• Markus Staub hat auf der Dorfhöhe von Gondiswil einen Findling entdeckt und ausgegraben. Er wurde beim Reservoir platziert. · Bild: zvg

  • Der Stein besteht zu annähernd 100 Prozent aus milchig-weissem Quarz und wird somit als Quarzit bezeichnet. · Bild:zvg

11.02.2022
Oberaargau

Ein steinerner Zeuge aus vergangener Zeit

Auf der Dorfhöhe von Gondiswil, beim Reservoir, gibt es neuerdings einen Findling zu bestaunen. Der grosse Steinbrocken war viele tausend Jahre in der Erde verborgen, bis er beim Pflügen eines Feldes zum Vorschein kam. Entdeckt und ausgegraben hat ihn Markus Staub. Der Geologe Simon Kissling erstellte ein Gutachten über Beschaffenheit und mögliche Herkunft des Findlings.

Oberaargau· Bereits im Frühjahr 2019 gab es einen ersten Hinweis auf etwas Ungewöhnliches, das in einem Feld auf der Dorfhöhe von Gondiswil stecken könnte. Markus Staub hatte damals von Simon Läderach den Auftrag bekommen, dessen Acker zu pflügen. Der Acker befindet sich nördlich des Wasserreservoirs der Gemeinde Gondiswil. «Plötzlich holperte der Pflug über eine grössere Felsfläche und ich stellte fest, dass da ein grösseres Ding unter der Erde liegen muss», erzählt Markus Staub. Neugierig geworden habe er den Entschluss gefasst, mit dem Einverständnis des Landbesitzers diesen Stein auszugraben, sobald er Zeit dazu finde.

Kein leichtes Unterfangen
Im Oktober des letzten Jahres machte er sich dann an die Arbeit: «Mit Schaufel und Pickel habe ich den Stein ausgegraben und freigelegt. Ein sehr grosser Brocken kam da zum Vorschein.» Nun musste der riesige Stein aber noch aus dem Boden gehoben werden. Mit Traktor, Seilwinde und Flaschenzug schaffte er es nicht, der Stein war zu schwer. Sein Sohn Res kam ihm dann mit seinem grossen Oldtimer-Traktor zu Hilfe. Mit vereinten Kräften zogen sie den Brocke zirka 90 Meter Richtung Westen zum Reservoir, wo er nun sein vorläufiges Domizil gefunden hat. Der Stein hat einen Umfang von 5 Metern (horizontal gemessen), und in der Senkrechte 4 Meter. 2,2 Kubikmeter wurden als Inhalt errechnet und das Gewicht auf zirka 4,6 Tonnen geschätzt.
Nun interessierte Markus Staub sehr, wie und wann dieser Felsbrocken nach Gondiswil gelangt ist. Er fand dann in Simon Kissling aus Olten einen Fachmann, der ihm ein Gutachten über die Beschaffenheit und die Herkunft des Steins erstellte. Simon Kissling ist Geologe und hat am Institut für Geologie an der Universität in Bern studiert. «Der Gesteinsblock lag wenige Dezimeter unter der Terrainoberfläche in einem tiefgründig verwitterten Boden. Offenbar nahm die Mächtigkeit der Bodenschichten durch Erosion und Verwitterung im Laufe der Zeit langsam ab, so dass der Findling beim Pflügen des Ackers schliesslich zufällig entdeckt wurde», ist die Vermutung des Geologen. Und weiter heisst es: «Der Gesteinsbrocken besteht zu annähernd 100 Prozent aus milchig-weissem Quarz. Er wird somit als Quarzit bezeichnet.»

