• Christian Minder und Jana Zulliger in den Rollen des Ueli und des Vreneli. · Bild: Jörg Wittwer

15.01.2020
Oberaargau

Das Dorf glüht im «Linksmähder»-Fieber

Mit der Vorpremiere für die geschlossene Gesellschaft der Clientis Bank Oberaargau am Freitag und der Premiere am Samstag ist der «Linksmähder 2020» in Madiswil eindrücklich eingeläutet worden. Die rund 40 Darstellenden unter Regisseur Renato Cavoli haben auf der Bühne in der Linksmähderhalle die tragische Madiswiler Sage vor vollem Haus gespielt. Es folgen 19 Vorstellungen, davon vier Zusatzvorstellungen. Die Dernière findet am Samstag, 7. März, statt.

Madiswil · «Ueli, mi Ueli …» Vrenelis verzweifelter Aufschrei sind die letzten Worte in der Linksmähder-Aufführung.
Kaum einer im Saal kennt nicht seit langem den traurigen Ausgang des Stücks. Und jedem war denn auch bewusst: Es gibt kein Happy-End. Dennoch ist es nach Vorstellungsende totenstill in der vollbesetzten Linksmähder-Halle. Dann setzt tosender Applaus ein, der in anhaltenden Standing
Ovations gipfelt.

Geschichte und Sage zugleich
Es ist eine typische Eigenart der «Links-mähder»-Aufführungen: Man kennt die Geschichte. Dennoch bleibt sie immer wieder spannend bis zuletzt, berührt, bewegt, macht nachdenklich. Immerhin ist es die Madiswiler Geschichte, die ganz eigene Sage des Dorfes. Niemand weiss, wie sie sich haargenau zugetragen hat. Aber jeder weiss, dass die Nöte der Ahnen real waren, dass Uelis und Vrenelis Schicksal Teil der Geschichte Madiswils oder zumindest daraus gewachsen ist.
Ein rasanter Bevölkerungsanstieg des Orts und der Gegend überhaupt, Verknappung des bebaubaren Fruchtlands, hohe Steuern, Druck auf den Bauernstand und Armut bringen Mitte des 17. Jahrhunderts Unruhe und Widerstand ins Volk, machen die Regierung wachsam und restriktiv.
In den Linksmähder-Szenen spiegelt sich die historische Wirklichkeit. So lassen sich der Landvogt Willading oder der verräterische Dorfpfarrer Cornelius Henzi in den Schriften nachweisen.
In der Aufführung nach der aktuellen Fassung (der dritten in der gesamten rund 135-jährigen Linksmähder-Geschichte) von Heinrich Künzi verkörpert Henzi denn auch die Haltung der meisten Landpfarrer im 17. Jahrhundert: Mit dem Rat zur unmöglich erfüllbaren und in Uelis Fall tödlichen Prüfung, die dem jungen Knecht auferlegt worden war, erweist sich der Pfarrer als treuer Diener der strengen, zuweilen grausamen Obrigkeit. Seine Aufgabe sieht er in erster Linie darin, die Untertanen durch Gottesfurcht und Unterordnung zu demütigen und zu ängstigen.

Historisch nachweisbarer Kampf
Ueli, der gescheiterte Held im Bühnenstück, ist in den Quellen nicht nachzuweisen. Er steht jedoch für den historisch nachweisbaren Kampf der damaligen Bauern für deren Unabhängigkeit und freies Wirtschaften.
Die diesjährigen Aufführungen leben vom Herzblut der Darstellenden und ebenso des Regisseurs zusammen mit seinen Assistentinnen Madeleine Rickenbacher-Mathys und Karin Zulliger. Die Darstellungen bilden gesamthaft eine wunderbare Interpretation. Denn obwohl es kein Happy End gibt, darf während der Aufführung hie und da von Herzen gelacht werden.

Die Rollen leben
Die Spielerinnen und Spieler haben ihre Rollen vor- und rückwärts gelernt, sich aber auch mit vollem Herzen hineingelebt. Die Freude am Spielen und gleichzeitig der Respekt vor dem dramatischen Hintergrund sind offensichtlich, übertragen sich auf das Publikum, reissen es mit in jene harte Zeit.

