• So dürfte sich das Schuhcafé Caspar an der Marktgasse 13/15 in Huttwil dereinst präsentieren. · Visualisierung: breitengrad47, Adrian Wüthrich, Huttwil

20.11.2019
Huttwil

«Die Philosophie bleibt über die Gasse»

Kaum weiss sie ihr mit Herzblut aufgebautes Geschäft, die Boutique Naturel, definitiv in anderen guten Händen, geht Christina Büchi mit Feuer und Flamme ihr nächstes Projekt an. In der Liegenschaft Caspar Minder an der Marktgasse 13/15 in Huttwil will sie anfangs März 2020 das Schuhcafé Caspar eröffnen. Dies nach derselben ethischen Philosophie, die in der Boutique Naturel herrscht.

«Wenn ich auf Empfang bin, kommt immer etwas zu mir.» Das sagte Christina Büchi, als sie im Spätsommer ihre Boutique Naturel am Huttwiler Brunnenplatz an Barbara Weber übergab (der «Unter-Emmentaler» berichtete). Damals müssen einzelne Puzzle-Teile von diesem «Etwas» bereits bestanden haben, wenn auch noch undefiniert. Doch zwei Stunden, nachdem sie das Inventar der Boutique Naturel übergeben und alles unterschrieben hatte, nachdem sie «so frei» war wie seit Jahrzehnten nicht mehr, lag das «Puzzle» schon ganz schön komplett vor ihr. «Ich spürte: Das ist es.»

Kaffeehaus-Kultur
Mit ihrem Mann Stefan Büchi war sie anfangs Jahr in Wien. «Wir haben die dort herrschende Kaffeehaus-Kultur sehr genossen.» Ohne allerdings schon konkret mit dem Gedanken zu spielen, dereinst im Städtli selbst für die Kaffeehaus-Kultur zu sorgen. Denn damals stand sie selbst noch an der Front der Boutique Naturel. «Wenn man nicht ganz frei ist, ist man nicht offen für Neues.»
Dennoch liess der Gedanke sie nicht los. Im Gegenteil – es gesellte sich ein zweiter dazu: Schuhe. Und alles natürlich nach der Philosophie der Boutique Naturel. Das heisst: Design gepaart mit Handwerk – Qualität statt Eintagsfliegen – sozialverträgliche Produkte – dazu Ruhe und Zeit haben, das sind die wichtigsten Leitlinien in der Boutique Naturel und sie sollen es auch im Schuhcafé Caspar sein. Dann war ja noch das aktive Mitwirken von Christina Büchi in der Städtliwerkstatt, die Huttwil neuen Elan, neue Attraktivität, neues Ansehen und neue Begehrtheit schaffen soll.
Sprich – etwas aus den vorhandenen Strukturen machen, dabei die Schönheiten der Städtlikulisse und der ländlichen Umgebung nutzen, mit Taten anstatt mit Worten auftreten.
So krönte denn die initiative Geschäftsfrau den Abschluss ihrer Geschäftsübergabe damit, dass sie kurze Zeit später wieder vor ihre Nachfolgerin trat und fragte, was diese davon halten würde, wenn vis-à-vis, so quasi diesseitig von der «Gasse», ein «Komplementär-Geschäft» zur Boutique Naturel eröffnet würde. Mit anderen Angeboten, aber der genau gleichen Philosophie. Barbara Weber hielt auf Anhieb viel davon. «Wenn du ins Schuhgeschäft einsteigen willst, solltest du dich an Frieda Fölmli wenden.» Genau das hatte sich Christina Büchi vorgenommen, denn «Naturel» arbeitete schon seit Jahren mit der Schuhmacherin und Besitzerin des Schuhgeschäfts «gangart» in Menznau zusammen.