Transport durch Gletscher
Die Eckigkeit des Findlings lasse auf einen Transport durch einen Gletscher von seiner Herkunft bis zum Ablagerungsstandort schliessen. Er könnte zum Beispiel bei einem Felsabbruch am Herkunftsort auf den Gletscher hinuntergefallen sein. Möglich sei auch ein Herausbrechen aus dem Gebirge durch das Gletschereis unter der Eisoberfläche. Ein Transport in einem Fluss könne ausgeschlossen werden, schreibt der Geologe weiter. Es handle sich also um einen Findling, welcher in einer tiefgründig verwitterten Moräne lag und seit dem Ablagerungszeitpunkt im Eiszeitalter auf dem Hügel kaum mehr verschoben worden sei. Aber wann fand diese Ablagerung statt? Anhand der Gletscherkarte stellte Simon Kissling fest, dass der Quarzit von Gondiswil nicht während der letzten Eiszeit in der Schweiz – vor rund 24 000 Jahren – an seinen heutigen Standort gelangt sein kann. «Denn während dieser so genannten «Birrfeld-Eiszeit» (früher «Würm» genannt) ist der Gletscher nicht bis nach Gondiswil vorgestossen und ein Grossteil des Napfgebietes war nicht mit Gletschereis bedeckt.
Daraus folgt, dass Gletschervorstösse von älteren Eiszeiten für die Ablagerung des Findlings verantwortlich waren. Weil es jedoch in den letzten zwanzig Jahren neue Erkenntnisse über die weiter zurückliegenden Vergletscherungen gegeben hat und die Abfolge der zahlreichen Eisvorstösse und Schmelzphasen zurzeit noch nicht abschliessend geklärt sind, können keine genauen Angaben über den gesuchten Zeitpunkt gemacht werden», erklärt der Geologe.
Gesichert sei jedoch, dass sich der Block bei der Entstehung der bekannten Schieferkohle von Gondiswil – vor ca. 115 000 bis 130 000 Jahren – bereits auf dem Hügel ob Gondiswil befunden habe.

Ein «Walliser»
Und von wo stammt der Steinbrocken? «Die bis heute bekannten Findlinge im Oberemmental und Napfgebiet wurden bereits früher von Geologen untersucht», weiss Simon Kissling. «Verhältnismässig viele der hier gefundenen Findlinge bestehen zum Teil aus spezifischen Gesteinen wie zum Beispiel Arollagneis und Smaragdit-Gabbro aus dem Gebiet des heutigen Allalingletschers oder Serpentin-Schiefer aus der Umgebung von Zermatt und Saas Fee. Aus diesen Gründen kann der Quarzit von Gondiswil den bereits bekannten Walliser-Findlingen zugeordnet werden», ist sein Fazit. Der Weg, den der Stein mit dem Geschiebe des Gletschers von seinem Ursprungsort bis nach Gondiswil vermutlich zurückgelegt hat, ist auf einer Karte wie folgt skizziert: Von den südlichen Walliser-Tälern hinunter ins Gebiet des heutigen Genfersees und dann Richtung Bern durchs Mittelland auf die Gondiswiler Höhe – wo er nun nach langer Zeit aus dem Verborgenen ans Licht geholt wurde.
«Beim gemachten Fund handelt es sich aus wissenschaftlicher Sicht um ein wertvolles, erhaltungswürdiges Eiszeitdokument», sagt der Geologe Simon Kissling. Und meint weiter: «Es hat mich sehr gefreut, diesen Findling der älteren Generation untersuchen zu dürfen. Der Fundort hier auf dem Hügel ist schon speziell. In diesem Gebiet liegen die Findlinge eher unten in den Gräben, weil sie nachträglich verschwemmt wurden oder im Laufe der Zeit runtergerollt oder talwärts geglitten sind. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall.
Es ist zu hoffen, dass künftig weitere Findlinge im Raum Gondiswil entdeckt und auch dokumentiert werden. Insbesondere könnten entsprechende Untersuchungen in Baugruben neue Erkenntnisse zu eiszeitlichen Ablagerungen liefern, so dass die Klimageschichte möglichst genau und lückenlos rekonstruiert werden kann.»

Ort mit Geschichte
Der Ort, an dem der Findling entdeckt wurde, ist an sich schon geschichtsträchtig. Dies hat Jakob Aubert – ehemals Lehrer in Gondiswil – im Jahrbuch des Oberaargaus 1969 in seinem Beitrag «Wissenswertes über Gondiswil» wie folgt beschrieben: «Gondiswil war eine alte, kleinburgundische Dingstätte. Hier wurde 1217 der «Schmied von Göschenen», der spätere Erbauer der Teufelsbrücke in der Schöllenen, zu jener Zeit noch Leibeigener des Klosters St. Urban, auf Veranlassung des damaligen Abtes durch das Freigericht von Gondiswil von der Leibeigenschaft befreit. Der feierliche Akt fand auf freier Höhe unter der weit herum sichtbaren Linde statt. Diese stand wahrscheinlich in der Nähe des heutigen Reservoirs; denn die nächste Häusergruppe befindet sich heute noch im «Lindengraben».

Von Berty Anliker