• Cornelia Zaugg und Otto Oberli sind am Ende ihrer Kräfte: Wegen dem Infraschall fühlen sie sich im eigenen Zuhause nicht mehr wohl, können nicht schlafen und sich nicht entspannen. Sie planen den Wegzug auf Zeit. · Bild: Leroy Ryser

25.10.2019
Luzerner Hinterland

Ein Nachbarschaftsstreit, der mehr ist als nur Schall und Rauch

Zwei Bauernhöfe innerhalb von knapp 200 Metern Luftlinie, eine Kantonsgrenze dazwischen und kilometerlange Differenzen: In etwa so sieht die Situation an der Grenze von Gondiswil und Fischbach aus. Cornelia Zaugg (48) und Otto Oberli (52) bezichtigen ihren Nachbarn Walter Glauser im luzernischen Dorf als Störenfried, der sie mit Infraschallwellen terrorisiere. Die Gesundheit leidet, der Ärger ist gross, die Fronten verhärtet – denn für den Fischbacher ist dieses Problem erfunden. Hängig ist mittlerweile eine Lärmschutzklage am Luzerner Kantonsgericht von den beiden Gondiswilern, Walter Glauser verweist auf stattgefundene Messungen, die keine Belastungen ergaben. Cornelia Zaugg und Otto Oberli sehen derweil keinen Ausweg mehr und planen vorerst den Auszug vom heimischen Hof.

Gondiswil/Fischbach · Cornelia Zaugg und Otto Oberli sagen es an diesem Nachmittag mehrmals und klingen dabei hilflos: «Wir können nicht mehr.» Die Kraft fehlt, der Wille sowieso. Seit viereinhalb Jahren schläft Cornelia Zaugg zumeist auswärts, darunter leiden alle, besonders auch die beiden Söhne im Alter von 10 und 13 Jahren. Hier, auf ihrem Hof in Gondiswil, fühlt sie sich nicht mehr wohl, kann sie sich nicht konzentrieren, nicht ruhig sein, nicht entspannen und eben auch nicht schlafen. Jeden Abend flüchtet sie deshalb ins leere Elternhaus nach Wyssachen, obwohl zu Beginn alle weinten und sie die Mutter nicht gehen lassen wollten. Und dennoch: Niemand wollte ihren Hilferuf hören. Auch jetzt noch sucht die Familie verzweifelt nach dem richtigen «Abnehmer» und wendet sich deshalb an den «Unter-Emmentaler», um sich Gehör zu verschaffen.
«Wir fühlen uns im Stich gelassen.» Cornelia Zaugg und ihr Mann Otto Oberli wollen nun ausziehen. Widerstrebend. Aber das «Zuhause» im idyllischen Gondiswil hat seinen Namen nicht mehr verdient. Unter der Woche wird auf rechtlicher Ebene gezankt, an Wochenenden in Hotels desertiert. Oft in günstige Jugendherbergen, weil beides beträchtlich Geld kostet. Als Verrückte abgestempelt, wollen sie den letzten Hoffnungsschimmer aber nicht aufgeben. «Wenn wir die Sache lösen, dann kehren wir zurück», wendet Otto Oberli ein. Immerhin ist das hier sein selbst aufgebauter Hof.

