22.11.2019
Huttwil

Ein Landstreifen sorgt für Existenzängste

Die Herdgemeindeversammlung Huttwil bestimmte diskussionslos über das Budget 2020 und den Kauf des Mehrfamilienhauses Ibachstrasse 22/24. Brisanz erhielt das Thema zum Verkauf des Landstreifens zwischen den Firmen Novex AG und Woodwork AG. Die anwesenden Stimmberechtigten lehnten den Landverkauf an die Novex AG/Ergonom AG mit grosser Mehrheit ab.

 

Es war eine spezielle Situation, die der Herdgemeinderat Huttwil (in Abwesenheit des «Unter-Emmentaler») den anwesenden Herdburgerinnen und -burgern zu präsentieren hatte – und schlussendlich brisant genug, um das Thema im Nachgang eingehend zu recherchieren.
Entgegen der Haltung der Herdgemeinde, Land ausschliesslich im Baurecht abzugeben und nicht zu verkaufen, stellte der Herdgemeinderat der Versammlung den Antrag, den Landstreifen zwischen den Firmen Novex AG und Woodwork AG an die Novex AG zu verkaufen. Der Antrag war begründet und beruhte auf einer längeren Vorgeschichte. 1974 hatte die Herdgemeinde mit der damaligen Meer-Möbel AG einen bis 2004 dauernden Baurechtsvertrag abgeschlossen. 1996 ging die Firma in Konkurs. Die auf dem Grundstück stehenden Gebäude und Anlagen wären im Zeitpunkt eines Heimfalls in das Eigentum der Herdgemeinde übergegangen. Dieser eventuelle Heimfall mit 90 % des damaligen Zustandswerts der Gebäude wurde zwischen 10 und 12 Millionen Franken geschätzt. Mit der Novex AG / Ergonom AG fand die Herdgemeinde eine Käuferin, die das Gebäude übernehmen wollte.
Allerdings bestand deren Geldgeberin, laut Botschaft der Herdgemeinde, auf dem Landkauf. Die Herdgemeindeversammlung stimmte dem Verkauf der betreffenden Bodenparzelle (GBBI 2237) im November 1999 zu. Dies mit dem Rückkaufsrecht des südlichen Landstreifens (GBBI 2238) von gut 3000 m², welches die Herdgemeinde dann 2005 auch ausübte. Mit dem Rückkauf wurden der Ergonom AG ein Vor-Baurecht und eine Option Wegrecht an diesem Landstreifen eingeräumt. Dieses Vor-Baurecht läuft Ende 2019 aus. Die Ergonom AG möchte diesen Landstreifen nun kaufen, nicht zuletzt, weil Novex AG per 1. Januar 2020 die Bigla Office AG übernimmt, am Standort Huttwil in Zukunft sämtliche Möbel produzieren und hier auch die 20 bis 30 Mitarbeitenden der Bigla Office AG beschäftigen will. Damit will die Novex AG / Ergonom AG das Areal wieder vollständig selber nutzen.

Ein Spezialfall …
«Dem Herdrat ist völlig bewusst, dass die Herdgemeinde kein Land verkauft. Er hält an diesem Grundsatz weiterhin fest», sagt Rolf Flückiger, Präsident des Herdrats, auf Anfrage des «Unter-Emmentaler». Die Situation sei indessen ein Spezialfall. Ausserdem sei der Landstreifen zwischen den Produk-tionshallen der Woodwork AG und der Novex AG / Ergonom AG für neue Bauinteressenten abzüglich Grenzabstände und Strasse nicht interessant.
Der Herdrat knüpfte den Verkauf des Landstreifens an die Bedingung, dass die Ergonom AG das Land erst mit Beginn der Aushubarbeiten für den Anbau zur Erweiterung der Produktionshalle kaufen kann. Baut die Ergonom AG nicht, würde das Kaufrecht und damit auch der Anspruch auf den Landkauf verfallen.
Mit Entscheid von 47 Nein-Stimmen zu 8 Ja-Stimmen wurde der Verkauf nach einer rund eineinhalbstündigen Diskussion von der Versammlung abgelehnt. «Die Voten zielten allesamt in dieselbe Richtung», hält Rolf Flückiger gegenüber dem «UE» fest. «Ausser dem Spezialfall des Areals Novex AG/Ergonom AG haben alle Industriebetriebe das Land im Baurecht erhalten. Würde der Landstreifen verkauft, könnten diese Betriebsinhaber auf dasselbe Recht pochen und ihr im Baurecht erworbenes Land ebenfalls kaufen wollen.»

