• Der Buchautor und Historiker Walter Thut blickte an der Vernissage auf das Leben und Wirken von Gottfried Bangerter zurück. · Bilder: Liselotte Jost-Zürcher

08.11.2019
Langenthal

Das Wirken von Gottfried Bangerter lebt weiter

Mit dem Buch «Gottfried Bangerter – Die Energie der Berner Industrialisierung» hat der Autor und Historiker Walter Thut eine Lücke in der Wirtschaftsgeschichte des Oberaargaus insbesondere, aber auch des Kantons Bern und der Schweiz geschlossen. Das Buch wurde vom Verein für wirtschaftshistorische Studien, Zürich, in Auftrag gegeben. Dank den aufwändigen Recherchen von Walter Thut und grosszügigen Donatoren kam das umfassende Werk zustande. Die Vernissage fand am Mittwochabend im Barocksaal des «Bären» in Langenthal statt.

«Das Buch schliesst eine Lücke in der Wirtschaftsgeschichte der Schweiz und speziell des Kantons Bern. Denn ohne diesen Pionier wäre die Industrialisierung Berns anders verlaufen. Seine kaufmännischen Fähigkeiten und seine strategische Denkweise wurden zum Erfolg für unzählige Firmen und die Wirtschaft einer ganzen Region.» Mit diesen Worten würdigte der Langenthaler Hans-Jürg Käser, alt Regierungsrat des Kantons Bern und alt Stadtpräsident von Langenthal, im Vorwort der Buchs «Gottfried Bangerter – Die Energie der Berner Industrialisierung» das Wirken des grossen Schaffers. Gottfried Bangerter, in Lyss aufgewachsen und später in Langenthal wohnhaft, besass einen ausgezeichneten Spürsinn für den technischen Fortschritt, aber als beliebter Firmensanierer ebenso für schlummernde Möglichkeiten verschiedenster Unternehmen. Sein hart verdientes Vermögen floss, wo immer Bangerter Potenzial erkannte, in verschiedenste Projekte und wurde dadurch eine wichtige Triebkraft der Berner Industrialisierung.

Der Pionier und der Mensch Bangerter
An der feierlichen Vernissage im schmucken Barocksaal des Langenthaler «Bären» vermittelte der Autor Walter Thut in Ergänzung zum Buch-inhalt auch einen Blick auf den «privaten» Gottfried Bangerter (1847–1923). In Lyss aufgewachsen und Sohn eines Mühlenbauers, besuchte Bangerter in Le Locle die Sekundarschule und absolvierte anschliessend eine kaufmännische Lehre in einer Textilfabrik in Basel. Als Tuchgrosshändler, später als Tuchfabrikant, zog er nach Langenthal. In dieser Zeit war er Mitinhaber der Tuchfabrik Stettler und Bangerter in Langenthal und der Zementwarenfabrik Bangerter in Lyss. Nach dem Verkauf der Tuchfabrik 1899 widmete er sich der Gründung neuer Unternehmungen im Kanton Bern (unter anderem die Kohlensäurewerk AG in Bern) und prägte so die Industrialisierung nachhaltig. Unter anderem präsidierte Gottfried Bangerter die Verwaltungsräte der Carba AG, Hallwag AG und Maschinen AG in Bern, der Galactina und Biomalz AG in Belp sowie der Papierfabrik Utzenstorf. Unauslöschliche Spuren legte er mit der Gründung des Flusskraftwerks Wynau und damit als grosser Förderer der Elektrizitätswirtschaft, unter anderem auch als Verwaltungsrat des Werks Wynau-Langenthal 1895–1903 und der Kander-Hagneck-Werke 1903–1906, deren Mitbegründer er ebenfalls war. Mit gleichem Engagement – wenn auch nicht immer mit dem gleichen Herzblut – stand er an der Politspitze, war von 1877–1882 radikaler Berner Grossrat, 1890–1902 FDP-Nationalrat.
Nebenbei nahm er sich die Zeit, während 20 Jahren, bis 1890, engagiert wie bei allen seinen Tätigkeiten im Männerchor Langenthal mitzuwirken und auch dort schnell zu einer treibenden, zuverlässigen Kraft zu werden. «Es ist allerdings nicht erstaunlich, dass sich Gottfried Bangerter für das Singen Zeit genommen hat. Damals gehörte sich das so», stellte Walter Thut fest. Es war der Ort, wo Bangerter das Netzwerk pflegte, wo er gesellige Stunden mit vielen seiner Wegbegleiter verbrachte.
Gottfried Bangerter war mit Katharina Julia Bangerter verheiratet. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor. Der grosse Pionier starb 1923 im Alter von 76 Jahren, «quasi am Schreibtisch», wie Walter Thut seinen Blick auf die Persönlichkeit Gottfried Bangerter schloss. Das Buch selbst porträtiert vor allem den Macher.
Dass es zustande kam, ist vor allem dem Auftrag des Vereins für wirtschaftshistorische Studien, Zürich, zu verdanken. Dazu mit der Hilfe der Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner-Stiftung (siehe Kasten), die dem Autoren Walter Thut die umfassenden Recherchen und Einblicke in wert-volle Dokumentationen ermöglichte. Grosszügige Donatoren, nämlich BKW Energie AG, Carba Holding AG, Carba Immobilien AG, Bonny Stiftung für die Freiheit, Carba Stiftung Hofgut Gümligen, Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner-Stiftung, Jubiläums-Stiftung der Papierfabrik Biberist, Berner Kantonalbank, Burgergemeinde Langenthal und Stadt Langenthal, gewährleisteten die Finanzierung des grossen Werks, das nebst der «Hauptperson» auch die pionierhafte Industrialisierung in und um Langenthal sowie das Wirken weiterer Zeitgenossen neu ins Bewusstsein rückt.