Eine etwas andere «gangart»
Dies bedarf allerdings eines kleinen Einschubs: Auf Ende Februar 2020 schliesst Frieda Fölmli das Schuhgeschäft und ihre Schuhmacherei in Menznau. Sie erreicht das Pensionsalter und will «sich erlauben, dieses anzutreten.» Eine Nachfolge fand sich nicht. Der Entscheid fiel allerdings schwer, gehen mit der Schliessung von «gangart» immerhin 111 Jahre Schuhmacherhandwerk der Familie Fölmli zu Ende. Die Geschichte der Schuhmacherfamilie Fölmli wurde zum 100-Jahr-Jubiläum im Jahr 2009 von der Autorin Judith Arlt hautnah im Buch «Die Fölmlis» – eine Schuhmacherfamilie, festgehalten.
Literarisch wird nun auch das Ende von «gangart» begleitet. Judith Arlt schreibt nochmals ein Buch. «friedas gangarten» wird an der Buchvernissage vom 29. Februar 2020 in den Arbeits- und Geschäftsräumen von «gangart» vorgestellt.
An eben diese Powerfrau wandte sich Christina Büchi. Ihr E-Mail erreichte Frieda Fölmli in Deutschland bei der Endbesprechung des neuen Buchs. «Möchtest du meine Geschäftsgotte sein oder hättest du sogar Lust, mitzumachen?» Frieda Fölmli zögerte keine Sekunde. Und die Schriftstellerin musste das letzte Kapitel des Buches neu schreiben, denn die Fölmli-Geschichte findet in Huttwil einen etwas anderen Fortgang.
Klar, dass sich die Ereignisse seither wieder einmal überstürzen. Christina Büchi wandte sich an Markus Minder, den Besitzer der Liegenschaft, welche ihr für das neue Projekt vorschwebte. Auch von ihm erhielt sie sofort eine Zusage, eine begeisterte sogar. «Es gibt so viel Wohlwollen ringsherum, einfach unbeschreiblich», sagt sie gegenüber dem «Unter-Emmentaler».
Eine Woche nach dem E-Mail an Frieda Fölmli sassen die beiden Frauen bereits über den Schuh-Bestellungen – unter anderen Marken werden die Schuhe von Velt, einer Manufaktur aus Othmarsingen, ab 1. März im Schuhcafé Caspar angeboten.
Die Manufaktur wurde von den Designern Patrick Rüegg und Stefan Rechsteiner gegründet, die der Massenproduktion entgegenwirken und Neues, Individuelles schaffen wollen. Dies auf ökologischer und ethischer Basis, denn das Leder für die Velt-Schuhe stammt aus fair geführten Betrieben, vorwiegend aus Deutschland.
«Es ist unglaublich, wieviel ich in den letzten Wochen gelernt habe. Ich bin in eine neue, schöne Welt der Schuhe eingetaucht, habe Menschen getroffen, die für ihr Handwerk brennen. Es ist wunderbar und gibt soviel Energie», strahlt Christina Büchi.
Der Kaffee, der einst im Huttwiler Kaffeehaus serviert werden wird, nennt sich «der Kaffee» und wird im nahen Rüedisbach geröstet. Die Bohnen stammen aus Käufen direkt von den Bio-Plantagen.
Der ganze Betrieb in Rüedisbach wurde auf ökologische Produktion ausgerichtet; Menschen von nah und fern haben die Kaffeerösterei schon besucht, wo nicht «auf Halde» produziert wird, sondern auf Bestellung und frisch ab Rösterei. «Ich werde zwei Sorten beziehen und daraus unsere Kaffee-Spezialitäten zubereiten», freut sich Christina Büchi, die kurz vor der Wirteprüfung steht. Wie stets überlässt sie nichts dem Zufall …
Auch die Kaffeemaschine ist nicht einfach eine «nullachtfünfzehn»-Maschine, sondern eine aus des Fachmanns Hand, der sie selbst zusammengebaut hat: Salvatore Carluccio, der in den Kaffeehäusern weitherum bekannt ist und jede Kaffeemaschine wieder in Gang bringt. Der Mechaniker mit italienischen Wurzeln müsste wohl den Kaffee im Blut spüren …

Der Philosophie treu bleiben
Momentan beschäftigt sich Christina Büchi – nebst viel, viel Administrativem – mit dem Einkauf von Möbeln: Hochwertige, stilgerechte Stühle aus der Brocki, die andere Möblierung neu und modern: «Es ist mir wichtig, dass Altes und Neues sich sinnvoll und schön ergänzen.»
Damit wird dem gehobenen Schuhcafé Caspar anfangs März nichts mehr im Wege stehen. «Ich möchte, dass die Menschen hier ihren Kaffee geniessen, sich treffen, Zeitungen lesen, entspannen können», ist ihr Wunsch. Dies zu Geschäftsöffnungszeiten, während welchen auch der Schuh-Bereich offen ist. Mit dem Wechsel «über d Gass» bleibt Christina Büchi sich selbst und ihrer Philosophie treu.

Von Liselotte Jost-Zürcher