… und eine bedrohliche Situation
Während der Versammlung kam unverhofft ein weiteres Interesse ins Spiel: Vehement hatte sich Andreas Ruch, Woodwork AG, gegen den Verkauf und insbesondere gegen die Möglichkeit gewehrt, dass die Novex AG ihre Produktionshalle bis an die Parzellengrenze der Woodwork AG erweitern könnte. Es zeigte sich, dass hier eine weitere spezielle Situation vorliegt. Die Liegenschaft der Woodwork AG liegt nur fünf Meter von der Parzellengrenze entfernt. Die vorbeiführende Strasse liegt rund zur Hälfte auf Herdgemeindeland, die andere Hälfte auf der Parzelle, welche die Woodwork AG im Baurecht erworben und dort im Jahr 2000 ihr neues Werk mit mittlerweile 45 Angestellten errichtet hatte. Die Firma wird inzwischen von den drei Söhnen Christoph, Thomas und Daniel Ruch geführt; die Eltern, Therese und Andreas Ruch, wirken beide noch im Geschäft mit. «Ein Ausbau wäre natürlich nicht möglich gewesen, aber immerhin reicht uns der Platz, um zu manövrieren und Lieferungen annehmen zu können», so Andreas Ruch. Dass die Strasse über die Parzelle der Woodwork AG und parallel über Land führen würde, für welches die Novex AG das Vorbaurecht besitze, sei für die Woodwork AG völlig neu gewesen. «Wir sind davon ausgegangen, dass die Situation mit der Strasse geregelt ist. Vor allem deshalb, weil dieselbe Ausgangslage auf der angrenzenden Parzelle der ehemaligen Flückiger AG, respektive später Schmitz Cargo Bull herrsche. «Mit den Lastwagen waren diese Unternehmen stets darauf angewiesen, über einen Platz von mindestens 16 Metern Abstand zu ihrem Gebäude zu verfügen.» Diese Liegenschaft liegt unmittelbar hinter der Woodwork AG und ist von dieser 2017 übernommen worden.

Immerhin habe die Herdgemeinde im Jahr 2000 alle Verträge mit der Familie Ruch unterzeichnet, bevor diese ihren Neubau im Industriegebiet realisiert habe – einschliesslich dem Überfahrtsrecht über die Nachbarparzelle, «bei welcher es sich aber offenbar um Land handelte, auf welches die Novex AG Anspruch hat. Davon, dass die halbe Strasse und im Extremfall unsere halbe Einfahrt veräussert werden könnten, gingen wir nie aus», so Andreas Ruch. Die Herdgemeinde sei bei jedem baulichen Schritt der Woodwork AG involviert gewesen. Käme es also zu einer Hallenerweiterung der Novex AG bis an die Parzellengrenze der Woodwork AG, «wäre dies für unsere Firma existenzbedrohend», hält Andreas Ruch fest. Denn Warenanlieferungen von dieser Seite her wären nicht mehr möglich, was den Produktionsablauf in der Woodwork AG verunmöglichen würde. Dies habe er der Herdgemeindeversammlung so dargestellt.