Langenthal – ein Zentrum der Industrialisierung
Die vielen Facetten des Buches und des Umfelds, aus welchem heraus es entstand, wurden an der Vernissage von kundigen Referenten beleuchtet. Unter ihnen auch vom alt Stadtpräsidenten Thomas Rufener aus Langenthal, der ein eindrückliches Bild der Industrialisierung der Oberaargauer Metropole vermittelte. Dies auch aus besonderer Nähe zu Gottfried Bangerter, der ein enger Weggefährte seines Urgrossvaters war.
Dr. Philipp Hänggi, designierter Leiter Produktion BKW (ab Januar 2020) blickte auf eine entscheidende Wende in der Industrialisierung und der Elektrifizierung zurück, in welcher die BKW und damit auch Gottfried Bangerter als Pionier eine entscheidende Rolle spielten. «Die Elektrifizierung kann nicht hoch genug eingeordnet werden», begann er sein Referat, bevor er einen spannenden Einblick in die rund 150-jährige Geschichte des Lebensnervs «Strom» vermittelte.
Die Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner-Stiftung wurde vom Präsidenten Stephan Vögelin vorgestellt. Durch den Abend führte kompetent der Geschäftsführer des Vereins für wirtschaftshistorische Studien, Zürich, Clemens Fässler. Für eine eindrückliche Umrahmung des Programms im gutbesetzten «Bären»-Saal sorgten zwei junge, hochtalentierte Musikerinnen, die 22-jährige Geigerin und Komponistin Johanna Kulke und die Pianistin Brenda Maiorini. Ein üppiges Apéro riche sowie der Kauf der von Walter Thut frisch signierten Bücher beschlossen den schönen Abend.

Gut zu wissen
Informationen: Verein für wirtschaftshistorische Studien Zürich, Vogelsangstrasse 52, 8006 Zürich, Telefon 043 343 18 40, E-Mail: info@pioniere.ch. Das Buch «Gottfried Bangerter – Die Energie der Berner Industrialisierung» ist auch in Buchhandlungen und unter pioniere.ch erhältlich.

Die Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner-Stiftung
Die Gottfried und Julia Bangerter-Stiftung ist 1970 von Paul Bangerter im Andenken an seine Eltern Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner gegründet worden. Der kinderlose Paul Bangerter wollte im fortgeschrittenen Alter und unter dem Eindruck seiner eigenen Krankheit sein Vermögen für die medizinische Forschung und für soziale Hilfswerke zur Verfügung stellen. Die Bangerter-Stiftung gehört seit rund 25 Jahren zu den grösseren Vergabeinstitutionen der Schweiz und hat eine ganze Reihe von zukunftsweisenden Projekten massgeblich unterstützt. Die Stiftung bezweckt insbesondere die Unterstützung der medizinischen Forschung, von Einrichtungen und Bestrebungen des Gesundheitswesens und von steuerbefreiten sozialen Hilfswerken. Dies mit Fokus auf Zuwendungen an medizinische Projekte, wobei der Förderung und Unterstützung von grösseren und mehrheitlich universitären Projekten Priorität eingeräumt wird. Bedeutende Destinatäre der vergangenen Jahre sind unter vielen anderen CHUV – Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne; ETH Zürich – Eidgenössische Technische Hochschule Zürich; – Inselspital Bern; IRB – Institut für biomedizinische Forschung, Bellinzona; Rock Your Life! Schweiz GmbH, Bern; Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut, Basel; Theodor Koch Institut, Bern; Universitäre Psychiatrische Dienste, Universität Bern; Universitäts-Kinderspital Zürich; Universitätsklinik Balgrist; Klinik für Neonatologie; Wohnwerk Basel und weitere. In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat die Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner-Stiftung auch mehrjährige Grossprojekte realisiert, unter anderem in den Bereichen Nachwuchs in klinischer Forschung, Palliativ Care und Versorgungsforschung. Nachwuchs-Forscher-Beiträge, Stipendien und Darlehen sind weitere Wirkungsgebiete (www.bangerter-stiftung.ch).

Von Liselotte Jost-Zürcher