• «Wichtig ist, die Menschen in der Gemeinde miteinzubeziehen», sagt Roland Lörtscher. · Bild: Marianne Ruch

06.01.2022
Oberaargau

Der Wirt wird Gemeindepräsident

Erst seit April in der Gemeinde wohnhaft und nun schon Gemeindepräsident. Wie kommt das? Wer ist er denn? Roland Lörtscher heisst er, aber sonst?

Ursenbach ·

Viele werden ihn, zusammen mit seiner Frau Verena Hohl, als den ehemaligen Brestenegg-Wirt kennen. Schweren Herzens mussten sie diesen Frühling die «Wirterei» aufgeben. Seiner Frau ging und geht es gesundheitlich nicht gut und so zogen sie zusammen nach Ursenbach.
Er ist in einem politisch interessierten Elternhaus aufgewachsen – da flogen auch mal die Fetzen, man sei nicht immer gleicher Meinung gewesen. Dennoch wirkt er sehr ruhig und überlegt. Er sei ein Optimist, denke immer positiv – wer das verliere, habe ein Problem.

Rasenmähen oder so
«Wir wurden bei unserem Zuzug sehr gut empfangen, alle waren sehr freundlich und kamen auf uns zu», sagt er. Und so war für ihn klar, etwas für die Gemeinde tun zu wollen. Also meldete er diese Absicht an die Gemeindeverwaltung und dachte für sich, er könnte vielleicht Rasenmähen oder Robidogs leeren.
Kurze Zeit später wurde er durch die Gemeinde für die Übernahme eines Amtes im Gemeinderat angefragt. Er stimmte zu, unter der Option zurückzutreten, falls doch noch ein «Einheimischer» für das Amt hätte gewonnen werden können. Rund vier Wochen später wurde er vom amtierenden Präsidenten, Christian Jeremias, sogar für das Amt des Gemeindepräsidenten angefragt. Roland Lörtscher stimmte wieder, unter der gleichen Option, zu. Es wurde kein «Einheimischer» gefunden, auch nicht an der Gemeindeversammlung. Und somit wurde er an der Versammlung still gewählt. «Eine grosse Aufgabe, die den nötigen Respekt verdient», sagt Roland Lörtscher.

Visionen
Auf die Frage, ob er Visionen für die Gemeinde habe, antwortet er: «Wer Visionen hat, soll zum Arzt», und lacht herzlich. Dies sei ein Sprichwort von Helmut Schmidt, dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler. Aber so ganz ohne Vorstellungen und Ideen ist er dann doch nicht. «Ich kenne ja noch nicht mal alle Mitglieder persönlich, aber kurzfristig will ich mich mit dem gesamten Gemeinderat, der Gemeindeverwaltung und den Kommissionen finden. Das Ziel muss sein, dass es unter uns allen harmoniert», erzählt der 69-Jährige. Also das Amt Schritt um Schritt angehen. Später dann Möglichkeiten anschauen und Lösungen finden. «Der Gemeindepräsident ist nicht der König – wir sind ein Team und leiten die Gemeinde zusammen», hält er fest. Aber sicher ganz wichtig sei, die Finanzen im Griff zu haben, das sei das A und O. Und man müsse unbedingt die Menschen mit einbeziehen.
Er freut sich auf seine neue Aufgabe, will sich engagieren, dabei sein und hat als Pensionierter auch die nötige Zeit dafür. Einige Fäden habe er bereits gezogen und schon etliche «eingesessene Ursenbacherinnen und Ursenbacher» kennengelernt.
Mehr als 30 Jahre lang hat er beruflich Projekte geleitet, zum Teil sogar solche mit weltweiter Geltung und Beteiligung von Menschen aus vielen Nationen. Dies helfe ihm sicher sehr für die Aufgabe als Gemeindepräsident, meint er. Er schaue seine neue Aufgabe auch als Projekt an, bei dem man alles im Blickfeld behalten muss. «Ich schätze jede und jeden, der etwas für die Gemeinde tut – so können wir selbstständig bleiben, auch wenn der Handlungsspielraum und die Autonomie zum Teil nicht mehr sehr gross sind», erzählt er. Und trotzdem: «Wir haben hier in der Schweiz die Möglichkeit mitzubestimmen, und das müssen wir Bürgerinnen und Bürger nutzen», sagt er mit grossem Nachdruck. Gotthelfs legendäres Zitat gelte mehr denn je: «Im eigenen Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland».

Präsident zum Anfassen
«Mein Vorsatz: Ich will ein Gemeindepräsident zum Anfassen sein. Man kann jederzeit bei mir vorbei kommen, mit mir reden, auch Kritik anbringen. Ich bin für alle da», sagt er bestimmt. Und einen genügenden Kaffeevorrat für Besucherinnen und Besucher habe er auch, lacht er.
Seine Hobbys sind kochen, «leider nicht annähernd so gut wie meine Frau», lacht er, und lesen (vorzugsweise Gesellschafts-Dokumentationen und Biografien). Und natürlich die Tiere, die er zusammen mit seiner Frau hält: Hund, Gänse, Hühner, Ziegen, Katzen und Meerschweinchen. Unter Langeweile wird der neue Gemeindepräsident zukünftig ganz bestimmt nicht leiden.

Von Marianne Ruch