• Frank Jäggi beherrscht ein altes Handwerk. Der Langenthaler zählt zu den letzten Stuckateuren der Schweiz. · Bild: Leroy Ryser

18.04.2019
Langenthal

Der Meister trägt sein Material in die Moderne

Frank Jäggi hat sich vor Jahren einem scheinbar aussterbenden Kunsthandwerk gewidmet. Stuckaturen begeistern ihn, fordern ihn heraus und lassen ihn auch in den eigenen vier Wänden nicht in Ruhe. Vom Aussterben bedroht? Da will der 48-Jährige widersprechen. Auch in der heutigen modernen Welt haben Stuckaturen in den eigenen vier Wänden einen angemessenen Platz verdient, findet er. Und immerhin: Tradition und Moderne kann man mühelos kombinieren.

Es sind die fast schon vergessenen Kunstgegenstände für die Inneneinrichtung der frühsten Menschheitsgeschichte: Stuckaturen. Schon 7000 Jahre vor Christus gibt es laut Wikipedia Anzeichen dafür, dass Gips für die Innenraumgestaltung verwendet wurde. In Deutschland ist das Gipsgiessen mindestens seit 1473 bekannt und in der Barock-Zeit erhielt dieses kunstvolle Handwerk schliesslich seine grosse Blütezeit. Heute findet es in der modernen Architektur weit weniger Platz, das Handwerk droht auszusterben. Gerade nach dem zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Kunstwerke von den Decken der Häuser verbannt, erst in den letzten Jahrzehnten werden Stuckaturen gerade auch von der Denkmalpflege als schützenswert betrachtet. «Stuckaturen werden nicht aussterben», sagt Frank Jäggi mit Überzeugung. Er selbst ist einer von wenigen Schweizern, die das Handwerk noch beherrschen. In seinem Atelier in Langenthal hinter der einstigen Löwenpoststelle stellt er noch heute Stuckaturen her oder restauriert solche. Begeistert sagt er: «Mit Stuck zu arbeiten erfordert pure Kreativität. Google kann dir hier nicht helfen, du musst selbst zur Lösung finden.» Und weil das Resultat edel ist, modern kombiniert werden kann und gleichzeitig für das Traditionelle steht, zeigt sich der 48-Jährige während dem Hautnah-Interview mit dem «Unter-Emmentaler» mehrmals leidenschaftlich hingerissen.

Gipsen dem Malen vorgezogen

Aufgewachsen ist Frank Jäggi als Sohn eines Malermeisters, nach seiner dreijährigen Lehre zum Maler wollte er aber nicht den gleichen Weg einschlagen wie sein Vater. Jäggi Junior machte die Weiterbildung zum Gipser und liess sich 1999 zum Gipsermeister küren. Im gleichen Jahr machte er sich selbständig, im Jahr 2006 übernahm er das Geschäft seines Vaters und führte dieses als Gipserei und Malerei weiter. Im Jahr 2014 folgte der Zusammenschluss mit der Firma Pagani + CO. AG, weshalb heute der überregional bekannte Firmenname «JäggiPagani AG» für Gipser-, Stuckatur- und Malerarbeiten steht. 

Schon früh hat sich Frank Jäggi derweil für Stuckaturen interessiert, schon in jungen Jahren sog er auf, was es darüber zu lernen gab. «Ich habe meine Zusatzausbildung absichtlich in Bern gemacht, weil ich in diesem Betrieb mehr über Stuck lernen konnte», erinnert sich Frank Jäggi. Die Ornamente haben ihn von Beginn weg begeistert. Dass er sich damit einem aussterbenden Handwerk widmet, war ihm zwar bewusst, Zweifel über seinen angepeilten Berufsweg gab es aber nie. «Ich habe schon früh erkannt, dass man vieles kombinieren kann. Altes mit Neuem zu verbinden, hat ebenfalls seinen Reiz.» Weil ihm bewusst war, dass es nicht mehr viele seiner Art geben dürfte, war er umso mehr überzeugt davon, sich in diesem Metier anzusiedeln. Weil ihn die Arbeit mit all ihren Herausforderungen fesselte, war die Leidenschaft zum Handwerk rasch geweckt. Alten Kunstwerken einen neuen Glanz verpassen, sie frisch aufleben lassen und ins richtige Licht rücken – bei solchen Arbeiten lässt sich der Langenthaler begeistern.

Handarbeit und «Sisyphus-Büetz»

Dabei ist gerade das Restaurieren von Stuck-Kunstwerken kein einfaches Unterfangen. Bis der Gips in eine Silikonform gegossen werden kann, ist viel Arbeit nötig. «Wenn die Kunstwerke beschädigt sind, müssen die fehlenden Teile zuerst von Hand mit Ton nachmodelliert werden», erklärt der Vater von Lena (8) und Jerun (6). Bei symmetrischen Kunstwerken ist das manchmal einfacher, weil fehlende Abschnitte «kopiert» werden können. Andernfalls ist auch ein wenig Improvisation nötig. Ist das alte Stuck-Ornament soweit hergestellt, dass es die ursprüngliche Form angenommen hat, wird ein «Negativ» gegossen. Eine Silikonform, die nachher die Grundlage für das neue Ornament bildet. Dieses muss, weil Silikon dehnbar ist, gestützt werden. Dafür wird oft danach eine Gipsstützform angefertigt. «Das ist alles aufwändige Handarbeit», sagt Frank Jäggi und spricht von einer grossen Herausforderung, die sich täglich wandelt. «Jede Verzierung hat seine Eigenheiten und benötigt deshalb neue Ideen und Lösungen. Das ist manchmal auch ein bisschen «Sisy-phus-Büetz». Ist das Negativ erstellt, kann der Gips gegossen werden. Danach geht es schnell, innerhalb von rund 30 Minuten ist der Gips bereits fest und kann vom Silikon getrennt werden. Danach wird er weiss angestrichen und fertiggestellt.


