• Über 20 Jahre haben sie sich in der Gemeinde Huttwil ehrenamtlich eingebracht. Nun wollen es Regula und Adrian Berthoud etwas ruhiger angehen lassen. · Bild: Marion Heiniger

11.03.2021
Huttwil

Ein Dankeschön und Lob sind Lohn genug

Sie engagierten sich in der Gemeinde und der reformierten Kirche, setzten sich für den Gotthelfverein ein, vermittelten Tageselternplätze, waren Beistand und aktiv in der Nachbarschaftshilfe. Regula und Adrian Berthoud leisten seit über zwanzig

Jahren in Huttwil ehrenamtliche Arbeit. Nun haben sie im Alter die meisten ihrer Ämter abgegeben. Doch untätig ist das Ehepaar deswegen noch lange nicht. Noch immer kümmern sie sich um ihre Nachbarn und helfen an den Altersnachmittagen mit. Und an der Schule in Schwarzenbach ist «Schulgrosi» Regula Berthoud nach wie vor eine gern gesehene Hilfe für Lehrerinnen und Kinder der Unterstufe.

Was bewegt Menschen dazu, sich ehrenamtlich für die Gesellschaft einzusetzen und ohne eine Gegenleistung zu erwarten, etwas Gutes zu tun? «Eine soziale Ader», sind sich Regula und Adrian Berthoud einig. Doch auch die Wertschätzung ist bei der Freiwilligenarbeit ein wichtiges Element. Sie hält die Motivation hoch und hinterlässt ein gutes Gefühl. Hie und da ein Dankeschön oder ein Lob ist dem Ehepaar Lohn genug. «Wenn ich merke, dass es den Leuten um mich herum gut geht, dann tut das auch mir gut. Geld brauchen wir für unsere ehrenamtliche Arbeit keines», erklärt Regula Berthoud. «Im Gegenteil, es ärgert mich eher, wenn mir jemand Geld zustecken möchte», ergänzt ihr Mann Adrian Berthoud. Zu merken, wann es jemandem nicht gut geht, ist eine grosse Gabe des Ehepaars Berthoud. «Wir gehen dann direkt auf die Leute zu, doch manchmal braucht es seine Zeit, bis sie sich öffnen können», erwähnt Regula Berthoud.

Von Bümpliz nach Huttwil
Vor 22 Jahren ist das Ehepaar von Bümpliz nach Huttwil in das Elternhaus von Regula Berthoud gezogen. In Bümpliz hatten sich beide mehr oder weniger politisch engagiert. Zwar nicht ehrenamtlich und ohne Geld, aber doch kam die soziale Ader bereits damals bei beiden zur Geltung. Als Laienrichterin beim Zivilamtsgericht des Kantons Bern sah Regula Berthoud ihre Chance, den Menschen helfen zu können «Zuerst war ich beim Strafamtsgericht angestellt, doch dort hat es mir nicht gefallen, die Urteile konnte ich häufig nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Als eine Stelle beim Zivilamtsgericht frei wurde, habe ich gewechselt», erinnert sich die gelernte Verkäuferin. Bei Scheidungen oder Kindsanerkennungen konnte sie mehr Gutes bewirken, dort konnte die Lebenserfahrung und der gesunde Menschenverstand bei den Urteilen helfen. Dies entsprach eher ihrer Wesensart. «Das war der ideale Job für meine Frau, ihr schütten die Leute das Herz aus, einfach so, zum Teil auch fremde Leute. Ich weiss nicht, wie sie das macht, aber es ist so», sagt Adrian Berthoud, während er stolz zu seiner Frau hinüberschaut. Sie schaut lächelnd zurück. Er hingegen fühlte sich damals im Berner Stadtrat sehr wohl. In der Finanzkommission und Schulkommission sei er gewesen, verkündet der rüstige Rentner.