Interessiert am Landerwerb
Fakt sei, dass auch die Woodwork AG Interesse habe, die Parzelle im Baurecht zu erwerben. Denn auch sie plant eine Produktionserweiterung mit den erforderlichen Parkplätzen. Sie hat dabei spezielle Pläne: Oben auf der Halle Schmitz Cargobull, die ein undichtes Dach habe, verfolgt Andreas Ruch die Idee, eine Ballsporthalle zu verwirklichen. «Nicht etwa als Konkurrenz zum Campus Perspektiven», wie befürchtet werde. «Wir arbeiten eng mit dem Campus, respektive mit dessen Leiter Lukas Zürcher zusammen. Selbstverständlich werden wir den Campus Perspektiven bei jedem Schritt in Richtung einer Ballsporthalle einbeziehen.»
Diese Idee sei nicht etwa neu: «Eine entsprechende Projektstudie wurde 2014 von der Firma Zaugg AG, Rohrbach, erstellt.» Anfangs Dezember sei eine Sitzung mit Gemeindevertretern und dem Huttwiler Bauverwalter geplant, «um die Zonenkonformität für einen Parkplatz respektive für die Nutzung eines Industriegebäudes auch als Ballsporthalle abzuklären.» Obwohl eine Doppelnutzung der Parkplätze vorgesehen sei, werde die Bewilligung sicher an zusätzliche Parkplätze geknüpft sein, die auf dem Land erstellt werden könnten.
Doch: «Wir würden Hand bieten, die Parzelle längs zu teilen, damit die Novex AG die Möglichkeit hätte, ihr Gebäude bis zur Mitte zu erweitern.» Die Woodwork AG wolle kein Verhinderer sein. «Aber wenn die Novex AG/Ergonom AG die ganze Parzelle erhält und diese mit dem Anbau überbauen würde, wäre unsere Existenz bedroht.» In diesem Fall müsste die Woodwork AG Einspruch erheben und notfalls alle rechtlichen Mittel ausschöpfen. Dies sei nicht etwa eine leere Drohung, sondern für die Firma existenziell. Da die Produktion der Woodwork AG auf eine grosse, fest installierte Infrastruktur angewiesen sei, könne sie auf den Standort Huttwil nicht verzichten. «Das würde einen zweistelligen Mil-lionenbetrag mit sich ziehen.»

Mit positivem Entscheid gerechnet
Frust ebenfalls bei der Novex AG. «Es ist bekannt, dass wir im September die Bigla Office AG übernommen haben. Deren Produktion wird nach Huttwil verlegt, was gegen 30 zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Mittelfristig werden wir deshalb mehr Platz benötigen», sagte Geschäftsführer Thomas Bucher auf Anfrage des «Unter-Emmentaler». Die Herdgemeinde habe 1999 über den Verkauf der ganzen Parzelle 2237 inklusive die umstrittenen 3000 m² abgestimmt.
«Erst bei der Ausstellung des eigentlichen Kaufvertrags wurde diese Rückkaufsklausel  des unbebauten Landstreifens innert 10 Jahren nachträglich vom Herdrat gewünscht und eingefügt. Bei der Kaufabwicklung war die Novex AG deshalb schon im Besitz dieser 3000 m². Da diese Landreserve für uns zwar wichtig war, aber (noch) nicht bebaut wurde, machte die Herdgemeinde vom Rückkaufsrecht Gebrauch – und räumte uns im Gegenzug das Vorbaurecht ein, welches nun Ende 2019 ausläuft. Das Grundstück 2237 wurde in der Folge neu parzelliert. Es entstand die (umstrittene) Parzelle 2238. Wir gaben diese Parzelle auch frei für die Nutzung von Cargo Bull beziehungsweise zugunsten Woodwork AG, damit diese sich auf dem Gelände der Cargo Bull erweitern konnte.»

