• Nach 216 Töffrennen auf der grossen Bühne sagt der Rohrbacher Dominique Aegerter dem Moto2-Zirkus (vorerst) auf Wiedersehen. Kommende Saison wird er mit einem Elektro-Motorrad den sechs Rennen umfassenden Weltcup bestreiten. · Bilder: Keystone

14.11.2019
Sport

«Domi» sattelt auf ein Elektro-Motorrad um

Dominique Aegerter, Moto2-WM-Pilot aus Rohrbach – Der 29-jährige Rohrbacher Töffpilot Dominique Aegerter bestreitet am Sonntag in Valencia sein 216. und vorübergehend letztes Strassen-WM-Töffrennen. Ein neuer Vertrag mit seinem Rennstall MV Agusta Forward kam nicht zustande. Nun wird der Rohrbacher im Jahr 2020 den nur sechs Rennen umfassenden MotoE-Weltcup bestreiten.

Motorsport · Wie gross ist Ihre Enttäuschung, der Frust, am Sonntag in Valencia dem grossen WM-Töffzirkus nach 14 Saisons Adieu sagen zu müssen?
Die Enttäuschung ist schon vorhanden, ganz klar. Wie es dazu gekommen ist, macht mir keine Freude. Dabei habe ich doch viel Zeit, Herzblut und auch Geld in das Projekt MV Agusta investiert. Ich war gewillt, längerfristig mitzuhelfen, die Traditionsmarke nach 42 Jahren Töff-WM-Absenz wieder voran zu treiben, zu etablieren.
 
Was ist der Hauptgrund, dass das 216. Rennen ihrer Strassen-WM-Karriere, die mit dem 125 ccm-GP in Portugal am 15. Oktober 2006 (25. Rang) begann, ihr (vorübergehend) letztes sein wird?
Ich konnte einfach nicht genügend Sponsoren finden, welche notwendig wären, um eine weitere Moto2-Saison finanzieren zu können.
 
Gab es keine Möglichkeit, die für eine weitere Saison beim Team MV Agusta Temporary Forward Racing notwendigen 300 000 Franken aufzutreiben?
Nein. Ich habe mit Crowdfunding schon einmal ganz viel Geld gesammelt. Diese Quelle ist für mich erschöpft. Zu bedenken gilt es auch, dass ich den Lohn meines Bruders und jenen meines Managers ebenso selber berappen muss wie die Reisen und die Trainingskosten. Es war finanziell einfach nicht mehr machbar.
 
Kritiker meinen, dass Ihr Manager Oliver Imfeld bei den Verhandlungen um einen Vertrag für 2020 keine grosse Hilfe war.
Natürlich ist es nicht einfach, als Quereinsteiger im Töffbusiness Fuss zu fassen. Es ist aber auch so, dass ich mir etwas mehr erhofft hatte. Wir konnten keinen einzigen neuen Partner verpflichten.
 
Ist es auch Ihre Leistung, die Ihnen das Genick gebrochen hat? Nur 2007 – in Ihrer allerersten kompletten 125 ccm-Saison notabene – haben Sie weniger Punkte gesammelt als 2019. Ausserdem ist Ihnen Ihr Teamkollege Stefano Manzi mit dem gleichen Material von MV Agusta Temporary Forward Racing zuletzt immer um die Ohren gefahren.
Es ist sehr frustrierend, wenn es sportlich nicht läuft wie vorgesehen. Ich hatte grosse Mühe mit den neuen Teilen. Ausserdem war mein Kopf nicht frei. Die Erfolglosigkeit nagte schon an mir. Obwohl ich immer alles gegeben habe, blieben die Resultate meist aus. Top-5-Ergebnisse wären sicher hilfreicher gewesen.
 
Ihr jetziges Team setzt die kommende Moto2-Saison auf den Italiener Simone Corsi. Verärgert Sie dies?
Es ist mir egal, welcher Fahrer meinen Platz erhält. Es ist mir aber nicht egal, auf welche Art das Team diesen Wechsel kommuniziert hat. Tatsache ist, dass es mir zu den geforderten Konditionen nicht möglich war, weiter zu machen.
 
Wie hart wird es für Sie sein, ab kommender Saison nicht mehr im weltweiten Rampenlicht des Strassen-WM-Töffzirkusses zu stehen?
Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mich damit zu befassen. Wie ich darauf reagiere, wird sich im Frühjahr zeigen, wenn die neue Moto2-Saison ohne mich beginnt.

Die Abschiedsvorstellung folgt am Sonntag. Bei Ihrem allerersten Valencia-Start vor 13 Jahren beendeten Sie das 125 ccm-Rennen auf dem 29. Rang. Am Sonntag darf etwas mehr erwartet werden …
Auf jeden Fall. Es soll ein schöner Abschluss mit einem guten Resultat werden. Ich möchte meinen Sponsoren und Fans, die vor Ort sein werden, etwas bieten.
 
Sie haben bereits 1995 als Fünfjähriger Töffrennen bestritten. Seither hat sich Ihr Leben fast ausschliesslich um das Töfffahren gedreht. Da ist es undenkbar, dass Sie dem Töffsport komplett den Rücken kehren. Was tut Dominique Aegerter im Jahr 2020?
Ich werde 2020 beim Deutschen Intact-Team den MotoE-Platz von Jesko Raffin übernehmen.
 
