• Martin Keller: «Die Nachfrage nach gesunden, sicheren und qualitativ hochstehenden Lebensmitteln aus der Schweiz ist vorhanden.» · Bild: zvg

30.08.2019
Oberaargau

«Die Region Emmental/Oberaargau ist für die Tierhaltung prädestiniert»

Martin Keller lebte in den ersten Jahren mit seiner Familie in Leimiswil. Heute wohnt er in einem ländlichen Gebiet westlich von Bern. Die Verbindung des Vorsitzenden der Geschäftsleitung der fenaco Genossenschaft zum Emmental/Oberaargau ist bis heute geblieben. «Ich bin ein überzeugter ‹Emmentaler-Fan›», sagt er von sich selbst, nachdem er den Königsweg in der Emmentaler Schaukäserei in Affoltern gegangen ist.

Liselotte Jost-Zürcher im Gespräch mit Martin Keller, Vorsitzender der Geschäftsleitung der fenaco Genossenschaft.

Als gebürtiger Leimiswiler spielen Sie im Monatsinterview im «Unter-Emmentaler» ein «Heimspiel». Was verbindet Sie heute noch mit dem Oberaargau?
Wir sind weggezogen, als ich noch klein war. Somit bleiben aus dieser Zeit leider nur wenige Erinnerungen. Später absolvierte ich bei einer befreundeten Bauernfamilie in Leimiswil den Landdienst und war danach noch einige Male dort, um mitzuarbeiten. Der Kontakt zu dieser Familie besteht bis heute. Wenn ich in der Region bin, «heimelets» mir. Ich finde die Landschaft sehr abwechslungsreich und die Menschen besonders gastfreundlich.

Haben Sie, vielleicht auch im Hinblick auf Ihre Jugendjahre in Leimiswil, einen engeren Bezug zur Landwirtschaft?
Als Kind war es mein Traum, Bauer zu werden. Ich verbrachte viel Zeit in Hindelbank auf dem Hof meiner Grosseltern, den mein Onkel übernahm. Er war auch mein Götti und ein Vorbild für mich. Er hat mir unter anderem vieles über Ackerbau und Schweinezucht sowie den sorgfältigen Umgang mit Tieren, dem Boden und den Maschinen beigebracht. Weil ich wusste, dass ich wohl keinen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen kann, verabschiedete ich mich von diesem Kindheitstraum und studierte stattdessen an der ETH Zürich Agronomie. Dass ich heute mit der fenaco Genossenschaft das grösste bäuerliche Unternehmen der Schweiz führen darf, erfüllt mich mit Freude und Stolz.

Das Umfeld in der Landwirtschaft hat sich in den letzten wenigen Jahrzehnten extrem verändert. Landwirte sind nicht mehr «nur» Bauern und Handwerker, sondern sie müssen auch Initiative als Geschäftsführer auf ihren Betrieben entwickeln. Hier setzt die fenaco ein. Welches sind deren wichtigsten Tätigkeiten im Dienst der Landwirte? Wie wird sie den verschiedenen Interessengruppen unter den Landwirten gerecht?
Der wichtigste Nutzen, den wir als fenaco-LANDI Gruppe für die Bäuerinnen und Bauern bieten, besteht einerseits darin, dass wir im Vorleistungsbereich, also bei den Betriebsmitteln wie Dünger, Pflanzenschutz und Futtermittel oder in der Landtechnik, attraktive Preise, innovative Dienstleistungen und kompetente Beratung bieten. Andererseits vermarkten wir die Produkte, welche die Landwirtinnen und Landwirte uns abliefern. Einen Teil davon veredeln wir selbst zu gesunden, sicheren und qualitativ hochstehenden Lebensmitteln. Am Mehrwert, der dabei entsteht, lassen wir unsere Mitglieder wiederum teilhaben. Als eine weitere zentrale Aufgabe sehen wir es, die Angebotsplanung gemeinsam mit den Produzenten marktorientiert zu gestalten. Wenn Angebot und Nachfrage passen, erhöht dies die Wertschöpfung auf Seiten der Bauernbetriebe.
Zunehmend werden wir auch zu einem Technologieunternehmen. Durch Forschungskooperationen und internationale Partnerschaften machen wir die Chancen der Digitalisierung für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft nutzbar.
Die vielfältigen bäuerlichen Interessen sind in der fenaco gut vertreten. Wir sind ein genossenschaftliches Unternehmen. Über die verschiedenen Gremien nehmen unsere Mitglieder, also die Schweizer Bäuerinnen und Bauern, direkt Einfluss auf unsere Geschäftstätigkeit. Von 19 Verwaltungsmitgliedern führen 12 einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb.