Gradlinigkeit und Graubereich
Für Adrian Berthoud muss immer alles gut organisiert und gradlinig sein. Schwarz und weiss entspreche ihm, seine Frau bewege sich dagegen eher im Graubereich. «Sie kann auch nicht streiten, das erträgt sie nicht», sagt Berthoud. «Ja, das stimmt. Lieber nehme ich etwas auf mich, damit kein Streit entsteht», bestätigt seine Frau. Dass Gradlinigkeit und Organisation, aber auch der Kontakt zu den Menschen für Adrian Berthoud wichtig sind, zeigte seine frühere berufliche Tätigkeit. Rasch merkte er, dass sein erlernter Beruf als Werkzeugmacher nicht das Richtige für ihn war. Er war nicht für die Fabrik gemacht. «Ich bin ein kommunikativer Mensch, mir hat das Gegenüber gefehlt. Ich brauchte die geistige Auseinandersetzung mit anderen Leuten», erzählt er. Er wechselte zu IBM als Schreibmaschinenmechaniker. Aber auch das wollte er nicht bis zu seiner Pensionierung tun. «Ich bin nicht sehr geduldig und hatte auch schnell genug von der gleichbleibenden Arbeit. Chancen bot die Weiterbildung in Richtung der aufkommenden Elektronik», sagt Adrian Berthoud bestimmend. Da kam ihm die technische Entwicklung gerade recht. Die Schreibmaschinen, welche anfangs noch etwa einen Monatslohn kosteten, wurden immer günstiger, der Service teurer und somit die Tätigkeit im technischen Aussendienst immer weniger. Dankend nahm er in der gleichen Firma einen Job als System Engineer an und war fortan für die Programmierung und Einführung der aufkommenden Computer zuständig. Er machte Betriebsanalysen und hatte so vermehrt Kontakt zu den Kunden. Mit 55 Jahren ging er frühzeitig in Pension. Noch heute organisiert Adrian Berthoud Ausflüge bis ins kleinste Detail, am liebsten ist er mit seiner Frau und seinen Wanderfreunden unterwegs. «Unsere Bekannten sind froh, wenn ich alles organisiere und sie nur noch mitkommen können», weiss der achtfache Grossvater.

Der Neuanfang
Dass die beiden vor 22 Jahren Bümpliz verlassen haben, um in Huttwil Fuss zu fassen, hatte seine Gründe. «Meine Mutter hatte sich nach einem Sturz den Oberschenkelhals gebrochen, wir haben praktisch im Nullkommanichts Bümpliz verlassen und sind nach Huttwil gezogen, um sie zu pflegen», erzählt die 79-Jährige. Ein Akt der Güte, welcher für beide eine Selbstverständlichkeit war. Nach dem Tod der Mutter übernahmen sie das Haus an der Hofmattstrasse. «Obwohl ich in Huttwil aufgewachsen bin, war es kein Nachhausekommen, sondern ein Neuanfang. Die Kontakte gingen mit den Jahren verloren. Unsere Tochter, sie ist Lehrerin in Schwarzenbach, sagte mir, dass ich selbst etwas unternehmen müsse, um wieder Kontakte zu finden», erinnert sich Regula Berthoud. So hat sie sich mit ihren Erfahrungen als Laienrichterin bei der Sozialkommission gemeldet. Kurze Zeit darauf kamen ehrenamtliche Tätigkeiten in der reformierten Kirche, insbesondere die Mithilfe beim Altersnachmittag, dazu. «Ich wurde auch als Delegierte in den Gotthelfverein gewählt und habe mich dort 20 Jahre lang im Vorstand miteingebracht», erzählt die dreifache Mutter. Nebenbei betreute sie immer wieder Menschen als Beiständin. «Wir haben in der Sozialkommission immer wieder nach Beiständen gesucht, so habe ich auch meinen Mann angefragt. Dazu überreden musste ich ihn aber nicht», sagt Regula Berthoud lachend. Einige Jahre war sie auch im Tageselternverein als Vermittlerin tätig. Geblieben ist ihr eine ehrenamtliche und unterstützende Tätigkeit in der Schule Schwarzenbach. «Für die Kinder der ersten und zweiten Klasse der Primarschule Schwar­zenbach ist meine Frau das ‹Schulgrosi›. Mit ihrer ruhigen und geduldigen Art ist sie bei den Kindern sehr willkommen», erwähnt Adrian Berthoud stolz. «Ich versuche, die gleiche Sprache wie die Kinder zu sprechen und finde so zu ihnen einen Draht», ergänzt seine Frau und kann es kaum mehr erwarten, bis die Corona-Krise endlich vorbei ist und sie wieder nach Schwarzenbach darf. Denn letzthin hat Regula Berthoud von den Kindern aus der Schule Schwarzenbach einen Brief erhalten, in dem stand: Du musst wiederkommen, es ist langweilig ohne dich.

