• In seiner Premierensaison in der Töffklasse mit Elektromotoren konnte Dominique Aegerter aus Rohrbach gleich zwei Rennen gewinnen.

  • Trotz den Erfolgen in seiner ersten MotoE-Saison bleibt bei Rohrbachs Töffpilot Dominique Aegerter am Ende eine grosse Enttäuschung. Unverschuldet hat er den Gewinn der Weltcup-Gesamtwertung verpasst. · Bilder: Keystone/zvg

15.10.2020
Sport

«Die Enttäuschung überwiegt ganz klar»

Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Dominique Aegerter, Töffpilot aus Rohrbach – Der 30-jährige Rohrbacher Dominique Aegerter hat seine erste Saison in der MotoE-Klasse, der Motorräder mit Elektromotoren, absolviert. Im «UE»-Interview zieht er Bilanz.

Motorsport · Corona dominiert das Weltgeschehen. Wie oft wurden Sie schon getestet?
In dieser Saison satte zehnmal. Es ist völlig unangenehm, wenn das Wattestäbchen gefühlsmässig bis zum Hirn durch die Nase geschoben wird.

Ihre erste, sieben Rennen umfassende Saison in der MotoE-Klasse ist seit Sonntag Geschichte. Was überwiegt: Die Freude über den 3. Gesamtrang oder die Enttäuschung, den angestrebten Gesamtsieg verpasst zu haben?
Ganz klar die Enttäuschung. Wenn ich es nicht geschafft hätte, weil ich schlecht gefahren bin, wäre dies etwas anderes.

Ohne die Zwischenfälle in San Marino und in Le Mans, wo sie von Konkurrenten abgeschossen wurden, hätte es zum Gesamtsieg gereicht.
Ganz genau. Ich hätte zwei Top-5-Fahrten gebraucht, welche ich ohne Zwischenfälle auch abgeliefert hätte. Dies ist es, was mich unglaublich enttäuscht und zugleich so wütend macht: Ich habe den Weltcupsieg unverschuldet verpasst.

Haben sich die Piloten Tommaso Marcon und Xavier Simeon für ihre unverständlichen Fahrmanöver bei Ihnen entschuldigt?
Marcon kam direkt nach dem Rennen zu mir und deponierte ein Sorry. Er zeigte Reue. Ganz anders Simeon. Nur beiläufig kam es zum Wortwechsel. In diesem stritt er seine Schuld ab. Dies ist absolut unverständlich.

Werden Sie das Gespräch suchen?
Nein, die Sache ist abgehakt. Es bringt nichts mehr.

Beim zweiten Zwischenfall am Sonntag hatten sie auch enormes Glück. Beim durch Simeon verursachten Sturz rutschten sie unter die Maschine von Niccolo Canepa und wurden von seinem 270 kg schweren Motorrad mitgeschleift. Haben Sie sich nicht verletzt?
Ich verspüre im Nacken, am Arm und am Bein Prellungen. Diese sind aber nicht schlimm. Ausserdem hatte ich betreffend Verbrennungen grosses Glück. Normal hält das Leder diesem enormen Druck auf Asphalt nicht stand. Mein Kombi blieb aber ganz. Ich habe nur eine Stelle am Oberschenkel, wo die Reibung eine Schürfwunde zur Folge hatte.

Krass war, wie sie vom Töff begraben am Streckenrand lagen. Canepa hob den Töff an, dass sie hervorkriechen konnten. Anschliessend sind Sie sofort zu Ihrem Töff gerannt und haben das Rennen fortgesetzt.
Und genau dies war ein grosser Fehler. Ich hätte einfach unter der Maschine liegen bleiben sollen. Dann wäre es zum erneuten Rennabbruch gekommen und ich hätte eine neue Chance erhalten. Stattdessen habe ich das Rennen mit grossem zeitlichen Rückstand als Letzter beendet – und die Chancen auf den Gesamtsieg begraben müssen.

Ihre erste MotoE-Saison brachte neben dem grossen Pech in der entscheidenden Phase auch viel Licht. Zwei Siege und zwei dritte Ränge resultierten. Nennen Sie uns Ihr persönliches Highlight.
Der erste Sieg in Jerez, wo ich das ganze Rennen über in Führung lag, war zweifellos ein schönes Erlebnis. Aber der zweite Sieg in Misano war, sorry für die Ausdrucksweise, «geiler». Ich konnte dort in der letzten Runde noch zwei Konkurrenten überholen und nach einem harten Fight jubeln. Dies war Adrenalin pur.

Und wie fällt die MotoE-Startsaison finanziell aus? Wieviel haben Sie eingenommen, wieviel ausgegeben?
Dies ist schwierig zu sagen, da ich beispielsweise bei den Sponsoren Gegenleistungen zu erbringen habe. Einfach soviel: Nach zwei Moto2-Saisons, wo ich ganz viel erspartes Geld reinstecken musste, wollte ich diese Saison vom Töffsport leben können. Dies ist mir gelungen. Für das wettkampfmäs-sige Töfffahren musste ich nichts bezahlen. Mein Team Dynavolt hat alle Kosten – auch für die Reisen und die Logie – übernommen. Auslagen hatte ich vor allem für die zusätzlichen Trainings. Für diese musste ich alles selber berappen. Alleine eine Miete einer Rennstrecke kostet 300 Euro. Hinzu kommen Reisekosten, Material- und Töffkosten. Gerade Pneu- und Benzinkosten schlagen kräftig auf das Portemonnaie.

