• Heimleiter Kurt Früh freut sich, dass die Terrasse des Wohnheims Öpfuböimli noch dieses Jahr dank Spendengeldern saniert werden kann. · Bild: Marion Heiniger

  • 1999 wurde das über 200 Jahre alte Gebäude vom Schulhaus zum Wohnheim umgebaut. · Bild: Marion Heiniger

14.05.2021
Huttwil

«Das Wasser stand uns bis zum Hals»

Beim Wohnheim Öpfuböimli in Nyffel soll ein Aussenlift gebaut und die Terrasse saniert werden. Dringend notwendige Arbeiten, welche lange nicht realisiert werden konnten. Obwohl das Wohnheim seit zwei Jahren höhere kantonale Beitragszahlungen erhält, ist es nach wie vor bei Renovationen und Sanierungen auf Spendengelder angewiesen. Heimleiter Kurt Früh blickt auf einen jahrelangen und zermürbenden Kampf mit dem Kanton Bern um die Erhöhung des Betriebsbeitrages zurück und freut sich, dass es nun im Öpfuböimli vorwärts und aufwärts geht.

Huttwil · Eine ausgeglichene Rechnung, ohne gravierende Lücken mit Spendengeldern stopfen zu müssen, das war beim Wohnheim Öpfuböimli in Nyffel Huttwil lange Zeit keine Selbstverständlichkeit. Jahr für Jahr fehlten dem Wohnheim 100 000 Franken. Seit 2012 schickte Kurt Früh, der im Herbst 2011 die Leitung des Öpfuböimlis übernahm, regelmässig einen Brief als Spendenaufruf an die Bevölkerung von Huttwil und Umgebung. «Das Wasser steht uns bis zum Hals», schrieb er beispielsweise 2013, ein Jahr später: «Dürfen wir nochmals auf sie zählen?». 2015 lautete die Überschrift des unterdessen zur Regel gewordenen Spendenaufrufs: «Wir benötigen ihre Unterstützung!». Er hoffte jedes Jahr, dass es nun der letzte Spendenbrief sei, doch leider kam es immer wieder anders.

Jahrelanger Kampf
Genau so lange, wie Kurt Früh jedes Jahr einen neuen Spendenbrief verfasste, versuchte er zusammen mit dem Stiftungsrat beim Kanton Bern eine Erhöhung des Betriebsbeitrages zu erlangen. Mit hieb- und stichfesten Begründungen. Früh argumentierte mit vergleichbaren Institutionen, welche wesentlich mehr Kantonsbeiträge erhalten würden. Zudem konnte er einen deutlich spürbaren und belegbaren Mehraufwand im Alltag aufgrund grösserem Betreuungsaufwand der Bewohner beweisen, welcher beim Pflegepersonal zu massiven Überstunden führte. 2011 waren es, zum Zeitpunkt des Heimleiterwechsels, gesamthaft über 1000 Stunden. Es sei ein Risiko für gravierende Qualitätseinbussen, schrieb Früh in seinem Antrag für Betreuungszuschläge.
Die Antwort des Kantons liess darauf schliessen, dass nicht alle Kriterien erfüllt wurden: Antrag abgelehnt! Die Begründung: Die im Budget des Kantons Bern eingestellten Mittel für die Angebote zugunsten erwachsener Menschen mit einer Behinderung erlauben lediglich zwingend erforderliche Zuschläge. Und: die Prüfung des Antrages erfolgte konsequent auf der Basis der genannten Kriterien. Zudem wollte der Kanton keine Beitragserhöhung vornehmen, weil eine geplante Systemumstellung von der Objekt- zur Subjektfinanzierung kurz bevorstand. Das, obwohl die Versorgung der Behinderten eigentlich Aufgabe des Staates wäre. «Mit dieser fixen Argumentation konnte der Kanton unsere Gesuche immer «sauber» ablehnen. Sieben Jahre lang erhielten wir ähnliche Antworten mit stets denselben Argumentationen», ärgert sich Kurt Früh. Doch das Ärgern hatte vor zwei Jahren endlich ein Ende gefunden.
Seit 2019 freuen sich Heimleiter und Stiftungsrat, dass nun nach jahrelanger Anstrengung der Betriebsbeitrag pro Betreuungstag durch den Kanton Bern doch noch erhöht wurde. Unter den kontinuierlichen und hartnäckigen Kampf um einen gerechten und dem Betreuungsaufwand entsprechenden Beitrag konnte endlich ein Schlussstrich gezogen werden. Im achten Anlauf wurde das Gesuch gutgeheissen und der Leistungspreis pro Aufenthaltstag von 335 Franken auf 360 Franken erhöht. «Bei 4000 Auf­enthaltstagen entspricht dies einer Beitragserhöhung von jährlich rund 100 000 Franken», so Früh.
Ob für das plötzliche Einlenken des Kantons Recherchen des «Beobachters» ausschlaggebend waren, deren Bericht im Januar 2019 veröffentlicht wurde, oder ob das Verzögern der Systemumstellung, welches nun auf das Jahr 2023 verschoben wurde, doch noch ein Umdenken beim Kanton veranlasste, weiss Kurt Früh nicht, er vermutet Ersteres.

