord in Kehrsatz», wo am 1. August 1985 die Leiche der 23-jährigen Christine Zwahlen in der Tiefkühltruhe des mit ihrem 27-jährigen Mann bewohnten Einfamilienhauses gefunden wurde. Dieser wurde zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt, jedoch 1993 in einem Revisionsverfahren freigesprochen. Dieser Mord blieb ungeklärt.

Das Familiendrama von Lotzwil
Es ist aber nicht der «Mord in Kehr-satz», dem der Krimi «Blind» zugrunde liegt, sondern ein Familiendrama, das sich 1984 in Lotzwil ereignete. Bei diesem drehte ein Mann durch und erschoss die ganze Familie inklusive sich selbst. Nur der damals 9-jährige Sohn Silvan Spycher überlebte. Die Kugel schlug quer durch seinen Kopf, wodurch er das Augenlicht und den Geruchssinn verlor. «Es sind fast immer Situationen aus dem realen Leben, die ich für meine Krimis benutze», verrät Christine Brand, die aus dem blinden Silvan Spycher den blinden Nathaniel Brenner macht. Dieser benutzt auf seinem Handy die App «Be my eyes», mit dem Blinde via Videochat mit Sehenden verbunden werden. Der blinde Nathaniel möchte ein Hemd anziehen und will nun von der Frau, mit der er verbunden ist, erfahren, welches seiner diversen Hemden blau sei. Während des Gesprächs hört Nathaniel, den die tollpatschige Blindenhündin Alisha durchs Leben begleitet, einen Schrei. Danach bricht die Verbindung ab. Er ist überzeugt, dass der Frau, die sich Carole nannte, etwas Schlimmes zugestossen ist. Dies ist die Ausgangslage des Krimis «Blind».

Carole Stein gibt viele Rätsel auf
Es ist mucksmäuschenstill, als Christine Brand Passagen aus «Blind» vorliest und das gebannt lauschende Publikum erfährt, dass niemand der Geschichte des blinden Nathaniel Glauben schenkt – ausser der befreundeten Zürcher TV-Journalistin Milla Nova, die ihrerseits mit dem Berner Kantonspolizisten Sandro Bandini («er ist ein phantastischer Koch») vom Dezernat Leib und Leben liiert ist. Dies führt hin und wieder zu Reibereien, weil Milla bei ihren Ermittlungen auf die Hilfe ihres Freundes Sandro angewiesen ist, dieser jedoch mehrmals auf seine Schweigepflicht beharrt. Christine Brand: «Sie geraten sich deswegen in die Haare.» Sandro findet mit Hilfe des App-Betreibers heraus, dass Nathaniel bei dem durch einen Schrei beendeten Gespräch mit Carole Stein, Militärstrasse 73, Bern, verbunden war. Der Polizist geht hin. Christine Brand liest zu dieser Szene vor: «In derselben Sekunde, in der er auf den Klingelknopf drücken will, öffnet sich die Tür. Die Frau, die offensichtlich in Eile ist, zuckt erschrocken zusammen.» Carole Stein gibt zu, via App mit einem Blinden verbunden gewesen zu sein. Aufgeschrien habe sie wohl, weil sie während des Telefonierens gestolpert sei und ihre Einkäufe fallen gelassen habe. Polizist Sandro Bandini entschuldigt sich für die Störung. Mit den Worten «Ich bin froh, dass Ihnen nichts zugestossen ist» verabschiedet er sich von Carole Stein. «Wenn dem so wäre, wäre das Buch auf Seite 92 fertig», sagt die Autorin und steigert damit die Lust zum Lesen des 448-Seiten-Krimis. Dieser wirkt auch deshalb sehr authentisch, weil sie sich bei ihrer langjährigen Arbeit als Gerichtsreporterin und für die TV-Sendung «Rundschau» viel Wissen angeeignet hat und von ihrem immensen Netzwerk profitieren kann. Ihr seien ein Fahnder, ein pensionierter Rechtsmediziner und eine Frauenärztin wichtige Hilfen gewesen.