Ein dumpfes Wummern
Was ist passiert? Mittlerweile ist es sechs Jahre her, dass sich etwas verändert hat. Ein Geräusch beginnt Cornelia Zaugg ständig zu stören und bald nimmt es auch ihr Mann Otto Oberli wahr. Eine Pause gibt es nicht, 24 Stunden am Tag belastet es die Ohren. «Ich konnte nicht mehr schlafen, war unruhig und gestresst», erinnert sich die gelernte Coiffeuse. In der Folge wurden etliche Gutachten in Auftrag gegeben. Dass sie pausenlos ein dumpfes Wummern hört, will ihr aber niemand so richtig glauben. Bald scheint der Urheber gefunden: Auf dem gegenüberliegenden Hof, eine Schweinezucht, drehen Ventilatoren für die Entlüftung. Der Hof gehört trotz kleiner Distanz von weniger als 200 Metern Luftlinie bereits zum luzernischen Fischbach und wird von Walter Glauser betrieben. Dieser bietet erst noch Hilfe an, erinnert sich Otto Oberli. Nachdem er gebeten wird, seine Ventilatoren auszuschalten um die Vermutung zu bestätigen, tut er dies. «Als nach dieser Massnahme das Geräusch tatsächlich verschwand, war er aber plötzlich nicht mehr bereit, bei einer Lösung mitzuhelfen.»
Als sich die Geschädigten bei der Jenni Lüftungen AG aus Ruswil Rat holen, bietet der Firmeninhaber Kaspar Jenni ohne Umschweife einen Besuch an. Mehrmals habe er vorbeigeschaut, einmal auch mit seiner Frau, teilweise spätabends. «Das Geräusch haben wir im Haus nicht gehört. Erst als ich das Fenster öffnete, habe ich die Lüfter wahrgenommen», sagt Kaspar Jenni. Er schlug in der Folge vor, sogenannte Ruhigläufer einzusetzen, wies aber darauf hin, dass die Kosten im Voraus bezahlt werden müssen. «Otto Oberli sagte mir, dass er diese Kosten übernehmen werde. Das zeigte mir, dass es ihnen ernst ist.» Der Gondiswiler leistete im April 2015 den Kostenvorschuss von 3500 Franken und hoffte, dass sich das Problem damit erledigt. «Ich kenne Walter Glauser persönlich und habe ihm diese Lösung vorgeschlagen. Er hätte eine ruhigere, stromsparendere Lüftung kostenfrei erhalten, war aber zu meiner Überraschung dagegen.» Das Problem also blieb bestehen, immerhin erhielten Cornelia Zaugg und Otto Oberli das Geld von der Firma Jenni zurück.
Daraufhin wandten sich die beiden ans Friedensrichteramt in Willisau. Dieser Schritt brachte zwischenzeitlich eine Lösung: Auf die Verhandlung hin wurden bauliche Massnahmen von der Firma Krieger AG in Ruswil vorgenommen (bezahlt von Otto Oberli und Cornelia Zaugg), die das Wummern reduzierten. Cornelia Zaugg kehrte zurück, schlief ein paar Monate zu Hause, bis erneut eine Verschlechterung eintrat. «Es wurde eine sogenannte Deckenloch-Lüftung eingebaut. Walter Glauser hatte aber das Gefühl, dass dadurch die Kälte im Winter zu stark eindringt. Deshalb hat er die Löcher zugemacht. Das Ganze ging erneut von vorne los», beschuldigt der gelernte Bauer seinen Nachbarn. Lärmmessungen bestätigten gemäss Otto Oberli in der Folge zwar, dass auf dem bernischen Hof eine geringe Dezibel-Belastung herrscht, diese konnte bis dahin aber weder erhärtet, noch zugewiesen werden. Von den Fachleuten wird vorgeschlagen Oropax einzusetzen, doch die lösen das Problem auch nicht. Einmal mehr schien die Belastung als Hirngespinst abgetan.

Der nicht hörbare Feind
Cornelia Zaugg und Otto Oberli wollten dies jedoch nicht so hinnehmen. Via Staatssekretariat für Wirtschaft «seco» und Bundesamt für Umwelt «BAFU» gelangen die beiden an die Firma «Neuhaus, Akustische Architektur» in Füllinsdorf und geben eine weitere Lärmmessung in Auftrag (siehe Kasten). Als erste konnte diese Firma dann die unbekannten Geräusche zuordnen. «Infraschall» werde das Problem im Volksmund genannt, Wellen, die viele Menschen gar nicht erst hören, weil sie im Niederfrequenzbereich schwingen. Cornelia Zaugg und Otto Oberli benutzen seither eine Tonaufnahme, mit welcher sie jenes Geräusch verstärkt wiedergeben können. Besuchern, wie der Verfasser dieses Berichts, die das Wummern nicht hören, wird diese Tonaufnahme abgespielt. Auf dem Handy schwingt es dann dumpf, ab und zu klopft es. Es ist durchaus realistisch, dass Personen, die dieses Geräusch tatsächlich und ständig hören, verzweifelt sind. Die Belastung ist vergleichbar mit einem Tinnitus, obwohl sich die Tonlage deutlich unterscheidet.
Infraschall ist derweil ein Problem, welches auch in Europa immer mehr diskutiert wird. Dies, weil Windenergieanlagen im Verdacht stehen, diese womöglich schädlichen Emissionen zu verursachen. Zahlreiche Berichte finden sich im Internet, wo Mensch und Tier offenbar durch Windturbinen in Mitleidenschaft gezogen werden, Krankheiten bei Menschen, ja sogar Fehlgeburten und Missbildungen bei Tieren, seien die Folge. Mehrmals wird Infraschall in Berichten von unterschiedlichen Medien als «der nicht hörbare Feind» eingestuft, einzelne sehen im Infraschall sogar eine potenzielle Waffe im Kriegsfall. Dass sich im nachbarlichen Stall von Otto Oberli gemäss seinen eigenen Aussagen Früh- und Fehlgeburten häuften, passt zu diversen Artikeln über andere Betroffene im Internet.
Auch in Dänemark, einem fortschrittlichen Land was das Fördern erneuerbarer Energien betrifft, stockt der Ausbau von Windenergie. Laut welt.de, einer deutschen, überregionalen Tageszeitung, wächst die Opposition auch in Deutschland markant. Studien, Schätzungen und Aussagen über die Schädlichkeit von Infraschall gibt es, doch noch kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob dieser für Mensch und Tier tatsächlich schädlich ist. Die Forschung ist da noch zu wenig weit. «Aber immerhin wussten wir nach dieser Messung, mit was wir es hier zu tun haben», sagt Otto Oberli. Das Resultat will er als Druckmittel nutzen, um Verbesserungen anzustreben. Erneut schlugen die beiden Gondiswiler den Weg vors Gericht ein, mittlerweile ist eine Klage am Luzerner Kantonsgericht hängig.

