• Schon kurze Zeit nach dem Spiel kehrte beim gesamten Team und Staff der Unihockeyvereinigung Skorpion Emmental das Lachen zurück. Gross ist der Stolz über den Gewinn der SM-Silbermedaille nach der besten Saison der Vereinsgeschichte. · Bilder: Stefan Leuenberger, zvg

12.04.2021
Sport

Die SM-Silbermedaille glänzt im Emmental ganz fest golden

NLA Damen, Superfinal: UHV Skorpion Emmental – Kloten-Dietlikon Jets 2:4 (1:1, 0:2, 1:1) – Die klaren Aussenseiterinnen aus dem Emmental haben im Spiel um den Schweizermeistertitel die favorisierten Zürcherinnen während 60 Minuten gefordert. Am Ende siegten die Kloten-Dietlikon Jets gegen die aufopfernd und mit viel Herzblut spielenden Skorpions aus dem Emmental mit 4:2. Für einmal waren auch die Verliererinnen Gewinnerinnen.

Unihockey · «Wir sind Winner – wir sind stolz, ein Skorpion zu sein» – dies war auf den Shirts zu lesen, welche der Betreuer-Staff der «Skorps» einige Zeit nach dem Superfinal auspackte. Und treffender hätte die gesamte Spielzeit der Saison 2020/21 der NLA-Frauenequipe von Skorpion Emmental nicht umschrieben werden können: Es war eine Erfolgsgeschichte, egal mit welchem Ausgang. Und darum konnten sich die «Skorps» dieses Shirt auch nach dem verlorenen Endspiel problemlos überstreifen.

Grösster Erfolg in 18 Jahren
Der Superfinal 2021, das Endspiel um die Schweizermeisterschaft 2020/21, war zweifelsohne der bisher grösste Erfolg der Emmentaler Frauen-Unihockeybewegung, die 2003 gegründet wurde. Die Spielerinnen der Vereine UHC Bowil, UHT Eggiwil, UHT Schüpbach, UHT Uetigen  und UHC Grünenmatt haben sie in jahrelanger Arbeit geformt und mit viel Fleiss und Willen 2011/12 erst in die NLB und 2012/13 dann gleich noch in die NLA geführt. Und sieben Saisons und drei Playoff-Halbfinals später klappte es nun im April 2021 mit dem Motto «Zämä i Finau». Die wegen der Pandemie in dieser Saison «ausgesperrten» Fans haben die «Skorps» auch vor dem wichtigsten Spiel überhaupt getragen: mit Nachrichten, Videos und motivierendem Spalierstehen am Strassenrand während der Team-Anreise ans finale Spiel mit dem Bus.  

Chance um Chance für den Underdog
Dieses alles entscheidende Spiel um den Meistertitel fand am vergangenen Samstag ab 17 Uhr in Winterthur in der AXA-Arena auf grosser Bühne statt. Coronabedingt zwar ohne Publikum, dafür mit ganz viel Kameras, weil die Partie live am Schweizer Fernsehen gezeigt wurde. «Wir haben uns im Fernsehen nicht blamiert», meinte die aus Grünenmatt stammende Lena Baumgartner nach der Partie bescheiden. Alles andere als das. Die Emmentalerinnen kämpften mit grossem Herz und viel Willen in der klassischen David-gegen-Goliath-Rolle. Sie forderten den klaren Favoriten und jetzt achtfachen Schweizermeister Kloten-Dietlikon. «Es ist ein grosser Teil unseres Erfolgsrezepts, dass wir die ‹Skorps› nicht unterschätzt haben und mit viel Respekt aufgetreten sind», sagte Matchwinnerin und Jets-Topskorerin Michelle Wiki, die derzeit beste Schweizer Unihockeyspielerin. Die kommende Saison in Schweden spielende Wiki war es auch, welche nach neun Minuten zuerst ins Netz traf. Doch vorher heizte der hellwache Aus-senseiter mächtig ein. Mit viel Freude und Biss gingen die «Skorps» in die Zweikämpfe. Rezacova (2.), Baumgartner (4.), Kipf (6.) und Sturzenegger (6.) vergaben gute Abschlussmöglichkeiten. Dann ging es schnell. Baumgartner vergab vorne eine weitere Tormöglichkeit. Neun Sekunden später hatte die besagte Wiki einen eiskalt vorgetragenen Konter verwertet.