«Es wäre dumm, nein zu sagen»
Christine Brand unterbricht zuweilen ihre Lesung und erzählt Spannendes von sich und ihrer fast zweijährigen Zusammenarbeit mit dem grossen, renommierten deutschen Verlag Blanvalet. «Ich habe einen Verlag für dich», habe sich Agent Lars Schulze bei ihr gemeldet. «Es wäre dumm, nein zu sagen», habe er betont und ihr – um dies zu unterstreichen – das Buch «Wie man es vermasselt» von George Watsky geschenkt. Sie habe sich rasch entscheiden müssen. Weil sie das Vertrauen des Verlages spürte und viele Schriftsteller oft vergeblich auf ein solch grosszügiges Angebot inklusive Vorschuss warten, habe sie zugesagt. Inzwischen habe sie bereits den Fortsetzungsroman zu «Blind» geschrieben, der wohl in rund einem Jahr erscheinen werde.
Begonnen hat Christine Brand auch bereits mit dem dritten Band. Der Plot, das Handlungsgerüst, stehe – mit den gleichen Protagonisten. Sie will auch diesen dritten Band unterwegs – irgendwo auf der Welt – schreiben. Dies ab kommendem Juni. Vorher ist sie schweizweit unterwegs und wirbt für «Blind». Zum Schreiben gehe sie stets weg. «Es gibt mehr lustige Sexszenen», verrät die 45-jährige Autorin zur Fortsetzung von «Blind». Wow!
«Meine Mutter ist jeweils die Erstleserin meiner Manuskripte. Sie ist aber nicht ganz objektiv und findet alles super», sagt Christine Brand und fügt augenzwinkernd eine Aussage ihrer Mutter an: «Schreibe bitte nicht über eine schwangere Frau, denn da hast du keine Ahnung.»

«Was um Himmels Willen ist ein Milchfach?»
Die Krimi-Autorin erzählt, dass einige ihrer Ausdrücke beim deutschen Verlags-Lektorat zu einem Erklärungsbedarf geführt hätten. «Was ums Himmels Willen ist ein Milchfach?», sei eine Rückmeldung gewesen. Aus dem in den Briefkasten integrierten «Milchchäschtli» sei des besseren Verständnisses für den deutschen Sprachraum wegen ein «Paketfach» geworden – aus «Kartoffelstock» dann «Kartoffelbrei». Wieviel Christine Brand in der Figur der Journalistin Milla Nova stecke, wird die «Blind»-Autorin oft gefragt. Alle hätten das Gefühl, sie sei es. Das sei aber nicht explizit so: «Milla trinkt gerne Kaffee – ich nicht.»

Spannung hält bis zum Schluss
Wie unterschiedlich die Autorinnen und Autoren jeweils an ihre Arbeit gehen und nach welchen Methoden diese arbeiten würden, zeige jeweils
das Treffen beim Autorenverband deutschsprachiger Kriminalliteratur, dem sie als Mitglied angehöre, sagt Christine Brand. Sie jedenfalls scheint alles richtig zu machen. Bei ihrer Lesung in Langenthal erfreut Christine Brand, die sich auch der vielen Reisen wegen von allerlei Besitz getrennt hat und sich seither viel wohler fühlt, mit ihrem einfachen, lockeren, flüssigen, viel Spass bereitenden, erfrischenden Schreibstil. Die Autorin darf zuletzt viel Applaus und Lob einheimsen. An Spannung bis zuletzt fehlt es ihrem Krimi «Blind» keineswegs.
Die nächste Lesung vom 16. April 2019, 19.30 Uhr, findet nicht in der Regionalbibliothek Langenthal selber, sondern im gleichen Gebäude in der Aula im 1. Stock statt. Es ist eine Lesung der ironischen Art über die Enten von Langenthal – «nebst anderen höchst bemerkenswerten Ereignissen» – mit Erich Wimmer.
Der oberrösterreichische Autor und Violonist war 2015 für ein halbes Jahr als Lydia-Eymann-Stipendiat in Langenthal. Nun kehrt er für einen Abend hierher zurück – mit seinem neuen Kriminalroman «Original Linzer Tortur», von dem er massgebliche Teile in Langenthal schrieb. Wimmer liest zudem aus seinem nächsten Buch mit dem Arbeitstitel «Frau, Ei, Mann». Zwischendurch spielt er Violine und wird von Christiane Pott-Schlager am Flügel begleitet.

Von Hans Mathys