«Das ist ein Zeitvertrieb»
Für Walter Glauser sind diese Anschuldigungen «erstunken und erlogen». Mehrere Messungen hatten ergeben, dass vor Ort kaum Belastungen herrschen, das Problem seiner Nachbarn könne er deshalb nicht nachvollziehen. «Für mich sieht es so aus, als wäre es ihr Hobby. Sie streiten sich gerne mit jemandem. Das ist ein Zeitvertreib.» Die Probleme seien ausserdem plötzlich aufgetaucht und nicht etwa auf eine Veränderung auf seinem Hof zurückzuführen. Die nach dem Termin beim Friedensrichteramt neu eingesetzten Lüftungen der Firma Krieger seien auf dem neusten Stand und werden schweizweit eingesetzt. Dies wird auch von Fachleuten bestätigt und führt beim Bauern verständlicherweise zu Kopfschütteln. «Diese Lüftungen werden in der ganzen Schweiz benützt und sollen bei mir Infraschall auslösen?», fragt er rhetorisch. Dass diverse durchgeführte Messungen ergeben haben, dass keine gesetzlichen Grenzwerte überschritten werden, stütze ihn in seiner Annahme, dass keine weiteren Massnahmen nötig sind. «Wenn ich jetzt etwas ändern würde, dann käme in einem oder zwei Monaten das nächste Problem. Das hört nie auf», sagt er. Dass er die Deckenluft-Lüftung abgedeckt hat, sei indes ein normaler Vorgang, schliesslich müsse er Tierschutzbestimmungen und landwirtschaftliche Grundregeln in seinem Betrieb einhalten. «Gerade im Winter werden meine Tiere ansonsten krank. Das bezahlt mir dann auch niemand», erklärt Walter Glauser weiter. Auch dies schätzen befragte Fachleute als realistisch und stimmig ein, zumal Glauser betont, die Lüftung laufe im Automatikmodus. Zudem hätten ihm Tierschutz-Kontrollen und andere Stellen stets einen einwandfreien Betrieb seines Hofes bestätigt, sagt der Fischbacher weiter. Für ihn ist klar, dass das Problem nicht bei ihm liegt.

Kein mechanisches Problem
Einer, der vor Ort eine Expertise machen durfte ist Roland Müri. Mit seiner Firma, der Tech AG aus Herzogenbuchsee, ist der Langenthaler unter anderem auf Lüftungsanlagen und deren Schalloptimierungen spezialisiert, weshalb Werner Meyer als damaliger Anwalt von Cornelia Zaugg und Otto Oberli Müri ins Boot holte. Der Lüftungsspezialist war mehrmals auf dem Hof der Familie Glauser, schlug Änderungen vor und machte Messungen mit Partnerfirmen. Seiner Meinung nach ist die Anlage einwandfrei intakt, die Lüftungen auf dem neusten Stand der Technik. «Wir konnten keine Defekte oder gar ein mechanisches Problem nachweisen», sagt er. Der vorhandene Lärm sei innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte, sodass eine Klage laut Müris Einschätzung nur wenig Chancen auf Erfolg hat.
Auch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) geht aktuell nicht von einer Belastung durch Infraschall aus, die für Mensch und Tier gefährdend ist. Das Bundesamt verweist dafür auf dieselben Emissionsgrenzwerte. Wenn diese eingehalten werden, dürfte es nach aktuellem Kenntnisstand für Mensch und Tier keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen geben. Die Messwerte, welche dieser Zeitung vorliegen, lassen darauf schliessen, dass das BAFU in dieser Situation nicht von einer Gefährdung für Mensch und Tier ausgeht, auch wenn dies von den BAFU-Verantwortlichen für diesen expliziten Fall nicht bestätigt wird.