«Gleichweit wie in Hochdorf»
Ursprünglich sei die Novex AG im Besitz einer weiteren Landreserve gewesen. Diese aber habe sie zugunsten der Baufirma Trüssel abgetreten. Sie sei seinerzeit nach Huttwil gezogen, weil sie am Firmensitz in Hochdorf nicht mehr habe erweitern können.
Auf den Besitz der Landreserve auf der erwähnten Parzelle habe sie gegen das Vorbaurecht verzichtet, «weil vorläufig kein Anbau geplant war und wir nicht Land schachern wollten», so Bucher. Jetzt, da sich die Notwendigkeit abzeichne auszubauen, sei der Landerwerb nicht mehr möglich. «Nun sind wir hier wieder gleichweit wie in Hochdorf», meinte Thomas Bucher frustriert.
Noch wisse das Unternehmen nicht, wie es nun weiterfahren wolle. Man wolle diesbezüglich mit der Herdgemeinde schauen. «Eine komische Situation entsteht so oder so. Würden wir das Land im Baurecht erwerben und die Liegenschaft erweitern, würde ein Teil des Gebäudes auf unserem Land und der neue auf Land im Baurecht liegen. Käme es beispielsweise zu einem Heimfall, müsste oder könnte die Herdgemeinde einen Drittel der Liegenschaft übernehmen», meint Thomas Bucher kopfschüttelnd.
Es sei immer für alle Parteien klar gewesen, dass die Novex AG bei einer Erweiterung des Betriebes die Parzelle überbauen würde. «Mit der Übernahme der BIGLA mussten wir entscheiden, ob wir unsere Produktionskapazitäten künftig in Biglen oder in Huttwil konzentrieren würden. Wir ent-
schieden uns einmal mehr für Huttwil, nachdem eine Anfrage beim Herdrat betreffend dem Kauf dieser Parzelle positiv (unter Vorbehalt der Zustimmung der Herdgemeindeversammlung) beantwortet wurde. Nachdem wir kurzzeitig bereits einmal Besitzer dieser Parzelle waren und eine Überbauung einer teilweise im Baurecht und im Eigentum stehenden Parzelle wenig Sinn macht, konnten wir eigentlich mit einem positiven Entscheid rechnen. Aber wir müssen das Ergebnis akzeptieren.»
«Die Anwesenden stellten sich nicht auf die Seite des einen oder andern Unternehmens. Sie wollten einfach die eingesessene Haltung bewahren und kein Land verkaufen», blickt Rolf Flückiger auf die Herdgemeindeversammlung zurück. Für ihn ist die Situation äusserst unangenehm: «Ich verstehe beide Seiten.» Er hoffe, die Parteien an den runden Tisch zu bekommen und eine Einigung zu erzielen, die allen Beteiligten dienen würde.

Hauskauf an der Ibachstrasse
Das Traktandum war wegen der Anwesenheit der Firmenvertreter Woodwork AG und Novex AG/Ergonom AG vorgezogen worden. Die nun folgenden Geschäfte passierten diskussionslos. Das Budget 2020 und der Kauf
des Mehrfamilienhauses Ibachstrasse 22/24 zu einem Verpflichtungskredit von zwei Millionen Franken wurden ohne Gegenstimmen genehmigt.

40 Jahre treue Forstarbeit
Der offizielle Teil der Herdgemeindeversammlung erhielt einen krönenden Abschluss: Die Herdgemeinde durfte Fritz Jordi für 40 Jahre treue Forstdienste ehren. Er geht Ende Jahr offiziell in «Pension», nachdem er das Pensionsalter bereits anfangs Jahr erreicht hatte. Er blickt gegenüber dem «UE» auf 40 schöne Jahre zurück. «Ich habe stets geschleppt, wenn ich Zeit hatte, die Stämme gesäubert oder ‹abglängt› und gesägt.» Technische Neuerungen erleichterten im Laufe der Jahre die Arbeit. Das Thema Wald ist für ihn allerdings nicht abgeschlossen. Solange es seine Gesundheit erlaube, sei er gerne bereit, nach dem Neujahr für die Herdgemeinde weiterhin in den Wald zu gehen und dort auszuhelfen.

Von Liselotte Jost-Zürcher