• Fünf Hände endlich vereint. Auf Wunsch von Moara ist sie nicht erkennbar. · Bild: zvg

  • Juni 2022: Bernhard Heiniger in São Lois (Brasilien am 9.Juni), wo er auf die entscheidende Sitzung auf dem Polizeiposten wartet. · Bild: zvg

  • Juni 2018: Bernhard Heiniger zündet eine Kerze für Moara an. Vier lange Jahre kämpfte er um die Rückkehr seiner nach Brasilien entführten Tochter. · Archivbild: Thomas Peter

29.07.2022
Oberaargau

Das Aufatmen: Moara ist zurück in der Schweiz

Die Erleichterung ist unermesslich: Über vier Jahre hat Bernhard Heiniger um seine Tochter Moara gekämpft, die von ihrer Mutter nach Brasilien entführt wurde (wir berichteten). Vor sechs Wochen kehrte er mit der Zwölfjährigen endlich nach Ursenbach zurück. Das Brasilianische Gericht hat zu Gunsten des Vaters entschieden. «Wir sind auf einem guten Weg», blickt Bernhard Heiniger auf die ersten Wochen zurück, er ist sich aber bewusst, dass noch ein hartes Stück Arbeit vor ihnen liegt.

Oberaargau · Thomas Peter im Gespräch mit Bernhard Heiniger, Vater der nach Brasilien entführten Moara.

Bernhard Heiniger, am 7. Juni sind Sie nach Brasilien geflogen, weil die dortigen Gerichte einen Entscheid über das Sorgerecht von Moara in Aussicht stellten. Mit welchen Gefühlen sind Sie ins Flugzeug gestiegen?
Bernhard Heiniger:
Da war von allem etwas dabei … Freude, dass nach vier Jahren endlich ein Entscheid da ist und ich meine Tochter sehen darf. Angst, dass etwas schief gehen könnte und ich von korrupten Behörden oder Bekannten der Mutter hintergangen werde. Angst, dass sich meine Tochter gegen mich stellt. Angst, dass ich dann dieser Aufgabe nicht gewachsen sein könnte. Dankbarkeit, dass meine Partnerin mir den Rücken stärkt und hinter mir steht.

Haben Sie da schon gewusst, dass das brasilianische Gericht Ihnen das Sorgerecht zusprechen wird? Wenn ja, wann und wie haben Sie davon erfahren? Wie wurde das Urteil verkündet? Was war Ihr erster Gedanke dabei?
Den Entscheid, dass das brasilianische Gericht dem Antrag des Haagerabkommens zur Rückführung von Moara zugestimmt hat, habe ich vom brasilianischen Gericht über meinen Anwalt erhalten. Darauf organisierte ich den Flug nach Brasilien.

Wann haben Sie Moara nach vier Jahren erstmals wieder gesehen? Vor, während oder nach der Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung?
Am 10. Juni um 11 Uhr in Barreirinhas (16 Uhr in der Schweiz). Das Urteil wurde während meines Fluges nach Brasilien noch abgeändert. Ich wurde nicht wie vereinbart von der Polizei am Flughafen abgeholt. Neu erhielt die Mutter vom Gericht die Verfügung, unsere Tochter innerhalb von 48 Stunden dem Gericht zu übergeben. Am Tag meiner Ankunft und am nächsten Tag wurden Sitzungen einberufen auf dem Polizeiposten, um den weiteren Verlauf zu planen. Mir wurde geraten, meinen Rückflug um drei Tage nach hinten zu verschieben. Als klar wurde, dass die Mutter die Tochter nicht zum Gericht bringen wird, wurde ein Einsatz geplant. Am 10. Juni um 5 Uhr morgens startete ich mit einem Konvoi mit zehn Personen (Polizei, Staatsangestellte, Sozialarbeiter und Psychologen) Richtung Barreirinhas, das 400 Kilometer südlich von Sao Lois in einem anderen Bundesstaat liegt. Die Mutter wurde zum Glück seit Tagen von zwei Detektiven observiert und die Polizei wusste genau, wo sie sind.

Was ging da in Ihrem Kopf und vor allem Ihrem Herzen ab, als Sie Moara wieder umarmen durften? Wie hat Moara reagiert?
Ich sah ein grosses, hübsches Mädchen und musste mir zuerst eingestehen, dass das jetzt endlich meine Moara ist. Da war es natürlich um mich geschehen und ich konnte meinen Freudentränen freien Lauf lassen. Für meine Tochter war diese Aktion doch eher sehr schwierig, wurde sie durch das Handeln der Mutter eben überhaupt nicht auf so etwas vorbereitet …

War die Mutter dabei? Wie haben Sie die Begegnung mit der Mutter erlebt? Wie hat sie auf das Urteil reagiert?
Die Mutter und ihr Lebenspartner waren ebenfalls da. Durch die Anwesenheit von so vielen Beteiligten blieb ihnen nichts anderes übrig, als mitzumachen. Moara wurde durch die Psychologen und Sozialarbeiter gut betreut und konnte mit mir im gleichen Auto zurück nach Sao Lois fahren . Die Mutter und ihr Lebenspartner folgten in einem anderen Auto.
Zurück in Sao Lois auf dem Gericht folgte dann eine fünfstündige Besprechung und Verhandlung. Mit dem Ausgang, dass Moara mit mir ins Hotel gehen soll, um dann in die Schweiz zurückzukehren. Zum Glück bemerkte der Richter, dass es besser ist, wenn Moara die Mutter nicht mehr sieht, bevor wir zurückreisen, da es meine Tochter zu stark negativ beeinflusst hätte.