Lärmklage im Mai 2018 eingereicht
Andreas Wasserfallen ist als neu von Cornelia Zaugg und Otto Oberli eingesetzter Anwalt aber zuversichtlich, dass sich bald eine Lösung im Sinne seiner Mandanten einstellt. «Wir argumentieren unter anderem damit, dass die Vorsorgepflicht verletzt wird. Das heisst: Wenn es betriebswirtschaftlich zumutbar ist, müsste der Nachbar auf Korrekturen eingehen.» Dies scheint gegeben, weil Cornelia Zaugg und Otto Oberli nach dem Entscheid des Friedensgerichts über 10 000 Franken investierten, um die Anlagen beim «Störenfried» ein erstes Mal zu erneuern. «Der Fall ist aber schwer einzuschätzen, weil es für Infraschallwellen keine Grenzwerte gibt und aktuell keine Präzedenzfälle bekannt sind.» Das Ganze ist auch für Gerichte, die in solch fachbezogenen Streitigkeiten nur Laienwissen haben, ein schwerfälliges Thema, welches viel Aufklärungsaufwand braucht. Letztlich ist und bleibt der verursachte Schaden nicht handfest nachweisbar, weil Menschen, mitsamt ihren Empfindungen unterschiedlich sind. Auch Andreas Wasserfallen rechnet aufgrund der Komplexität des Falls nicht mit einem Entscheid in den nächsten Tagen. Das Kantonsgericht in Luzern gibt zu laufenden Verfahren derweil keine Auskunft, bestätigt aber die Existenz des hängigen Verfahrens.
«Ich kann nicht mehr», sagt der 52-jährige Oberli nun mit Nachdruck, «müde und hilflos» fühle er sich. Vor ihm liegt ein Ordner, der gefüllt ist mit Akten und Briefen, alles rund um die Streitigkeit mit seinem Nachbarn. Gelassen aber bestimmt sagt er: «Manchmal geht es nicht mehr darum, zu gewinnen. Wir wollen einen Entscheid. Eine Lösung.» Cornelia Zaugg gibt indes zu, dass sie eine «gspürige» Person ist. Mittlerweile sei es aber mehr als blosse Empfindlichkeit, weil sie gar das WLAN-Signal als Summen wahrnimmt. «Es gab Besucher, die haben das Wummern auf Anhieb gehört. Andere hören es nicht», erklärt ihr Mann.
Im gleichen Haus, auf der Rückseite, wohnt seit diesem Sommer Peter Uhlmann. Vom Infraschall spürt er nichts. «Ich bin durchaus stromempfindlich. Wenn der PC im Wohnzimmer läuft, kann ich im Schlafzimmer nicht schlafen», sagt er und fügt hinzu: «Aber von diesen Schallwellen spüre ich wirklich nichts.» Cornelia Zaugg habe ihn darauf hingewiesen, dass dies gut ein halbes Jahr dauere, denn auch sie habe erst wegen der Dauerbelastungen Auswirkungen gespürt, doch Veränderungen erwarte er keine.

Das Herz rast, der Kopf brummt
Kopfschütteln bei Cornelia Zaugg und Otto Oberli. Er ist mittlerweile in ärztlicher Behandlung, ein Zusammenbruch führte zu dieser Massnahme. Sobald sie, die auswärts arbeitet und schläft, ihren Hof betritt, hört und spürt sie den Infraschall, das Herz rast, der Kopf brummt, der Blutdruck steigt. «Bitter ist, dass das ohne grossen Aufwand behoben werden könnte», sagt sie. Das habe ihr Thomas Gäggeler von der THG-Energy aus Schmitten bestätigt. Gegenüber dem «UE» wiederholt der Firmeninhaber seine Worte: «Ich gehe davon aus, dass es ein mechanisches Problem ist und das kann man lösen», erklärt er. Ventilatoren können Infraschallwellen auslösen, meint er weiter, «ich vermute dass die Rotorblätter pendeln und dadurch die Wellen entstehen.»
Unter dem Nachbarschaftsstreit leiden alle, aufgeben ist aber kein Thema, sagt Otto Oberli eindeutig. «Das ist unser Hof. Wir sind hier nicht Mieter, sondern Eigentümer. Wir wollen hier nicht endgültig weg. Wir wollen nur unseren Schlaf zurück.» Falls nötig würden sie, sagt Cornelia Zaugg, die Streitigkeiten auch weiterziehen. 200 Meter weiter in Richtung Kanton Luzern stossen solche Aussagen auf Kopfschütteln. «Lästig» sei diese Zankerei, zumal sie ohne stichhaltige Gründe ständig weitergetrieben werde. Der ursprüngliche und tatsächliche Grund für das Problem sei ihnen aber nicht bekannt, meinen die Glausers, «plötzlich» kamen diese Anschuldigungen, die sie mittlerweile nicht mehr reaktionslos auf sich sitzen lassen wollen. Ein Ende des bern-luzernischen Nachbarschaftsstreit ist deshalb noch nicht in Sicht. Freuen dürfte dies höchstens die Akteure des schweizerischen Justizsystems, leiden werden aber die beiden Parteien –nicht nur finanziell.

Von Leroy Ryser