• Dutlys Sammlerleidenschaft begann schon als kleiner Junge. · Bilder: Gabriel Anwander

  • Auch ein Vorläufer des Grammophons, ein Polyphon, gehört zu seiner Sammlung.

  • Antiquitäten interessieren Dutly weniger, er sammelt lieber Alltagsgegenstände.

  • Jürg Dutly in seinem Museum in Eriswil.

  • Der schwarze Eriswiler Leichenwagen kam von Tecknau wieder zurück nach Eriswil.

  • Der zweite Kinderschuh von links ist jener eines Verdingkindes.

20.05.2021
Oberaargau

Der König der Sammler

Jürg Dutly sammelt seit fünfzig Jahren Alltags­gegenstände aus längst vergangenen Tagen. Zehn grosse Hallen, verstreut in der halben Schweiz, hat er über die Jahre angefüllt, und hoch über Eriswil, in einem Bauernhaus und in der dazu gehörenden Remise, stellt er einen Teil seiner Sammlung aus. Es ist ein Museum der besonderen Art.

 

Jürg Dutly wuchs im Reusstal auf. Schon als kleiner Junge packte ihn die Sammelleidenschaft, er kannte bald jede Abfallgrube in der weiteren Umgebung. Anfangs waren seine Eltern nicht erfreut über ihren Sohn.
Wer ist schon stolz auf sein Kind, wenn es seine Freizeit damit verbringt, in Abfallgruben herumzustochern und Dinge zu sammeln, die andere Leute wegschmeissen? Doch Dutly brachte keine kaputten Spielsachen nach Hause, keine verfaulten Ledertaschen oder Scherben von angeblich schönem Geschirr.

Sonderbare Gegenstände
Dutly schleppte Gerätschaften ins
Elternhaus, die noch funktionierten. Er fand sonderbare Gegenstände, von denen viele nicht mehr wussten,
wofür sie früher gebraucht wurden. Zum Beispiel besitzt er einen tafelmessergrossen Halter mit einem edlen Griff aus Horn. Man steckt die Spitze eines grillierten Pouletschenkels vorne in die tulpenförmige Fassung und schraubt ihn fest. Damit kann man bei Tisch an dem Schenkel knabbern, ohne sich die Finger fettig zu machen. Er besitzt auch mehrere gusseiserne Trommeln mit einer Kurbel. Das sind Kaffeeröster, die mit glühenden Kohlen beheizt wurden, kaum grösser als ein Bügeleisen.

Von Gruben zu Brockenhäusern
Später wurden die Gruben nach und nach geschlossen und die Kehrichtabfuhr eingeführt. Dutly folgte der Sperrgutabfuhr und verlegte sich auf das Stöbern in den Brockenhäusern. Nach der Schule lernte er den Beruf des Werkzeugmachers und kaufte im ersten Lehrjahr einen klassischen antiken Bündner Schrank aus Arvenholz. Den Kaufbetrag für das schwere, ausgesprochen schmucke Möbel stotterte er in zweiunddreissig Monatsraten ab. Bis im Alter von neunzehn Jahren hatte er sein Elternhaus derart mit Gegenständen angefüllt, dass die Lokalzeitung einen Bericht über ihn veröffentlichte. Darin stand, er sei weltweit der einzige Museumsdirektor, der in seinem eigenen Museum hause.
Antiquitätenhändler interessieren Dutly weniger, er sammelt weder teure Kunstgegenstände noch alte Waffen. Er ist stets auf der Suche nach Alltagsgegenständen, die Zeugen einer Geschichte sind.

Raritäten und Schätze
Mit der Zeit brachten die Menschen ihm sogar Raritäten und Schätze vorbei, weil sie wussten, dass sie bei ihm gut aufgehoben sind. Neulich erhielt er von einer älteren Dame ein paar Kinderschuhe. Mindestens siebzig Jahre alte, lederne, zerlumpte, halbhohe Schnürschuhe. Die Dame erklärte, die Schuhe hätten ihrer Mutter gehört. Sie seien lange Zeit ihre einzigen Schuhe gewesen, denn ihre Mutter war ein Verdingkind. Dutly besitzt längst eine stattliche Zahl von hundert und mehr Jahre alten Schuhen, gebrauchte wie neue, aus Holz wie aus Leder; und überhaupt alles, was eine Schuhmacherei ausmacht, vom Tisch über die Nähmaschine und den Zwirn bis hin zur Lederschürze.

Kein Ende der Sammlung in Sicht
Dutly ist auch im Besitz des Leichenwagens von Eriswil. Er war ursprünglich mit eisenbereiften Holzrädern ausgestattet. Kurz vor Ende der Ära verpassten ihm die Eriswiler Pneuräder und verkauften ihn jemandem in Tecknau. Heute steht der schwarze Wagen wieder in Eriswil, Dutly hat ihn zurückgeholt. Im Grunde genommen hat er keine Vision, er wird nie ein Ziel erreichen, er sammelt ohne Ende, was ihn beeindruckt und ihm gefällt. Er habe, gesteht Dutly, meistens Glück gehabt in seinem Leben. Wenn ihn etwas fasziniert, kann er viel Geduld aufbringen. Auf einen Traktor, einen Veteran, musste er beispielsweise zwanzig Jahre warten. Inzwischen besitzt er siebzehn Traktoren, unter anderem einen Hürlimann aus der allerersten Serie.
Im Jahre 2009 erwarb er das Bauernhaus in Spissachen in Eriswil und deponierte die schönsten, kuriosesten, imposantesten und verschrobensten Dinge im Haus und in der Remise. In den Monaten Mai bis Oktober öffnet er jeden zweiten Sonntag Tür und Tor zur Besichtigung. Am Schluss unseres Gesprächs deutet Dutly auf ein altes, zerknittertes Schwarzweissfoto. Es befindet sich auf dem Fenstersims neben der Tür. «Der Junge da», sagt Dutly und lacht, «das bin ich.» Der Junge auf dem Bild lacht genauso verschmitzt und streckt dabei die Fäuste in den Himmel. Es ist Jürg Dutly in Siegerpose.

Gut zu wissen
Tag der offenen Tür im Kunst und Krempel-Museum, Spissachen 4, Eriswil: Sonntag, 13. Juni, 11 bis 17 Uhr; Sonntag, 11. Juli, 11 bis 17 Uhr; Sonntag, 15. August, 11 bis 17 Uhr; Sonntag, 12. September, 11 bis 17 Uhr; Sonntag, 10. Oktober, 11 bis 17 Uhr.

Von Gabriel Anwander