Rechte vertraglich geregelt
Die Regel um die «Linksmähder-Jahre» in Madiswil ist bekannt: Die Rechte für das Stück nach dem Verfasser Heinrich Künzi liegen immer noch in den Händen der Künzi-Familien. Zwischen ihnen und der Gemeinde Madiswil wurde 1946 vertraglich festgehalten, dass das Stück alle zehn Jahre und nur in Madiswil aufgeführt werden muss. Dies ist die Bedingung, damit die Aufführungsrechte im Dorf bleiben. Ebenso muss die Darstellung in den Händen der richtigen Trägerschaft liegen, nämlich der Dorfvereine Linksmähderchor, Musikgesellschaft, Damenturnverein und Turnverein. Die Künzi-Fassung wird dieses Jahr zum neunten Mal ausgetragen.

Volltreffer in der Rollenverteilung
Die «Linksmähder»-Jahre sind stets besondere Ereignisse, haben im Dorf jahrzehntelange Tradition. Sie bringen die Bevölkerung immer besonders nahe zusammen. Ein grosser Aufwand aber bleibt es für alle Beteiligten.
Trotzdem haben sich auch dieses Jahr wieder auf Anhieb genügend «Linksmähderinnen und Linksmähder» für die Darstellung und als Heinzelmännchen hinter der Bühne gefunden. Insbesondere die Zahl der erforderlichen Schauspielerinnen und -spieler erwies sich zahlenmässig als Punktelandung, die Rollenverteilung schlussendlich als Volltreffer in jeder Hinsicht. Besonders spannend ist jeweils, wer den Ueli (verkörpert durch Christian Minder) und das Vreneli (Jana Zulliger) spielen darf, «denn diese beiden müssen einfach zusammenpassen», sagte Regisseur Renato Cavoli schon vor Monaten im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». Christian Minder und Jana Zulliger passen eindeutig in ihre Rollen, genauso hervorragend wie nebst allen anderen der durchtriebene Bänz (Markus Sigrist), der eher weltliche als göttliche Pfarrer Henzi (Stefan Strahm), Landvogt Willading, der entgegen vielen damaligen grausamen Vögten zuweilen doch noch menschliche Freude zeigt (Markus Roth) und natürlich der aufrührerische Viehhändler Lienhart Steinmann (Karl Schenk).
Schon Jahre vor der Austragung wird jeweils das OK gebildet. Das aktuelle OK wird von Christine Brügger präsidiert und hat unter ihrer umsichtigen Hand keine Mühe gescheut, um auch den «Linksmähder 2020» zum würdigen, weitsichtig durchdachten und perfekt inszenierten Theaterstück werden zu lassen. Schon kurz nach Beginn des Vorverkaufs waren die Vorstellungen nahezu ausgebucht. Kurzfristig entschied das OK, diese um vier zusätzliche zu erweitern (der «Unter-Emmentaler» berichtete). Es sind noch Tickets erhältlich.

Gut zu wissen
Weitere Aufführungsdaten (Abendvorstellungen 20 Uhr, Türöffnung 18.30 Uhr; Sonntagvorstellungen 13.30 Uhr, Türöffnung 12.30 Uhr): Mittwoch, 15. Januar/22. Januar/29. Januar/5. Februar/12. Februar, 4. März; Freitag, 24. Januar/31. Januar/7. Februar/21. Februar, 6.März; Samstag: 18. Januar/1. Februar/15. Februar, 22. Februar, 29. Februar. Dernière: Samstag, 7. März. Sonntagvorstellungen: 26. Januar und 9. Februar. Bei jeder Vorstellung Festwirtschaft. Online-Tickets: www.linksmaehdertheater.ch.; Ticketvorverkauf: CreAndrea, Unterdorfstrasse 10, Madiswil (Donnerstags 14 bis 17 Uhr, Samstags 9 bis 12 Uhr), Tel. 079 137 78 80.

Von Liselotte Jost-Zürcher