Nach Startdrittel alles offen
Die Emmentalerinnen liessen sich aber nicht beeindrucken. Nach einem Fehler in der Vorwärtsbewegung konnte die Jets-Goalgetterin Isabelle Gerig alleine auf die «Skorps»-Torhüterin losziehen. Helen Bircher wehrte den Schuss mirakulös mit einem Big Save ab. Nach einem weiteren guten Abschluss von Baumgartner (12.) und einer starken Abwehr Birchers war es dann soweit. «Skorps»-Aktivposten und Energiebündel Lara Kipf kam – wie sehr oft im Finalspiel – an den leuchtgelben Ball, liess Gering mit einer herrlichen Täuschung stehen, zog ab und verwertete schliesslich im zweiten Versuch nach dem Abpraller von Jets-Schlussfrau Monika Schmid (15.). Die dauerhaft strahlende «Skorps»-Spielerin, welcher die Freude über das Dabeisein am Superfinal die ganze Partie über am meisten anzusehen war, wurde schliesslich auch  zur besten Spielerin auf Seiten der Emmentalerinnen ausgezeichnet. «Ich hätte gerne auf diese Ehrung verzichtet und dafür die Partie gewonnen. Über das Tor freue ich mich sehr. Es bleibt ewig in Erinnerung», sagte die 27-Jährige.  Die «Skorps» blieben bissig, glänzten in den Zweikämpfen (kein Zentimeter wurde verschenkt) und setzten etliche weitere Stiche (Schüsse von Rezacova und Captain Liechti, Lattenschuss Baumgartner 24 Sekunden vor der Pause). «Die Chancenauswertung im Startdrittel hätte besser sein können», meinte der «Skorps»-Assistenztrainer Simon Kuert aus Huttwil treffend. Während den ersten 20 Minuten war –  gemessen an der Kaderbesetzung – von der erdrückenden Überlegenheit der Zürcher Unterländerinnen überhaupt nichts zu sehen gewesen.  

Das Mitteldrittel gehörte den Jets
«Das Mitteldrittel war ein bisschen die Schlüsselphase. Da waren die Jets einfach besser», meinte Lena Baumgartner. Beide Teams agierten weiterhin (und bis zum Schluss) bloss mit zwei Linien, weshalb mehr als die Hälfte des Emmentaler Kaders die finale Partie bloss mit Maske von der Ersatzbank mitverfolgen konnte. Trainer Lukas Schüepp und sein Assistent Simon Kuert nahmen grossen Einfluss, analysierten mithilfe des Tablets blitzschnell Spielszenen und zeigten ihren Spielerinnen per Video Verbesserungsmöglichkeiten auf. Gleichwohl übernahmen die Jets nun schrittweise das Diktat. Kloten-Dietlikon gewann mehr Zweikämpfe und liess den Ball deutlich besser zirkulieren. Zwar konnten die Emmentalerinnen sicher aus der Defensive herausspielen – doch im Angriff wurden nun zwingende Chancen wie im Startdrittel seltener, die Kreativität liess nach. Dafür kam die Weltmeisterin auf den Platz gut in Schuss. Die Schwedin Iza Rydfjäll hämmerte den Ball erst an das Lattenkreuz (24.), um dann später aus grosser Distanz die Jets mit 2:1 in Führung zu bringen (28.). Wenig später kam die Heimisbacherin Corina Grundbacher zu einer guten Abschlussmöglichkeit: «Wir haben unsere Haut teuer verkauft und den Gegnerinnen alles abverlangt.» Selbst in der besten Phase der Zürcherinnen passte diese Aussage. Hinten hielt Helen Bircher ihr Team mit etlichen guten Paraden im Spiel. Kurz vor der zweiten Pause zauberten die Jets. Ein Traumpass von Wiki erreichte Sturmkollegin Suter vor dem Tor.  Diese schoss am Tor vorbei, passte den von der Bande zurückspringenden Ball aber retour auf Wiki, die mit ihrem zweiten Treffer den Favoriten 3:1 in Front brachte.         

