• In den 80er-Jahren war Kanada für Walter Geissbühler anfangs nur ein Ferienort, den er gerne besuchte. 1984 wurde es zu seinem neuen Zuhause. Auf dem gemeinsamen Bild ist seine kanadische Frau Marilyn mit dem zweijährigen Berner Sennenhund Logan (links) und seine sechsmonatige Tochter Lara zu sehen.

  • Die Kamloops Residenz, in der die Familie wohnt.

  • Walter Geissbühler ist in seiner Freizeit gerne aktiv wie hier beim Skifahren im Sun Peaks Resort, einem Wintersportort 50 Kilometer nordöstlich von Kamloops.

09.08.2021
Emmental

Die Feriendestination wurde zur Heimat

In den 80er-Jahren besuchte Walter Geissbühler vermehrt Kanada, um dort seine Ferien zu verbringen. 1984 machte er einen Sprachaufenthalt, lernte dadurch die kanadische Marilyn kennen und entschloss sich der Liebe wegen, in Kanada den Start in ein neues Leben zu versuchen.

Der UE geht um die Welt · 1984, im Alter von 28 Jahren, wagte der gelernte Tiefbauzeichner Walter Geissbühler den Schritt und wanderte der Liebe wegen nach British Columbia, einer kanadischen Provinz an der Küste des Pazifischen Ozeans, aus. «Es lief eigentlich recht gut», spricht der heute 66-Jährige rückblickend über den Wegzug aus der Schweiz nach Kanada.

Von Anfang an von Kanada fasziniert
Alles begann damit, dass Walter Geissbühler das Land in den 80er-Jahren öfters als Tourist besuchte. «Das erste Mal war ich im Alter von 24 Jahren mit dem jetzigen Wirt vom Restaurant «Zum wilden Mann» in Schmidigen per Auto von Montreal nach Vancouver gereist», erzählt Geissbühler. Sie haben dabei die grossen Zentren besucht und alle Provinzen durchquert. «Wir hatten uns viel Zeit genommen, um die National Parks zu erkunden», erinnert er sich. So entwickelte Walter Geissbühler schon bei seinem ersten Besuch in Kanada eine Faszination für das Land des Ahornblattes und er besuchte es weiterhin gerne. Bei seinem zweiten Besuch bereiste er den Südwesten von British Columbia und die grosse Insel Vancouver-Island mit dem Hauptort Victoria, und beim dritten Mal erkundete er die Stadt Vancouver und seine nähere Umgebung. Dass dies wohl einer seiner letzten Besuche als Tourist sein würde, damit hätte er wohl nicht gerechnet.

Sprachaufenthalt bringt neue Liebe
1984 heiratete der jüngste Bruder von Walter Geissbühler. Dieser begann, ihren Bauernhof wieder zusammenzufügen, der seit dem Tode ihres Vaters im Jahr 1968 von verschiedenen Nachbarn bewirtschaftet wurde. Zeitgleich entschied sich Walter Geissbühler, weil er bei seiner Wohnungssuche unschlüssig war, für einen Sprachaufenthalt in Kanada. Walter Geissbühler lag mit der Zeit nicht mehr nur das Land selber am Herzen, sondern auch seine kanadische Freundin Marilyn. «Sie bot mir an, bei ihr in Kamloops zu logieren», erzählt Geissbühler. Die beiden versuchten daraufhin ein gemeinsames Leben und haben neun Monate später geheiratet. Sein Sprachaufenthalt wandelte sich dann durch die Heirat, wie es damals noch möglich war, zur Aufenthaltsbewilligung um.