Harmonie mit Licht und Schatten

Balkenförmige Leisten hingegen werden an einer langen Werkbank «gezogen», zuvor gefertigte Schablonen bringen den Gips dabei durch mehrmaliges «Drüberziehen» in die entsprechende Form. Solche verzierten Gesimse werden in Gebäuden oftmals für indirekte Beleuchtungen gebraucht, hinter der Gipsleiste besteht genügend Hohlraum, um Lichtquellen anzubringen. «Stuckaturen leben vom Spiel mit Licht und Schatten. Im richtigen Licht erhalten sie eine zusätzliche Besonderheit», sagt Frank Jäggi. Dieses Licht könne künstlich oder auch natürlich sein, zweifellos versuche er aber darauf in der Gestaltung eines Raums einzugehen. «Neukunden lade ich meistens zuerst zu mir ins Geschäft ein, so sehen sie anhand von Beispielen, was alles möglich wäre. Dann geht die Planung weiter», sagt er. Bis zuletzt soll das Ganze ein Bild geben. Stuckaturen machen für Frank Jäggi nur dann Sinn, wenn sie auch zum Raum passen. Beim eigenen Zuhause, erzählt der 48-Jährige, konnte er sich verwirklichen, jeden Raum zieren andere Stuckaturen. «Stuck passt vielleicht nicht überall hin, aber kann dennoch so kombiniert werden, dass es an vielen Orten passt. Ein offener Loft kann beispielsweise mühelos mit einer dezenten Gipsleiste vereinbart werden. Auch Gegensätze harmonieren mit passendem Licht sehr gut», ist sich Frank Jäggi sicher. Auch deshalb seien Stuckaturen in erster Linie weiss, weil sie mit dieser Farbe durch Licht und Schatten zum Leben erwachen.

Schwungvoll und verspielt

Persönlich lässt sich Frank Jäggi derweil gerne vom Barock- und dem Jugendstil begeistern. Entsprechende Ornamente überzeugen mit schwungvollen und verspielten Formen, scheinen elegant und ästhetisch. «Stuckaturen verleihen einem einzelnen Raum etwas einzigartiges», sagt Frank Jäggi. Zweifellos sei ihm aber bewusst, dass sich dies nicht jedermann leisten will und kann. Für ein Eckgesims in einem Raum von etwa 30 Quadratmetern werden in den Werkräumen von JäggiPagani vier bis fünf Arbeitstage aufgewendet, dadurch entstehen rasch Kosten in fünfstelliger Höhe. «Wir haben deshalb ein Lager von zahlreichen Gegenständen, die es uns ermöglichen, Sachen zu kopieren oder gleich direkt das Silikon zu giessen. Das lässt uns einzelne Arbeitsschritte überspringen und macht die Arbeit für den Kunden zahlbarer.» Dem Preis zum Trotz bemerkt Frank Jäggi, dass sich wieder mehr Menschen für Stuck interessieren, das Design vielleicht sogar etwas wie ein Revival erlebt. Stuckaturen verleihen jedem Zuhause Eleganz und Noblesse, gerade jetzt, wo die eigenen vier Wände in unserer Gesellschaft immer mehr geschätzt werden, haben auch Stuckaturen weiterhin Platz in der Planung von Innen-einrichtungen. Ausserdem werden heutzutags viele Stuckaturen restauriert, auch weil die Denkmalpflege auf deren Erhalt pocht. Aktuell gehört Jäggi zum Team, welches das Kulturcasino in Bern restauriert, zudem zeichnen sich er und sein Team verantwortlich für die Stuckaturen im renovierten Stadttheater von Langenthal.

Eine neue Herausforderung

Frank Jäggi ist dabei nicht mehr immer an vorderster Front, vielmehr lässt er die von ihm ausgebildeten Mitarbeiter das Handwerk ausführen. Selbst kümmert er sich immer öfters um das Offertenwesen und das Coaching seiner Mitarbeiter. «Unternehmer zu sein, macht mir mittlerweile auch grossen Spass», sagt der zweifache Familienvater. Der Meister der Stuckaturen sei er ausserdem immer noch, meint sein Mitarbeiter Adrian Fankhauser. Claudio Corona ergänzt, dass sie auch heute noch ihn zu Rate ziehen, wenn Fragen entstehen. Damit ist klar: Menschen wie Frank Jäggi sind es, die alte Kunst in die Moderne tragen. Auch dank ihnen haben Materialien, die schon vor Tausenden von Jahren gebraucht wurden, auch heute noch einen festen Platz in der Gesellschaft. Und dafür gibt es ästhetisch gesehen zweifellos gute Gründe.

Von Leroy Ryser