Dringend notwendige Renovationen
Obwohl durch die zahlreichen Spenden der Betrieb jahrelang aufrechterhalten werden konnte, fehlte dennoch Geld für vieles andere. «Die Erhöhung des Betriebsbeitrages reicht nun zwar aus, den Alltag finanziell zu bewältigen, er reicht aber nicht aus, um dringend notwendige Sanierungen und Renovationen zu tätigen», erklärt Kurt Früh. Der Heimleiter spricht damit Renovationen an, die beim Haus, welches vor über 200 Jahren erbaut wurde, schon länger anstehen.
Deshalb wundert es nicht, dass der Spendenaufruf des Öpfuböimlis noch immer jedes Jahr im Briefkasten landet. So konnten seit dem Umbau 1999 vom Schulhaus zum Wohnheim immer nur kleinere, nicht aufschiebbare Sanierungen vorgenommen werden, für Grösseres fehlten bisher die finanziellen Mittel. «Durch die höheren kantonalen Betriebsbeiträge können nun dank der Spendengelder endlich auch die grösseren und dringendsten Sanierungen und Renovationen in Angriff genommen werden», freut sich der Heimleiter.
Konkret geht es um einen Aussenlift. Der bestehende alte Treppenlift hat seine Laufzeit überschritten, Ersatzteile sind nicht mehr erhältlich und die Wartung wurde von der Firma abgelehnt, da keine Verantwortung mehr übernommen werden konnte. «Ein Personenlift war schon beim Umbau des Hauses 1999 ein Thema, man hatte sich aber dagegen entschieden. Der Treppenlift war die günstigere und einfachere Lösung», erzählt Kurt Früh. Ein neuer Treppenlift kommt heute jedoch nicht mehr infrage, da die Treppe den einzigen Fluchtweg darstellt. Nun soll ein Personenlift aussen angebracht werden, damit er dem Wohnheim im Innern keinen Platz wegnimmt.
Profile, welche unterdessen weggeräumt wurden, zeigten lange Zeit den neuen Standort an. Der neue Lift könne, solange Strom fliesst, sogar im Brandfall benutzt werden. Er bleibe auch ohne Strom nicht stecken und fahre auf jeden Fall noch nach unten und die Türe würde sich öffnen, erklärt Früh. Voraussichtlich soll der Lift dieses Jahr im August in Betrieb genommen werden können. Eine ebenfalls dringend notwendige Sanierung wird bei der Terrasse, welche um das Wohnheim führt, vorgenommen. Die mittlerweile alt gewordene Konstruktion weist massive Schäden auf. «Aktuell ist die Terrasse gesperrt, da sie eine gefährliche Stolperfalle ist», erklärt Kurt Früh. Mit den zahlreichen Spenden der letzten beiden Jahre und einem wohlwollenden Beitrag der Clientis Bank Oberaargau von anfangs 2021 können nun beide Projekte zeitnah umgesetzt werden.
«Mit den Spenden vom Jahr 2019 wird der Lift realisiert und mit den Spenden vom Jahr 2020 kann die Terrasse saniert werden», zeigt sich Kurt Früh dankbar. Weitere Sanierungen, so hofft Früh, sollten dann in den nächsten Jahren in Angriff genommen werden können.

Wertvolles Vertrauen
Heimleiter Kurt Früh, der es als eine seiner Hauptaufgaben sieht, den Angestellten den Rücken freizuhalten, fühlt sich im Wohnheim Öpfuböimli vielseitig gefordert. Neben seiner abwechslungsreichen Rolle als Heimleiter ist er, da er nicht im Pflege- und Betreuungsprozess integriert ist, für die Bewohner manchmal auch wie ein Götti oder Onkel die erste «Aussen»-Ansprechperson.
Dabei spürt er den Goodwill des Teams und das Vertrauen der Bewohner. «Das ist sehr wertvoll», ist der 50-jährige Familienvater dankbar. Aufgewachsen ist Kurt Früh in Herisau und machte später das Studium zum Sekundarlehrer in St. Gallen. Der Liebe wegen kam er 1996 in den Kanton Bern. Das Heimleiterpraktikum absolvierte er im Knabenheim «Auf der Grube» in Niederwangen und wechselte danach zusammen mit seiner Frau Andrea ins Kinderheim Schoren in Langenthal als Wohngruppenleitungspaar.
Nach fünf Jahren im Schoren und zwei weiteren Jahren als Heimleiterpaar im Jobsharing im Wohnheim Sunneschyn in Wiedlisbach widmete sich Andrea Früh nach der Geburt des dritten Kindes ganz der Familie. So führte Kurt Früh ab 2008 das Wohnheim Sunneschyn alleine weiter, absolvierte berufsbegleitend ein Masterstudium im Nonprofit-Management an der Hochschule für Wirtschaft der FHNW, bevor er dann im Herbst 2011 ins Öpfuböimli wechselte.

Ein wichtiger Arbeitgeber
Heute beschäftigt die Stiftung Wohnheim Öpfuböimli in Nyffel insgesamt rund 30 Mitarbeitende, die meisten davon in einem Teilzeitpensum von 30 bis 80 Prozent. Sie leisten umfassende Angebote für 13 Erwachsene mit unterschiedlichsten Behinderungen (neun in Nyffel Huttwil und vier in der Aussenwohngruppe in Rohrbach). Ausserdem bietet das Wohnheim Ausbildungsplätze sowie Langzeiteinsätze für Zivildienstleistende an. Auch die berufsbegleitende Ausbildung zum Sozialpädagogen HF (höhere Fachschule) und FH (Fachhochschule) kann im Öpfuböimli absolviert werden. «Unser jetziger Lernender FaBe war ein ehemaliger Zivildienstleistender», erzählt Früh mit einem Lächeln.
Auch bietet das Wohnheim Öpfuböimli immer wieder Personen eine Chance, in der Stiftung mit einem Arbeitstraining oder einem Arbeitsversuch wieder Fuss zu fassen und so vielleicht auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt ein Stück weiterzukommen. Rundum also eine soziale Institution.

Von Marion Heiniger