Für die Rückreise mussten Sie sicher viele Formulare ausfüllen. Hatte Moara einen brasilianischen oder einen Schweizer Pass?
Moara hat einen brasilianischen und einen Schweizer Pass, den sie aber nicht dabei hatte. Jegliche Papiere für die Rückreise am 14. Juni wurden von den brasilianischen Behörden vorbereitet. Ich hatte sogar für die Mutter einen Flug zurück in die Schweiz gekauft (in einem anderen Flieger) inklusive Zugbillett nach Langenthal. Der Haftbefehl gegen sie wurde von der Staatsanwaltschaft zurückgezogen, eine Aufenthaltsbewilligung für sie wurde gutgeheissen und das Sozialamt wurde informiert, die für eine Unterkunft und Sozialleistungen sorgen würde. Dies alles, um ihr die Möglichkeit zu geben, zu ihrer Tochter in die Schweiz kommen zu können. Sie lehnte den Flug (mit Möglichkeit zum verschieben) ab und 1750 Franken von uns waren verloren …

Wie haben Sie die ersten Tage nach der Rückkehr verbracht? Was war das Erste, das Sie gemacht haben, als Sie in der Schweiz gelandet sind.
Wir wurden am Flughafen von meiner Partnerin und unseren gemeinsamen zwei Kindern abgeholt. Wir gingen zusammen essen und trafen dann in unserem Zuhause ein. Moara betrat ihr kaum verändertes Zimmer, das sie vor vier Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Sie durfte natürlich sofort ihre Mama und ihren «Tio» (Partner der Mutter) anrufen!

Für Moara ist die Trennung von Ihrer Mutter, mit der sie die letzten vier Jahre sehr intensiv verbracht hat, sicher nicht einfach. Was können Sie tun, um ihr die «Distanz»» zu erleichtern?
Nein, das ist nicht einfach und kein Kind sollte so etwas mitmachen müssen. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Moara die Möglichkeit hat, den Kontakt zur Mutter zu pflegen! Es ist ihre Mutter und sie wird es immer bleiben! Moara kann jeden Tag mit ihr per Whatsapp-Video kommunizieren, wenn sie es wünscht! Das wichtigste aber ist, Moara in der Liebe zu ihrer Mutter zu stützen, alles andere wäre kontraproduktiv! Moara muss und kann sich ihr eigenes Bild machen! Was meine Tochter jetzt braucht, ist eine starke Schulter, ein soziales Umfeld, Unterstützung in der Schule und vor allem die Möglichkeit haben, noch Kind sein zu dürfen!

Auch Ihr Familienleben wird nicht mehr so sein wie zuvor. Was ist im Moment die grösste Schwierigkeit, die Sie zu bewältigen haben?
Allen genau gleich gerecht zu werden!

Wie geht es weiter mit Moara in der Schweiz? Wird sie die «normale» Schule besuchen? Muss sie Deutsch wieder erlernen, da sie in Brasilien «nur» Portugiesisch gesprochen hat?
Moara ist ein sehr intelligentes Kind! Wir haben sie vor den Schulferien bereits stundenweise in die Schule begleitet. Nach den Ferien wird sie die gleiche Klasse besuchen dürfen, in der sie wäre. Mit dem Hintergedanken, dass sie den Anschluss zu ihren Kameradinnen und Kameraden von vorher nicht verliert. Wie es dann mit den Leistungen aussieht, werden wir sehen. Wir haben gemerkt, dass Moara fast alles versteht. Es macht ihr aber Mühe zu sprechen. Ich denke, da ist noch eine Blockade, da sie das Portugiesisch noch mit ihrer Heimat verbindet und dies nicht aufgeben möchte. Das ist verständlich, und wir müssen ihr da Zeit geben.