Vom Ferienort zum Arbeitsort
Der in Häusernmoos geborene Walter Geissbühler arbeitete einige Jahre als Tiefbauzeichner bei der Stämpfli AG in Langnau und war ebenso als Ingenieurassistent/Bauleiter für ein paar Jahre bei Kramer Sumiswald angestellt. 1988 bot sich ihm in Kanada die Gelegenheit, auf seinem gelernten ­Beruf eine Anstellung zu finden; allerdings bedeutete es einen Wegzug von Kamloops nach Chilliwack, ein Ort 100 Kilometer östlich von Vancouver. «Wir kauften im nahen Rosedale unsere kleine Farm mit fast sechs Jucharten Land zu einem erschwinglichen Preis, wie er zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz nicht möglich gewesen wäre», sagt Geissbühler und beschreibt weiter, dass ihr kleines Haus über einen Stall und eine grosse Scheune verfügte. «Meine Frau ist eine Pferdeliebhaberin», betont Geissbühler. Zusammen mit den Pferden hatten sie auch immer genügend Zeit und Raum für ihr Feder- und Rindvieh. «Unser Lifestyle war perfekt», schwärmt Geissbühler noch heute davon und deutet an, «dass diese Investition damals weniger gekostet hatte, als man heute für einen grossen Pick-up hinblättern müsste.» In Chilliwack arbeitete Walter Geissbühler in einer Landvermessungs-Firma als Vermessungstechniker, während seine Frau auch vollzeitig arbeitete. «Als Folge der Kinderlosigkeit war es uns möglich, als Ziel «Freedom 55» eine Art Vorsorge Versicherung anzupeilen, welche wir dann 2010 auch erreichten», berichtet Geissbühler stolz. Für ihren Ruhestand kauften sie sich in Kamloops ein kleineres Grundstück mit weniger Unterhalt und mehr Freizeit, um seinen Hobbys wie dem Skifahren oder dem «Hike and Fly», einer Kombination aus Wandern und Gleitschirmfliegen, nachgehen zu können. Jedoch kam alles anders: «Um gelegentlicher Langeweile zu entfliehen, erwarb ich im Jahr 2012 den Führerschein für Car und Schulbus», schildert Geissbühler die Situation. Aus der geplanten Sommer-Teilzeit-Anstellung wurde bald eine Vollzeit-Anstellung. Diesen Job übt Walter Geissbühler nun schon seit neun Jahren aus und pendelt nach wie vor zwischen Kamloops und der Kanadischen Ölsand-Region in Fort McMurray hin und her. «Ich wohne dort im Barackendorf ­jeweils drei Wochen ununterbrochen», betont er und erzählt, dass er jeweils zweimal täglich in die Stadt fahre, um Arbeiter ab-
zuholen respektive nach Hause zu bringen.

Schweiz seit Wegzug ­10 Mal besucht
Kontakt hat Walter Geissbühler zu seinen Geschwister, die in der Region Affoltern wohnen. Damit er über seine frühere Region informiert bleiben kann, haben ihm Schwester und Mutter den «Unter-Emmentaler» quasi als jährliches Weihnachts-Geburtstagsgeschenk abonniert. «Die Zeitung informiert mich, was in meiner Region läuft und ich kann sehen, was alte ­Kameraden so tun, und wer in lokalen Kreisen den Ton angibt.» Dabei verfolge er regionale Politik und Wirtschaft zusammen mit regionalem Sport: «Ich kenne ja einige ‹Athleten› persönlich und lese auch die Geburts- und Todesanzeigen», sagt Walter Geissbühler weiter. Auch pflegt er Kontakte zu seinen Verwandten, die ebenfalls in dieser Umgebung zu Hause sind. «Gelegentlich finden auch Klassen-Zusammenkünfte statt, wenn ich die Region besuche.» Seit seiner Auswanderung habe Walter Geissbühler die Schweiz etwa zehn Mal besucht. Die Besuchsgründe dafür seien unterschiedlich wie etwa für Hochzeiten und hohe «runde» Geburtstage, aber auch Feste waren schon Gründe für einen Besuch. «Seit der Pandemie bin ich nicht mehr ausser Landes gereist, da ich denke, dass die Einreise in die Schweiz zu diesem Zeitpunkt problematisch sein könnte.»

Das «Derzue-ghöre»-Gefühl
Wird in Kanada etwas über die Schweiz gesagt, denken viele zuerst an Schweden. Das Leben in Kanada sei wie an vielen Orten von der Masken-Pflicht, dem Händewaschen, dem sozialen Abstand und den Grippe-Impfungen als ständige Ermahnungen in den Medien geprägt. Am Leben in der Schweiz vermisse Walter Geissbühler vor allem das lokale «Derzue-ghöre»-Gefühl. «Beim letzten Schweizer-Besuch ­waren wir mit anderen Kanadiern am Jodlerfest, und obgleich wir keine ­Jodlerfans sind, die Freundlichkeit und Glückseligkeit überall waren überwältigend», schwärmt er. Ausserdem ­findet er, dass die soziale Verantwortlichkeit in der Schweiz viel höher ist als in Kanada. «Arbeiten muss man überall», betont er und sagt: «Man ist in Kanada, was man hat, wie in der Schweiz auch.» Diese soziale Verantwortung, die ihn damals fast erdrückte, vermisse er nun – jetzt wo sie nicht mehr existiere. Verzichten könne er aber gut auf den polarisierenden Rechtstrend in der Schweiz: «Er erinnert mich an ein Wir-gegen-alle, wie wir es aus der amerikanischen Politik kennen», weiss Geissbühler.
Wie dem auch sei, er und seine Frau Marilyn sind mit ihren beiden Hunden in British Columbia im Leben angekommen: «Ich denke kaum, dass wir jemals wieder in die Schweiz zurückkehren werden. Allein schon deswegen, weil die Altersversorgung dafür nicht ausreichen würde.»

Von Chantal Bigler