Die sieben Töffrennen mit den elektrobetriebenen Maschinen dauerten nur sehr kurz, meist um die zwölf Minuten. Wie denken Sie darüber?
Wegen der Coronavirus-Krise hatte ich soviel Zeit für das Training wie nie zuvor. Mein Fitnesszustand 2020 ist super. Darum war es irgendwie schade, dass ich nicht Rennen bestreiten konnte, die länger dauern. Anderseits waren die Kurzrennen auch schön. In der MotoE-Klasse bauen die Reifen nicht ab. Du kannst von Rennstart bis zum Schluss Vollgas geben. In der Moto2-Klasse war es oft der Fall, dass die Reifen nach einer gewissen Zeit abbauten und das Fahren dann weniger Spass gemacht hat. Handkehrum hatte ich in der Moto2-Kategorie nach kleinen Fehlern genügend Zeit, den verlorenen Boden wieder gutzumachen. Dies ist in den kurzen MotoE-Rennen unmöglich. Ein Fehler bleibt unverziehen.

13 Saisons lang haben Sie Ihren Sport auf Weltklasse-Niveau mit Motorenlärm ausgeübt. Wie schlimm war jetzt der Wechsel zur fast geräuschlosen Kategorie?
Wenn ich im Fahrerlager bin und Moto2- oder MotoGP-Maschinen an mir vorbeifahren, stellt es mir die Körperhaare auf. Dieses Feeling habe ich nicht, wenn MotoE-Maschinen vorbeifahren. Wenn ich aber das Helmvisier schliesse, spielt es keine Rolle mehr, in welcher Kategorie ich fahre. Dann bin ich im Rennmodus.

Vermissen Sie den Motorenlärm und den Benzingeruch?
Ja, ganz sicher.

Als gestandener Moto2-Pilot besteht immer die Möglichkeit, in den verbleibenden fünf Moto2-Rennen als Ersatzpilot zum Einsatz zu kommen. Wie ist der aktuelle Stand?
Die Aussichten sind schlecht. Für Jesko Raffin im holländischen NTS-Team werde ich nicht mehr zum Einsatz kommen. Dort hat sich der Pole Piotr Biesiekirski mit viel Geld ins Team gekauft. Für den verletzten Aron Canet wurde ein anderer Fahrer aufgeboten. Ich kann einfach hoffen. Wenn in der Schlussphase noch Piloten ersetzt werden müssen, wird dies aber vor allem durch Fahrer, die ganz viel Geld zahlen, oder aus der italienischen oder spanischen Meisterschaft stammen, geschehen. Meine Karten sind schlecht.

Sie sind jetzt 30 Jahre alt. Wie soll Ihre Karriere 2021 weiter gehen?
Ich bin derzeit in Verhandlungen, um eine weitere MotoE-Saison fahren zu können.

In welchem Team wird dies sein?
Eine weitere Saison im Deutschen Dynavolt Intact GP-Team ist geplant.

Die Rückkehr zu einem Moto2-Team schliessen sie komplett aus?
Die Chancen sind sehr gering. Und ich will einfach nicht mehr soviel Geld bezahlen, um fahren zu können.

Wenn es in diesem Jahr zu keinen weiteren Renneinsätzen kommt, dürfte es coronabedingt wohl über ein halbes Jahr dauern, bis sie wieder zu einem MotoE-Ernstkampf kommen. Was wollen sie in dieser langen Zeit tun?
Tatsächlich ist meine Saison früher fertig als gewohnt. Zum Glück kann ich Ende Oktober noch drei Rennen der spanischen Moto2-Meisterschaft fahren. Dann halte ich mich fit, um bei unerwarteten Moto2-Einsätzen parat zu sein. Im Dezember werde ich Militärdienst tun. Dann werde ich mir langsam Gedanken machen, was ich nach meiner Rennfahrer-Karriere tun möchte. Im Januar und Februar stehen die ersten Testfahrten auf dem Programm. Damit mein Rennkalender 2021 etwas mehr ausgefüllt ist, als jener von 2020, prüfe ich derzeit, ob neben dem MotoE-Weltcup auch das Mitmachen bei der Supersport- oder der Superbike-WM eine Option ist.

Apropos Alter: Sie sind erst kürzlich 30 Jahre alt geworden. Wie haben sie am 30. September ihren runden Geburtstag gefeiert?
Wegen Corona im ganz kleinen Rahmen mit Familie, Freunden und Sponsoren. Im Landgasthof Hirsernbad in Ursenbach hatten sie einige Überraschungen für mich auf Lager. Dies hat mich sehr gefreut. Natürlich hätte ich gerne so richtig Party gemacht. Dies ist momentan aber halt nicht möglich.