Zwölf ist kein leichtes Alter, die pubertäre Phase hat schon begonnen. Für Moara beginnt in der Schweiz zudem fast ein neues Leben. Was erklären Sie jenen, die finden, Sie hätten Moara besser in Brasilien gelassen, wo sie die letzten vier Jahre verbracht und sich an jene Lebensumstände gewöhnt hat?
Das stimmt, der Zeitpunkt dürfte nicht viel später gewesen sein …, aber ich glaube, dass es nicht zu spät ist. In gewissen Situationen ist sie immer noch das achtjährige Mädchen und in anderen Situationen schon sehr weit!
An alle, die denken, ich hätte Moara besser in Brasilien gelassen, kann ich Folgendes antworten: Ich hätte auch nicht auf einer Rückführung bestanden, wenn ich einen regelmässigen und ehrlichen Kontakt mit meiner Tochter aufbauen und pflegen hätte können. Ebenfalls wäre es hilfreich gewesen, gewisse Informationen über Schule und Bildung oder ihren Aufenthalt oder ihren Lebensinhalt erfahren zu dürfen. Dies wurde aber von der Mutter nicht gefördert. Ich konnte Moara zweieinhalb Jahre nicht erreichen. Was ich über Umwege erfuhr, war, dass sie in diesen vier Jahren drei verschiedene Schulen besuchte, im Jahr 2020 gar nie zur Schule ging und den Wohnort drei bis vier Mal wechselte. Moara ist zur Hälfte Brasilianerin, aber auch zur Hälfte Schweizerin. Werde ich meiner Tochter gerecht, wenn ich sie einfach dort lasse? Hat sie nicht auch das Recht auf beide Elternteile? Hat sie nicht auch das Recht, ihre Schweizer Wurzeln zu leben und die Kulturen, Strukturen und Lebensweise sowie das Zusammensein mit ihrer Familie und ihren zwei Halbgeschwistern ausleben zu dürfen? Die vier letzten Jahre sowie schon viele Jahre zuvor haben gezeigt, dass diese Sichtweise der Dinge leider nur vom Vater kommt!

Die Mutter hat sich Ende Mai überraschend an den «Unter-Emmentaler» gewandt mit dem Wunsch, ihre Seite der Geschichte zu erzählen. Das Interview hat sie dann aber im letzten Augenblick zurückgezogen. Was könnte der Grund und das Ziel gewesen sein, dass sich die Mutter an den «UE» gewandt hat?
Die Mutter tat sich schon immer schwer, die Realität zu akzeptieren, auch wenn die Fakten von Gerichten, Erziehungsbehörden und Psychologen bestätigt wurden. Das Interview, denke ich, hat sie dann zurückgezogen, als sie sah, dass nun auch ein Brasilianisches Gericht mit sehr eindrücklicher Arbeit und Recherchen zum gleichen Schluss gekommen ist.

Die Situation zwischen Ihnen und Ihrer Ex-Frau ist von starken, unüberbrückbaren Emotionen geprägt. Dennoch verbindet Sie die gemeinsame Tochter. Und Moara hat eine starke emotionale Bindung zu beiden. Wie gehen Sie mit der Diskrepanz um? Was für ein Angebot können Sie der Mutter machen, dass der Kontakt den Umständen entsprechend eine gewisse Normalität erreichen kann? Darf Moara ihre Mutter besuchen oder die Mutter Moara?
Inwiefern ein Besuchsrecht stattfinden wird, wird sich zeigen. Dafür müsste die Mutter zuerst in die Schweiz reisen.

Ist es für Sie auch denkbar, dass Moara sogar zu ihrer Mutter zurückkehrt? Was im Kopf und Herzen eines Teenagers vorgeht, ist nicht immer einfach, richtig zu deuten, geschweige denn, nachzuvollziehen. Das kann dazu führen, dass Moara Schwierigkeiten hat oder gezielt Schwierigkeiten haben will, sich wieder in der Schweiz zurechtzufinden. Und der Trennungsschmerz gegenüber ihrer Mutter könnte alles verschärfen.
So wie die letzten sechs Wochen vergangen sind, seit Moara hier ist, habe ich keine Bedenken, dass sich Moara nicht zurecht finden wird. Sie lacht, isst und schläft gut, trifft sich bereits mit Freundinnen, macht mit und wirkt von Tag zu Tag gelöster. Sie macht das super! Wir merken stark, dass ihr Urvertrauen zu uns noch sehr präsent ist! Als zusätzliche Unterstützung haben wir sie bei der Erziehungsberatung angemeldet und sie wird eine psychologische Therapie machen, um ihr Erlebtes auch extern ausdrücken zu dürfen. Sinnvoll wäre es sicher, wenn sie ihre Schulbildung hier fertig machen könnte. Danach kann sie selber entscheiden!

Ihr Kampf um Mora hat vier Jahre gedauert seit der Entführung, mit der Vorgeschichte sicher noch viel länger. Was spüren Sie nach dem langen Kampf?
Ganz klar bin ich in erster Linie erleichtert. Ich kann endlich wieder ein Teil im Leben meiner Tochter sein und umgekehrt. Aber die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. Es wird sicher nicht einfach, Moara in allen Lebenslagen zu unterstützen und gleichzeitig der Verantwortung gerecht zu werden, dafür zu sorgen, dass sie ihre Hälfte als Brasilianerin und den Kontakt zu ihrer Mutter ausreichend ausleben kann. Aber das Lachen und die Lebensfreude meiner Tochter gibt mir Mut und zeigt mir, dass die Entscheidung richtig war und wir auf einem guten Weg sind!