Die bekanntesten «Arme» der fenaco in die Regionen hinaus sind die Landi. Wie einheitlich treten diese auf, respektive wie regional können sie agieren?
Die meisten LANDI sind rechtlich eigenständige Genossenschaften. Je besser unsere Marketingkonzepte funktionieren, desto höher ist deren Akzeptanz in der LANDI Welt. Wir wollen durch Leistung zu Gunsten unserer Kunden überzeugen. Grundsätzlich konzentrieren sich die LANDI auf Geschäftsbereiche und Funktionen, die von der geografischen Nähe und der regionalen Verankerung profitieren: Die Kundenbetreuung im Agrargeschäft etwa, die Führung und Organisation von LANDI und Volg Läden oder der Handel mit Energiedienstleistungen. Die fenaco übernimmt mit ihren spezialisierten Geschäftseinheiten Aufgaben, die wesentliche Skaleneffekte mit sich bringen, wenn sie national oder sogar international koordiniert werden: Die Beschaffung, die Produktion, die Veredelung, die Vermarktung, die Logistik, das Marketing sowie zentrale Dienstleistungen wie zum Beispiel IT, Kommunikation und Arbeitssicherheit.

Die LANDI, das heisst die Läden zeichnen sich durch teilweise enorm tiefe Preise aus. Wie ist das möglich? Wie gross ist der jeweilige Anteil an Schweizer-, europäischen und asiatischen Produkten?
Die Toppreise in unseren LANDI Läden sind deshalb möglich, weil die Beschaffung möglichst direkt ab Produktion erfolgt. Weiter sind Sortiment und Organisation schlank und wir haben unsere Prozesse im Griff. Über die Hälfte des Einkaufsvolumens stammt aus der Schweiz. Das finde ich für ein Haus- und Gartensortiment beachtlich. Ausschliesslich von Schweizer Produzenten stammen beispielsweise Äpfel, Kartoffeln, Zucker, Rapsöl, Mehl und Apfelsaft. 100 Prozent der Holzpellets in Kleinpackungen sowie zwei Drittel des Brennholzes kaufen wir von Schweizer Produzenten. Viele Produkte werden allerdings in der Schweiz gar nicht mehr oder nicht in genügender Menge hergestellt. Rund ein Drittel des LANDI Angebots kommt aus Europa. Asiatische oder andere Produkte aus Übersee machen weniger als ein Fünftel aus.

In einem Vortrag in Affoltern i.E. sprachen Sie unter anderem über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Sie sagten damals, dass der Einsatz von Pestiziden zurückgehen müsse. Kann die fenaco diese Entwicklung steuern?
Die fenaco will die Führungsrolle im alternativen Pflanzenschutz der Schweiz einnehmen. Dies ist eines unserer 14 Nachhaltigkeitsziele. Wir unterstützen den Aktionsplan Pflanzenschutz des Bundes. Zusammen mit Agroscope sowie der ETH Zürich forschen wir an innovativen Methoden, um den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Wir testen laufend neue Technologien wie Drohnen, Roboter und alternative Pflanzenschutzmittel, um den Schweizer Landwirtinnen und Landwirten auch in Zukunft die besten Lösungen anzubieten. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Multikopter, der für die biologische Schädlingsbekämpfung auf Maisfeldern eingesetzt wird. Die kleine Drohne wirft über den Feldern punktgenau Eier der nützlichen Schlupfwespe ab. Diese vernichtet die Eier des schädlichen Maiszünslers. Das Konzept ist ökologisch, einfach und arbeitssparend.
Insgesamt sehe ich die Schweizer Landwirtschaft auf Kurs. In den letzten zehn Jahren ging der Einsatz von chemischen Pflanzenzschutzmitteln um über ein Viertel zurück. Diesen Weg müssen wir weiterverfolgen. Ein totaler Verzicht auf diese Mittel ist heute noch unrealistisch. Es gibt insbesondere bei Obst, Gemüse, Kartoffeln, Zuckerrüben und Weinreben Krankheiten und Schädlinge, die sich mit alternativen Methoden kaum oder gar nicht bekämpfen lassen.

Wie agiert die fenaco auf politischer Ebene?
Die fenaco Genossenschaft äussert sich in der Regel nicht zu politischen Fragen. Sie überlässt dies den politischen Akteuren. Wo sinnvoll engagieren wir uns in Verbänden, um die unternehmerischen Interessen der Schweizer Bäuerinnen und Bauern einzubringen. Im Fall der Trinkwasser- und der Pestizidverbots-Initiative beispielsweise schliesst sich die fenaco der ablehnenden Haltung des Schweizer Bauernverbands SBV an und engagiert sich aktiv dagegen. Diese radikalen Initiativen würden die produzierende Schweizer Landwirtschaft, für welche sich die fenaco einsetzt, stark gefährden. Damit wäre die Versorgung der Schweiz mit gesunden, sicheren und qualitativ hochstehenden Schweizer Lebensmitteln, welche heute einen Anteil von rund 50 Prozent an der Gesamtversorgung der Bevölkerung beträgt, infrage gestellt.

