• Der «alte» und der «neue» Präsident der Milchgenossenschaft Affoltern-Ausserhof, Roland Ryser (links) und Hansruedi Müller. Zweites Bild: Vier «Generationen» Käsereigeschichte auf einen Blick: Links das «Chüejerstöckli» aus dem Jahr 1741; hinten ganz links der «Mättelibeck»; hier stand die erste Chäshütte der Milchgenossenschaft Affoltern-Ausserhof. Hinten rechts das einstige Käsereigebäude aus dem Jahr 1954 und rechts die Emmentaler Schaukäserei. Bilder: Liselotte Jost-Zürcher

26.07.2019
Emmental

Das «Cheesevillage» und seine Käsereien

Affoltern ist ein «Chäsi»-Dorf. Nicht «nur» dank der Emmentaler Schaukäserei AG, sondern weil die Tradition 175 Jahre zurückgeht. 1844 wurde der Grundstein für die Käseproduktion im Dorf geschaffen. Seither hat sie viel Geschichte geschrieben.

AFFOLTERN · «Die Käseproduktion ist seit ihrem Ursprung eng mit Affoltern verbunden», sagt Roland Ryser. Bis zur Hauptversammlung anfangs Juni präsidierte er die Milchgenossenschaft Affoltern-Ausserhof. 

Neben der inzwischen 30-jährigen Emmentaler Schaukäserei in Affoltern steht der alte «Chüejerstock» aus dem Jahr 1741. Einst stand er in Lützelflüh. Das gut erhaltene Gebäude wurde von einem dortigen Bauernhof weggezügelt und als Sehenswürdigkeit nach Affoltern gebracht. Noch vor Gotthelfs Zeit waren diese «Chüejerstöckli» allerdings Tradition. Die Chüjer (Sennen) kamen im Herbst von den Alpen herunter, stellten die Kühe in die Ställe der Bauern und lebten dann auf einem der Höfe, manchmal in einem separaten «Chüejerhüsli». Manchmal waren die Tiere Eigentum des Bauern, der sie über den Winter beherbergte und fütterte, manchmal aber auch nicht. Die Bauern ihrerseits hatten im Sommer kein Vieh, sondern produzierten das Heu für die Sennen. Im «Chüejerstock» wurde vom Chüejer der Käse produziert. 

Heute noch weist ein Weilernamen in der Gemeinde auf einen einstigen Senn hin. Schweikhof leitet sich vom Chüjer namens Schweiger ab. Der Hof wurde Schweighof, später Schweikhof genannt.

Früh schon wurde in Affoltern Käse gehandelt. Vor 1805 gab es im Weiler Eggerdingen die Käsehandelsfirma Sommer, die ihren Betrieb 1805 an das Strassenkreuz Huttwil-Sumiswald-Langenthal ins Häusernmoos verlegte. Ihre Stätten lagen dort, wo heute die Bauernbetriebe Rentsch und Hadorn stehen. Mit dem Bau der Jura-Bahn, 1860, zog die Firma schliesslich in die Oberaargauer Metropole nach Langenthal.

Wichtiger als die Schulen

Über die Milch im Haushalt hatten üblicherweise die Frauen das Regime, fertigten ihrerseits Butter, Nidle und kleine Käsli an. Das änderte sich mit der ersten Schweizerischen Talkäserei, die 1815 in Kiesen eröffnet wurde. Plötzlich waren Milch und Käseproduktion nicht mehr ausschliesslich Nahrungsgrundlage, sondern – Geld. In den Käsereien wurde Käse produziert, die Bauern als Genossenschafter teilten sich den Erlös, wobei sie auch den Käser zu entlöhnen hatten. 

Bald schon schossen die Käsereien in den ländlichen Gebieten wie Pilze aus dem Boden. Es wurde so akribisch gekäst und Geld verdient, dass die Angelegenheit schnell auch politisches Format annahm. Dies zeigte denn der Pfarrer und Dichter Jeremias Gotthelf, der 1830 nach Lützelflüh zog, eindrücklich auf. Affoltern war da nicht «besser». Das marode Schulhaus platzte aus den Nähten. «Im kleinen Häuschen hätten manchmal um 200 Kinder zur Schule gehen sollen. Weil sie schlichtweg keinen Platz hatten, blieb der Schulbesuch dann für viele aus», weiss Roland Ryser aus Überlieferungen.

Das prangerte Gotthelf kräftig an, zog von Dorf zu Dorf, um sich für den Bau von grösseren und zweckmässigeren Schulen einzusetzen. Auch in Affoltern. Aber allzuoft blieb er ungehört. 

Zehn gewirbige Bauern

Am 15. November 1844 gründeten zehn Bauern die Milchgenossenschaft Affoltern-Ausserhof. Sie steckten einiges in ihre geplante Käserei. Um sie zu finanzieren, musste jeder Bauer für jede seiner Kühe je 50 Franken bezahlen – eine riesige Stange Geld für jene Zeit. So kamen sie auf 2200 Franken. Das Land stellte ihnen der einstige «Löwen»-Wirt aus der Dynastie Grossenbacher zur Verfügung. Das Landstück befand sich in der «Niederhofschaft», sprich im Hühnerhof. Ebenso wichtig wie das Land war das Wasser. Dieses erhielten die gewirbigen Bauern von der Familie Grossenbacher im Ausserhof.