Packende Schlussphase
Aufopfernd fighteten die Emmentalerinnen auch im Schlussdrittel. Besonders die Rüegsauschacherin Marylin Thomi ärgerte die Jets mit aufsässigem Körperspiel. Eine ihrer vielen spektakulären Aktionen: Hinter dem eigenen Tor luchste die «Skorps»-Verteidigerin Brigitte Mischler den Ball ab und leitete den schönsten «Skorps»-Angriff der Partie über Rezacova, Kipf und der direkt erfolgreich abschliessenden Baumgartner ein (48.). «Mein Schuss war kein Hammer. Umso glücklicher bin ich, dass er rein ging. Der Treffer brachte die Hoffnung zurück», meinte die 25-Jährige. Dann zog Trainer Schüepp seinen Joker. Er liess die von einer Knieverletzung zurückkehrende  Nationalspielerin Nadia Reinhard auflaufen. «Natürlich hätte ich gerne mehr beigesteuert», meinte die Teamälteste. Nach 51 Minuten hatte Thomi backhand eine Ausgleichschance. Der Underdog zeigte viel Herzblut. Ein kleinlich gepfiffener Stockschlag stoppte diese aufopfernde Aufholjagd fünf Minuten vor Schluss. Die Jets-Ausbeute während der Überzahl war mikrig – ein Gegentreffer wurde von den Emmentalerinnen verhindert. Nach einem Time-out ersetzte Trainer Schüepp Goalie Bircher zwei Minuten vor Ende durch eine sechste Feldspielerin. Nach einer ertragslosen ersten Überzahlminute konnte Gerig einen Konter lancieren. Den Abschluss von Suter konnte «Skorps»-Captain Lisa Liechti nur noch mit Bodenspiel im Schutzraum abwehren: Penalty. In ihrem allerletzten Karrierenspiel scheiterte die Jets-Tschechin Martinakova mit einem versuchten Zorro-Move kläglich. Den «Skorps» blieb noch eine Minute, um den Ausgleich zu schaffen. Auch nach 59 Minuten war die Sensation noch möglich. Doch die letzte «Skorps»-Chance vergab Topskorerin Nathalie Spichiger. Im Gegenzug krönte Wiki mit ihrem persönlichen dritten Treffer ins leere Tor ihre Schweizer Unihockeykarriere – und sicherte den Jets nach heroischem Kampf des Aussenseiters mit einem 4:2-Sieg doch noch den achten Schweizermeistertitel.

Herzlicher Empfang
Nach der Schlusssirene flossen Tränen. Aber nur kurz. Die Enttäuschung bei der Unihockeyvereinigung Skorpion Emmental wich rasch der Freude über eine Saison der Superlative. «Ich hätte nach der WM-Silbermedaille mit der Nati gerne mit dem Verein eine goldene Auszeichnung geholt. Trotzdem dürfen wir stolz sein über das Geschaffte», sagte Nadia Reinhard, die mit Captain Lisa Liechti und Topskorerin Nathalie Spichiger in der Nati spielt.  Gleich nach der silbernen Medaillenübergabe bildeten die «Skorps» auf dem Spielfeld einen Kreis. Und Teamchef Lukas Schüepp meinte lobend: «Heuer hat es nicht geklappt. Nächstes Jahr wird es aufgehen.  Ich bin mega stolz auf euch Frauen. Wir sind die Gewinner dieser Saison und geniessen diesen Tag.» Herzhaft wurden die Vize-Schweizermeisterinnen daheim empfangen. «Vor unserer Heimhalle haben die Fans eine Allee mit Zuckerstöcken gebildet. Es war wunderschön», berichtete Corina Grundbacher. Coronabedingt wurde die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte in der Ballsporthalle Zollbrück nur mit Team und Staff bis in die Morgenstunden gefeiert. Ein kleiner Trost: Wenn die Emmentalerinnen dann einmal den Meistertitel holen, werden sie diesen auch mit den Fans feiern können. Und sowieso: Die goldenen Meisterhütchen 2021 hätten so überhaupt gar nicht ins Emmental gepasst … 

    
Matchtelegramm:
10. April. – AXA-Arena, Winterthur. –  SR: Crivelli/Rampoldi. – Keine Zuschauer (nur Staff/Medienleute). –  Tore: 9. M. Wiki (I. Gerig) 0:1. 15. L. Kipf (S. Sturzenegger) 1:1. 28. I. Rydfjäll (M. Wiki) 1:2. 39. M. Wiki (J. Suter) 1:3. 48. L. Baumgartner (L. Kipf) 2:3. 60. M. Wiki (I. Rydfjäll) 2:4. –  Strafe: Emmental 1x 2 Minuten. – Skorpion Emmental: Helen Bircher; Marylin Thomi, Sina Sturzenegger; Lucie Rezacova, Lara Kipf, Lena Baumgartner; Nikol Perkarkova, Lisa Liechti; Nathalie Spichiger, Corina Grundbacher, Sonia Brechbühl. – Kurzeinsätze: Selma Bergmann, Nadia Reinhard. – Keine Einsätze: Naja Ritter, Doris Berger, Aline Marti, Michelle Gerber, Sarah Aeschbacher, Jolanda Maurer, Janine Thomi, Jasmin Bieri, Sandra Briggen, Elina Jeige. – Staff: Lukas Schüepp (Trainer), Simon Kurt (Assistenztrainer), Markus Meyer (Assistenztrainer), Stefan Kneubühler (Athletiktrainer), Elisabeth Meyer (Teammanagerin), Verena Schär (Physiotherapeutin), Rommy Brügger (Physiotherapeutin). – Bemerkung: Michelle Wiki (Jets) und Lara Kipf (Emmental) als beste Spielerinnen ausgezeichnet.  

Von Stefan Leuenberger