• Kilian Ziegler, Poetry Slam Schweizermeister 2018, möchte im März in Luzern seinen Titel verteidigen. · Bild: Leroy Ryser

22.02.2019
Region

«Die Sprache ist meine Knetmasse, mein Spielplatz»

Der «Unter-Emmentaler» im Interview mit einem Sprachakrobaten: Kilian Ziegler ist Poetry Slam Schweizermeister 2018. Im März will der Slamer und Kolumnist aus Olten in Luzern seinen Titel verteidigen. Die Herausgabe seines Buches «Vorübergehend stehen bleiben» und nicht zuletzt auch die Moderation einer Ausgabe des People Magazins «Glanz und Gloria», Ende Oktober 2018 bei Fernsehen SRF 1, haben ihn zusätzlich bekannt gemacht. Unter anderem tritt Kilian Ziegler am kommenden Dienstag, 26. Februar, im Chrämerhaus in Langenthal und am Samstag, 9. März, im Schloss Sumiswald auf.

 

Liselotte Jost-Zürcher im Gespräch mit Kilian Ziegler, Schweizermeister Poetry Slam

Wie wird man Slam Poet?
Das ist im Prinzip sehr einfach. Man schreibt einen Text, macht an einem Slam mit. Das kostet nichts, es benötigt keine Teilnahme-Qualifikation, Jung und Alt können teilnehmen, mittlerweile gibt es ja sogar viele «U20-Ligen». Ich selbst war eher ein «Spätzünder». Ein Kollege nahm mich zu einem Slam mit, meinte zu mir: «Das könnte dir gefallen.» Effektiv hat mich das sofort begeistert. Es ist lustig, man ist nah am Publikum oder eigentlich mitten drin, und ich nahm an weiteren Slams teil. So wurde ich Slamer.

Heute ist es Ihr Beruf, Sie haben mit Poetry Slam sogar Karriere gemacht.
Bei den meisten ist es ein Hobby, sie machen es neben Beruf, Schule oder Studium. Bei mir ist es zum Beruf geworden. Das hat sich so ergeben, einfach, weil immer mehr Auftritte dazu kamen. Ich war noch im Soziologie-Studium, als ich mit Slammen begann. Nach dem Studien-Abschluss lic. phil. – heute würde man Master sagen – war ich bereits Profi-Slamer und konnte davon leben. Der Übergang vom Studium zum Slammen verlief fliessend. Hätte ich bereits in einem erlernten Beruf gestanden, wäre ich wohl zu fest «Schisshase» gewesen, um das geregelte Erwerbsleben aufzugeben und hauptberuflich auf Poetry Slam umzusteigen.

Sie leben dazu ja auch in der richtigen Region. Olten und auch der angrenzende Oberaargau sind Slam-Hochburgen. Könnte man sagen, hier war die Wiege des Poetry Slam?
Poetry Slam ist hier tatsächlich sehr verbreitet. Wo aber die Wiege stand, ist kaum auszumachen. Bern und St. Gallen sind weitere Hochburgen, und in Deutschland gibt es das schon sehr lange. Sicher ist jedoch, dass einige sehr gute Slamer in Langenthal ihre Wurzeln haben. Etwa Valerio Moser, der aktuell den Poetry Slam sehr fördert. Auch der bekannte Buchautor Pedro Lenz, der in Langenthal aufwuchs und heute in Olten lebt, begann ja seine Karriere als Slamer. Ebenso Knackeboul. Das Slammen spricht viele Menschen an. Man darf schreiben, von was man will, die Themen sind unendlich. Das geht vom Teddy-Bären, den man zum Leben erweckt, bis hin zur politischen Aktualität.

Schreiben Sie alle Texte selbst?
Ja, das ist die wichtigste Regel im Poetry Slam. Es gibt zwar mittlerweile Comedians, die einen Ghost Writer haben, aber ich würde mich sehr schlecht fühlen, wenn jemand die Texte für mich schreiben würde.

Und Ihre Performance? Arbeiten Sie diese selbst aus?
Ja, nach dem Motto «Learning by doing». Ich lerne die Texte vor den Auftritten auswendig. Wenn man einen neuen Text erstellt hat, weiss man aber noch nicht, ob er beim Publikum ankommt. Je besser er ankommt, je mehr motiviert das auch zu Gestik – das ist sehr intuitiv. Ein Schauspieler würde es vielleicht anders machen. Aber das ist es, was mir am Poetry Slam gefällt: Die Aussagen sind niederschwellig, haben etwas Unschuldiges, das Publikum fühlt sich mittendrin. Das ist wohl eines der Geheimrezepte des Poetry Slams.

Das heisst, Ihre Performance ist spontan und durch das Publikum beeinflusst?
Ja, sicher. Die Texte sind zwar vorbereitet, es ist kein Impro-Theater, und ein Slam dauert nicht länger als sechs Minuten, da bleibt nicht viel Raum. Dennoch kommt es manchmal zu Improvisationen, vor allem bei «Running Gags», und wenn das Publikum toll mitmacht. Das Publikum reagiert sehr verschieden. Manchmal ist es ruhig, scheint fast unbeteiligt, oft lacht und klatscht es. Das hängt nicht zuletzt mit dem Wochentag zusammen. Am Mittwochabend sind die Leute anders als am Freitag- oder Samstagabend. Aber wenn die Texte lustig sind und die Leute lachen, gibt das ein gutes Gefühl. Ich mache zwar auch ernste Beiträge, das ist das Leben. Aber grundsätzlich ist es mir ein grosses Anliegen, dass die Menschen an einem Poetry Slam den Alltag für einige Stunden hinter sich lassen können, lustig sind und Spass haben. Ich würde nie ein Programm machen, das von A bis Z ernst ist. Die Leute sollen etwas zum Lachen haben.