Am 15. Juni 1845 wurde die erste Milch in die Chäshütte geliefert. Diese stand am heutigen Standort des Mätteli-Becks. Übrigens: Bis das Geld für die dringend notwendige neue und grössere Schule gesprochen wurde, dauerte es nochmals 45 Jahre. 

Erst 1890 entstand das neue Schulhaus, in welchem nun alle Schulkinder Platz fanden. Die Käserei ihrerseits diente bis 1900. Dann wurde sie am selben Standort neu gebaut. 1992, im Zuge des Neubaus der grossen Schaukäserei, wurde das historische Gebäude abgerissen und an dieser Stelle die Bäckerei gebaut. 

Zwischenlösung

Unmittelbar daneben gab es ab 1954 für die Käseproduktion eine «Zwischenlösung». Schon längere Zeit war die alte Chäsi in marodem Zustand. Die Wirren des Zweiten Weltkriegs verhinderten jedoch vorerst einen Neubau. Erst 1954 konnte dieser realisiert werden. Dies nach einem erneuten «Kalberhandel» mit der «Löwen»-Familie, nunmehr der Familie Küenzli, die erneut Land zur Verfügung stellte. Die neue Käserei wurde fortan im Halbjahresbetrieb geführt; im Sommer wurde gekäst, im Winter führte man die Silo-Milch ab.

Das alte Gebäude nebenan dümpelte mehr oder weniger vor sich hin. Nach dem Bau der Schaukäserei wurde die daneben liegende Käserei geschlossen und das Gebäude fortan anders genutzt. Inzwischen war es in den Besitz der Emmentaler Schaukäserei AG übergegangen. Die alte, seit fast 40 Jahren stillgelegte «Chäshütte», nun ebenfalls im Besitz der Emmentaler Schaukäserei AG, wurde zurückgebaut. An diesem Standort wurde die neue Bäckerei realisiert.

Den Emmentaler bewerben

Die neue Schaukäserei beinhaltet zwar ebenfalls seit ihren Anfängen eine Emmentaler-Produktion, die Schau-Produktion. Die Rendite stand vorerst weniger im Vordergrund. Vielmehr war die Institution auf Tourismus und Marketing ausgerichtet. Allfällige Minus-Rechnungen wurden jeweils von der Käseunion ausgeglichen. Die Schweizerische Käseunion AG war eine Marketing- und Handelsorganisation, die von 1914 bis 1999 den Absatz der drei Schweizer Hartkäsesorten Greyerzer, Emmentaler und Sbrinz förderte. An der Generalversammlung im Januar 1999 wurde aufgrund des neuen Landwirtschaftsgesetzes die Auflösung der Gesellschaft beschlossen. Ihren Betrieb stellte die Käseunion Ende April 1999 ein. 

Eine andere Rechnung

Bald einmal kam die Emmentaler Schaukäserei AG an einen Punkt, wo die Rechnung allein mit dem Tourismus nicht mehr aufging. Auch der Käsereibetrieb musste wirtschaftlich tragfähiger werden. Dies hatte diverse Veränderungen zur Folge. 

Aber nicht nur in der Schaukäserei fanden Umstrukturierungen statt. Nach der Auflösung der Käseunion gründeten Milchproduzenten, Milchverarbeiter und die Handelsfirmen die Sortenorganisation Emmentaler Switzerland, um sich im nunmehr freien Markt zu positionieren und zu behaupten. Die Spitzenqualität der Produkte hat dabei oberste Priorität. 

«Wenn das Käsesegment AOP gut läuft, hat es eine Zukunft», so der neue Präsident der Milchgenossenschaft Affoltern-Ausserhof, Hansruedi Müller, im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». «Wichtig ist, dass auch unsere Milchwirtschaftsbetriebe Sorge tragen und mithelfen, eine hervorragende Qualität Käse zu produzieren, die sich gut vermarkten lässt.» 

Zwölf Lieferanten aus Affoltern und aus umliegenden Ortschaften bringen ihre Milch zu den zwei Sammelstellen der Emmentaler Schaukäserei AG. Sieben von ihnen, die Silo-Betriebe führen, geben sie an der separaten Sammelstelle für andere Organisationen ab. Die silofreie Milch geht in die hiesige Emmentaler Produktion. Insgesamt werden hier pro Jahr 3,5 Millionen Kilogramm Milch von 23 Lieferanten (18 mit Hofabfuhr) verkäst.

Zurück zum Anfang

«Heute sind wir wieder gleich weit wie am Anfang. Wir haben keine eigene Käserei, verarbeitet aber wird die Milch gleichwohl im Dorf», so Roland Ryser. Im 175. Jahr der Käsetraditionen in Affoltern und nach zehn Jahren als Präsident hat er das Amt im Rahmen der HV an Hansruedi Müller übergeben, der seinerseits seit 2015 im Vorstand mitwirkt. 

Roland Ryser und der Vizepräsident Hansueli Friedli sind aus dem Vorstand ausgetreten. Neu in den Vorstand wurden Andres Rothenbühler und Andres Jordi gewählt. Wiedergewählt wurden der Sekretär Beat Marti und der Kassier Heinz Kämpfer. 

Nebst den Geschäften rund um den Käsereibetrieb schaut die Genossenschaft voraus auf die traditionelle «Abteilig» am 15. November, dem 175. Jahrestag der Genossenschaftsgründung. Dieser alte Brauch der «Abteilig» – in jüngster Zeit des gemeinsamen Essens – wechselt sich traditionsgemäss mit der alle zwei Jahre stattfindenden Genossenschaftsreise.

Von Liselotte Jost-Zürcher