Corona lässt Menschen vereinsamen
Und wie war es für Adrian Berthoud, Bümpliz zu verlassen, um in Huttwil zu wohnen? «Ich habe Huttwil nur von den Wochenendbesuchen gekannt. Wenn man als Auswärtiger in eine neue Gemeinde kommt, muss man sich selbst um die Integration bemühen», war der damals 60-jährige Frührentner überzeugt, der im Kanton Zürich in Kappel am Albis aufgewachsen ist. Adrian Berthoud fand seinen Platz ebenfalls bei der reformierten Kirche. Zehn Jahre lang hat er im Kirchgemeinderat sein Wissen und Können eingebracht und auch die Organisation der Kirchenrenovation innen und aussen übernommen. Ebenfalls war er im Vorstand des kirchlichen Bezirks Oberaargau tätig. Zuerst als Vizepräsident, danach viele Jahre als Präsident. An den Altersnachmittagen holt er noch heute die älteren Leute ab und bringt sie danach wieder nach Hause. «Leider kann ich das im Moment nicht mehr tun. Corona lässt die Leute vereinsamen, die Schäden werden wir noch jahrelang merken», ist Adrian Berthoud überzeugt. Gerade deswegen sei es jetzt wichtig, dass man füreinander da sei und sich wenigstens ab und zu telefonisch melde, wenn man sich schon nicht treffen sollte. «Das ersetzt zwar nicht das Persönliche, ist aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung», beteuern beide.

Aktive Nachbarschaftshilfe
Eine der wertvollsten Arbeiten, die Regula und Adrian Berthoud in den letzten 22 Jahren geleistet haben, war und ist noch immer die Nachbarschaftshilfe. «Ich hatte zeitweise bis zu sechs Schlüssel von den umliegenden Häusern», erzählt Regula Berthoud. Damit die älteren Personen nicht immer allein zu Hause sassen, haben Berthouds sie regelmässig zum Kaffee eingeladen oder ihnen zu Hause Gesellschaft geleistet. Zu jeder Tages- und Nachtzeit waren sie für ihre Nachbarn da. Ein «Nein» gibt es bis heute von Regula und Adrian nicht zu hören. Sie sind sich aber auch selbst nicht zu schade, um Hilfe zu bitten. «Es ist doch immer ein Geben und Nehmen», ist das Ehepaar überzeugt. Noch heute kümmern sich die beiden sehr aktiv um ihren Freundes- und Bekanntenkreis. «Wir sind beide unterdessen schon um die achtzig, da schätzt man die Gesellschaft umso mehr», begründet Adrian Berthoud. Manchmal müsse man die Menschen zu ihrem Glück zwingen, damit sie nicht zu Hause versauern.

Der Zeitpunkt ist da, kürzer zu treten
Unterdessen haben beide ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten reduziert. «Irgendwann hatte ich den Stempel «Alt»», erzählt Adrian Berthoud und hatte das Gefühl, nicht mehr überall ernst genommen zu werden. «Nach zehn Jahren Kirchenratstätigkeit war der Zeitpunkt gekommen, aufzuhören. Meine Wertvorstellungen deckten sich nicht mehr mit den heutigen Wertvorstellungen.» Doch er bedauert es nicht. «Wenn man mich fragt, fahre ich nach wie vor sehr gerne für die Altersnachmittage, ansonsten habe ich im Garten genug zu tun und im Durchschnitt bin ich einmal pro Woche auf dem Napf. Wir haben Glück, auf einem der schönsten Flecken der Erde zu leben», beteuert der 82-Jährige, der letztes Jahr im Sommer das erste Mal Urgrossvater wurde.
Wirft man einen Blick in den grossen Garten hinter dem Haus, kann man Adrian Berthoud verstehen. Ordentlich geschnittene Hecken soweit das Auge reicht. Im Wintergarten stehen unzählige Kakteen, Palmen und auch zwei Zitronenbäume, deren Pflege viel Zeit beansprucht. Auch wenn sie einige ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten aufgegeben haben, geht dem Ehepaar Berthoud die Arbeit angesichts der stark ausgeprägten sozialen Ader und dem grossen Garten wohl noch lange nicht aus.

Von Marion Heiniger