Der MotoE-Weltcup ist eine komplett andere Welt und wird kaum beachtet. Ist dieser Abstieg nicht frustrierend?
Ich liebe Motorenlärm und Benzingestank. Natürlich dürfte es nicht einfach werden. Es ist für mich aber derzeit die einzig denkbare Möglichkeit, im Töffzirkus zu bleiben. Alles was ich doch will, ist Spass haben am Töfffahren. Und dies wird auch auf einem E-Bike möglich sein.
 
Der MotoE-Weltcup 2020 besteht nur aus sechs Rennen in Spanien, Frankreich, Holland, Österreich und Italien (zwei Rennen). Was wollen Sie denn die ganze restliche Zeit über tun?
Ich möchte natürlich auch als Testfahrer zu Einsätzen kommen. Weiter erhoffe ich mir sehr, als Ersatzfahrer auch wieder zu Moto2-Einsätzen zu kommen.
 
Dann müssen Sie aber darauf hoffen, dass sich beim Dynavolt Intact GP-Team einer der beiden Moto2-Piloten Tom Lüthi oder Marcel Schrötter verletzt.
Natürlich würde ich mich über Einsätze freuen. Aber als Sportler hofft man nie, dass sich ein anderer Fahrer verletzt.
 
Falls es aber tatsächlich zu einer Verletzung kommen würde: Haben Sie die Garantie, dass dann Sie und nicht ein junger Fahrer als Ersatzmann zum Zug kommen würde?
Ja, die habe ich, weil dies vertraglich so geregelt wurde.
 
Sehen Sie als künftiger MotoE-Pilot andere Chancen, wieder in den Moto2-Zirkus zu rutschen?
Da sind tatsächlich andere Varianten denkbar. Beispielsweise könnte ich für einen Fahrer aufgeboten werden, der mitten in der Saison wegen Vergehen aus dem Team fliegt. Das Gleiche ist bei einem Fahrer denkbar, der die finanziellen Forderungen nicht erfüllt.
 
Der Vetrag ist unterzeichnet. Wieviel Geld mussten Sie für die MotoE-Saison beim Dynavolt Intact GP-Team einbringen?
Keines. Und dies ist der grosse Unterschied zu meinen beiden letzten sehr kostspieligen Moto2-Saisons.
 
Behalten Sie Ihren Manager für die MotoE-Saison, was erhebliche Auslagen bedeuten würde?
Die MotoE-Saison wird nicht am TV gezeigt. Dies bringt total neue Voraussetzungen. So werde ich bestimmt auch mein persönliches Umfeld überdenken.
 
Was können Sie im MotoE-Zirkus verdienen?
Die Prämien für sportliche Erfolge sind sehr klein. Aber auch in der Moto2-WM ist es so, dass das Geld nicht mit Podestplätzen, sondern einzig über die Sponsoren gemacht wird. Ich muss darum schauen, dass mich möglichst viele Sponsoren auch in der MotoE-Klasse unterstützen werden.So, dass ich – im Gegensatz zu den beiden letzten Saisons – auch wieder etwas verdienen kann.
 
Die MotoE-Rennen werden auf Energica-Corsa-Einheitsmotorrädern gefahren. Sind Sie überhaupt schon auf einem solchen Töff gesessen?
Nein, noch nie.
 
Was, wenn Sie damit überhaupt nicht klar kommen?
Ich habe keine Angst davor. Das Töfffahren habe ich sicher nicht komplett verlernt. Weiter finde ich es super, dass alle Piloten den gleichen Töff und die gleichen Reifen fahren werden.
 
Hand aufs Herz: Haben Sie nach dem Moto2-Aus nicht damit geliebäugelt, den Bettel hinzuschmeissen?
Ich trainiere so oft und hart abseits der Töffpiste. Manchmal ist es sicherlich schwierig, sich zu motivieren, wenn es so negativ läuft. Das Töfffahren ist aber meine grosse Passion. Ich will es weiterhin ausüben.
 
Eine Aufgabe hätte ja auch nicht funktioniert. Sie haben keine Ausbildung, können keiner Arbeit nachgehen.
Ach, ich denke, dass ich in all meinen Jahren im Töffzirkus eine ganze Menge gelernt habe. Es sind Erfahrungen, welche mir nach dem Karrierenende zu einer zu mir passenden Tätigkeit verhelfen werden.
 
Wie steht es eigentlich privat. Sind Sie immer noch Single oder gibt es eine fixe Herzdame an Ihrer Seite?
Leider nicht, nein. Ich wäre nicht abgeneigt, eine Partnerin zu finden. Bis jetzt hat es aber einfach noch nicht geklappt.
 
Was erhoffen Sie sich vom Jahr 2020?
Ich erhoffe mir, via MotoE-Rennen zu Einsätzen in der Moto2 zu kommen. Weiter möchte ich einfach wieder mit grossem Spass Töfffahren können. Etwas, was in der vergangenen Zeit nicht mehr zu 100 Prozent so gewesen ist.

Von Stefan Leuenberger