Die fenaco ist in den vier Geschäftsfeldern Agrar, Detailhandel, in der Lebensmittelindustrie und in der Energie tätig. Wie stark fliessen diese vier Bereiche ineinander?
Unsere vier Geschäftsfelder bewegen sich entlang einer Wertschöpfungskette. Entsprechend greifen sie ineinander und lernen voneinander.
Wir stehen mit allen Wertschöpfungsstufen der Land- und Ernährungswirtschaft in Berührung und kennen daher deren Anforderungen und Bedürfnisse. Mit den steigenden Ansprüchen der Konsumentinnen und Konsumenten an die Rückverfolgbarkeit und Transparenz erweist sich unser Slogan «de la terre à la table» als absolut zukunftsweisend. Die Diversifizierung in die vier Geschäftsfelder sorgt zudem für eine stabile Unternehmensentwicklung, auch wenn in einzelnen Märkten zwischenzeitlich Turbulenzen auftreten.

Die fenaco macht immer wieder mit der Übernahme von Firmen und Unternehmen von sich reden. Schweizweit, aber auch im Ausland. Was sind dabei die Ziele?
Firmenzukäufe – ob im In- oder Ausland – tätigt die fenaco nur dann, wenn sie dem Unternehmenszweck dienen. Unser Wachstum der letzten Jahre war hauptsächlich organisch und unser Fokus ist und bleibt der ländliche Raum der Schweiz. Internationale Geschäftsaktivitäten verfolgen wir primär im europäischen Raum. Der Schritt ins Ausland ermöglicht es uns, Wissen und internationale Kompetenz zu gewinnen, welche für die Schweizer Landwirtschaft relevant sind. Insbesondere der Bereich Landtechnik ist ein stark international getriebenes Geschäft.
Forschung und Entwicklung finden im Ausland statt, wichtige Erkenntnisse – etwa im Bereich Precision Farming – werden auf grossflächigen Einsatzgebieten gewonnen. Hinzu kommt, dass wir im Bereich der landwirtschaftlichen Betriebsmittel im internationalen Wettbewerb stehen. Die Grenzen sind offen. Der Dünger-, Saatgut-, Pflanzenschutz- und Landtechnikbereich ist längst liberalisiert. Um mit den gros-sen, weltweit täti-gen Agrarkonzernen auf Augenhöhe verhandeln zu können, müssen wir die nötige Schwungmasse im Einkauf erzielen.

Die fenaco steigerte 2018 ihren Nettoerlös um gut 8 Prozent. In der Folge konnte sie auch in diesem Jahr eine Erfolgsbeteiligung für Bäuerinnen und Bauern ausrichten. Die Erfolgsbeteiligung wurde 2018 eingeführt und wird als Riesen-Erfolgswelle bezeichnet. Wie wirkt sich diese aus?
Das Interesse der Bäuerinnen und Bauern an der fenaco Erfolgsbeteiligung war bereits bei der Lancierung 2018 zu unserem 25-jährigen Jubiläum gross: Insgesamt registrierten sich rund 12 000 landwirtschaftliche Betriebe. Es freut mich sehr, dass derart viele Bauernfamilien das genossenschaftliche Zeichen der fenaco positiv aufgenommen haben. Wir haben zahlreiche Dankesbriefe, E-Mails, Zeichnungen und andere Rückmeldungen erhalten.
Einige Landwirtinnen und Landwirte nutzten die Gelegenheit, um auch Kritik und Vorschläge an uns zu richten. So ist ein Dialog entstanden, der für die Weiterentwicklung des Unternehmens wertvoll ist. Die Erfolgsbeteiligung führen wir aus diesen Gründen langfristig weiter.

fenaco engagiert sich für eine nachhaltige Mobilität: In Kooperation mit lokalen LANDI sollen bis Ende 2021 rund 20 Schnellladestationen für E-Fahrzeuge in Betrieb genommen werden. Wie weit ist der Stand der Dinge? Was ist diesbezüglich weiter geplant?
Bisher wurden vier Schnellladestationen für E-Fahrzeuge realisiert. Das Vorhaben schreitet planmässig voran. Nebst diesem Engagement im Individualverkehr unterstützen wir auch Massnahmen für einen CO2-neutralen Schwerverkehr in der Schweiz. Dazu haben wir zusammen mit weiteren namhaften Partnern den Förderverein H2 Mobilität Schweiz gegründet. Gemeinsam wollen wir ein flächendeckendes Netz an Wasserstofftankstellen aufbauen.