Was sind denn Ihre Lieblingsthemen?
Die Sprache ist meine Knetmasse, mein Spielplatz. Es sind die Wörter, mit denen ich spiele. Meine Themen sind Dinge, die mich beschäftigen, Gedanken, an welchen ich «Fleisch am Knochen» finde, Ideen, die einfach entstehen. Diese gilt es so zu verpacken, dass die Leute es mögen.

Wenn ich an Mani Matter denke, ist Poetry Slam eine moderne Art von Troubadour?
Ja, das würde ich unterschreiben. Das «Spoken Word» ist zwar gesprochen und hat nichts mit Musik zu tun. Aber Mani Matter wäre bestimmt ein hervorragender Slamer geworden. Etwa Franz Hohler, eines meiner Vorbilder, war ja ein Vorgänger des Slams. Troubadours und Slamer haben viele Berührungspunkte.

Haben Sie schon in der Kinder- und Jugendzeit gerne geschrieben und sich präsentiert?
Nein, eben nicht. Darum sage ich auch, ich bin ein Spätzünder. Als Kind schrieb ich manchmal Geschichten, und so mit 16, 17 Jahren packte mich plötzlich das Rappen, zusammen mit einigen Kollegen. Wir waren ein Trio. Unsere Auftritte waren immer ein riesiges Highlight für uns. Das vermittelte mir wohl die Affinität zur Bühne, bereitete mir grossen Spass. Heute steht fast täglich ein Auftritt an, und ich geniesse die Bühnenpräsenz nach wie vor.

Sie haben Franz Hohler als Vorbild erwähnt. Haben Sie weitere Vorbilder?
Nicht explizit. Aber es gibt, etwa mit Renato Kaiser oder Gabriel Vetter, natürlich hervorragende Künstler, die auch meine Arbeit prägen.

Sie sind amtierender Schweizermeister im Poetry Slam. Die nächste Schweizermeisterschaft steht im März an. Möchten Sie Ihren Titel verteidigen?
Ja, das wäre natürlich schön. Die Schweizermeisterschaft findet dieses Jahr in Luzern statt. Aber das wird schwierig, die Konkurrenz schläft nicht, es hat sehr viele gute Slamer. Ich meinerseits hatte ein sehr schönes Jahr als Schweizermeister. Wenn ich den Titel abgeben muss, werde ich nicht allzu traurig sein. Aber ihn zu verteidigen, wäre natürlich toll.

Eigentlich ist eine Schweizermeisterschaft ja das Gegenteil vom freien, offenen Charakter des Poetry Slams?
Das kann ich nicht abstreiten. Aber von den Auftritten an einem «gewöhnlichen» Poetry Slam redet am nächsten Tag kaum noch einer. Es geht dabei mehr darum, das Publikum gefangen zu nehmen, es zu begeistern und ihm lustige Stunden zu bereiten. Es ist ein freundschaftlicher «Wettbewerb». Die Schweizermeisterschaft ist der einzige Slam, bei dem es um mehr geht. Man ist noch ambitionierter. Gerade wenn man davon lebt, ist Schweizermeister ein wichtiger Titel, öffnet viele Türen.

Wie entscheidet die Jury?
Es gibt keine Jury. Das Publikum ist die Jury. Wenn es nicht so wäre, wäre es nicht echter Poetry Slam. Leute aus dem Publikum werden willkürlich ausgewählt, die dann Punkte zwischen 1 und 10 abgeben. Die beste und die schlechteste Bewertung werden jeweils gestrichen. Der Sieger wird aus dem Punktetotal ermittelt. Das funktioniert recht gut.

Haben Sie ein Management, oder erledigen und organisieren Sie alles selbst?
Ja, mein Management nimmt mir viel Arbeit ab, auch in Bezug auf die Verhandlungen für die Gagen. Da wäre ich selbst sehr schlecht. Ich glaube, ohne Management könnte ich nicht vom Slammen leben. Dazu verschafft es mir ein grosses Netzwerk, von dem ich profitiere.

Ist die Arbeit eines Slam Poeten nicht anstrengend und ermüdend?
Ja und Nein. Die Auftritte auf der Bühne bereiten mir grossen Spass, sie verleiden mir nie. Wirklich anstrengend aber ist das Reisen. Jeden Tag Zug fahren, manchmal noch im Pendlerverkehr, das «hängt an». Dabei wähle ich bewusst den ÖV. Ich habe keinen Fahrausweis. Gerade nach Auftritten lässt die Konzentration nach, dann ist es besser, sich dem Zug anvertrauen zu können. Texten kann ebenfalls anstrengend sein, es ist etwas Einsames. Wichtig ist es, sich Freiraum zu schaffen für Freunde und für die Familie.

Wo sind Ihre nächsten Auftritte?
In Ihrer Region – der Interviewtermin hat perfekt gepasst. Morgen Sonntag, 24. Februar, in der Stadtbibliothek Burgdorf (Wort am Sonntag, Slam-Show), am Dienstag, 26. Februar, im Chrämerhaus, Langenthal (Roast: Knackeboul), dann weiter in Luzern, Rapperswil, Olten und schliesslich am Samstag, 9. März, im Rittersaal im Schloss Sumiswald (Schloss-Slam).