Nachhaltigkeit ist bei fenaco ein grosses Thema. Dies auf verschiedenen Ebenen. Welches sind zurzeit ihre wichtigsten Anliegen und welche Bemühungen unternimmt die fenaco zur Verringerung des CO2-Aus-stosses?
Die fenaco trägt die Nachhaltigkeit in ihrer DNA. Für die Schweizer Bauernfamilien liegen darin enorme Chancen und Potenziale. Seit 2013 verfolgt die fenaco daher sieben Nachhaltigkeitsschwerpunkte entlang der Bereiche Ökonomie, Soziales und Ökologie. Im abgelaufenen Geschäftsjahr haben wir entschieden, die Verbindlichkeit nochmals zu erhöhen.
Konkret haben wir uns 14 messbare Nachhaltigkeitsziele gesetzt. So wollen wir unter anderem die Wertschöpfung für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft weiter erhöhen, innovative Technologien fördern und das Arbeitsplatzangebot im ländlichen Raum der Schweiz stärken. Auch das CO2-Management spielt in unserer Nachhaltigkeitsstrategie eine zentrale Rolle. Bis 2020 soll der Ausstoss von rund 40 000 Tonnen im Jahr 2013 auf rund 32 000 Tonnen sinken. Das entspricht einem Rückgang von über 1000 Tonnen pro Jahr. Im vergangenen Jahr betrug die Reduktion über 2000 Tonnen. Wir sind also gut auf Kurs, was mich freut.

Ihre Volg Läden erobern insbesondere die ländlichen Gebiete. Mit welchen Ambitionen und mit welchen Erfolgen?
Volg ist mit seiner Nischenstrategie – kleinflächige Läden mit einem Sortiment für den täglichen Bedarf im ländlichen Raum der Schweiz – seit vielen Jahren erfolgreich. Ein Drittel des Angebots machen Frischprodukte aus. Zudem sind wir der Detaillist mit dem höchsten Anteil an Schweizer Produkten. Einige davon werden speziell mit der «Typisch Schweiz – Typisch Volg»-Etikette ausgezeichnet. Volg hat sich in der Deutschschweiz in den letzten 20 Jahren in kleinen Schritten konstant positiv entwickelt. Seit gut fünf Jahren sind wir auch in der Romandie präsent und wachsen beachtlich. Das Konzept wollen wir konsequent weiterführen. Eine expansive Wachstumsstrategie verfolgen wir jedoch nicht. Deshalb würde ich nicht von «erobern» sprechen.

Wie sehen Sie die Chancen für die Landwirte, namentlich der eher kleineren, arbeitsintensiveren Betriebe wie es im Emmental/Oberaargau nach wie vor viele gibt?
Die Nachfrage nach gesunden, sicheren und qualitativ hochstehenden Lebensmitteln aus der Schweiz ist vorhanden. Mehr und mehr Betriebe stellen erfolgreich Spezialitäten her und vermarkten sie über die LANDI, den Volg oder direkt. Die Bauernfamilien geniessen in der übrigen Bevölkerung ein hohes Ansehen, welches nach meinem Eindruck in den letzten zehn Jahren sogar noch gestiegen ist. Das stimmt mich zuversichtlich.
Die Region Emmental/Oberaargau ist für die Tierhaltung prädestiniert, wobei es auch gute Böden für den Ackerbau gibt. Der Bedarf nach Raps steigt seit Jahren, weil grosse Verarbeiter wie das fenaco Tochterunternehmen frigemo für die Pommes Frites und die Firma Zweifel für die Pommes Chips vollständig auf einheimisches Rapsöl umgestellt haben. Auch bei der Geflügel- und Eierproduktion sowie der Mutterkuhhaltung zeigt der Trend nach oben. Die Schweinemast und die Industriemilchproduktion hingegen stossen an Grenzen. Dies gilt leider auch für das «regionale Flaggschiff», den Emmentaler-Käse. Die Differenzierung über eine geschützte Ursprungsbezeichnung und über verschiedene Reifegrade finde ich deshalb vielversprechend. Auch die Verbindung zum Tourismus und den kulturellen Traditionen hat Potenzial. Die Emmentaler-Schaukäserei hat mit dem kürzlich eröffneten «Königsweg» eine eindrückliche Markenwelt für Besucher aus dem In- und Ausland geschaffen. Ich selber bin ein bekennender «Emmentaler-Fan».