• Langenthals Stadtpräsident Reto Müller: «Ich bin ein grosser Verfechter dieser Art des miteinander Gestaltens und Politisierens.» · Bild: Thomas Peter

20.03.2019
Langenthal

Eine Feier für Langenthals Demokratie

Im vollbesetzten Stadttheater in Langenthal wurde jubiliert. Gefeiert wurde die städtische Demokratie. 100 Jahre Gemeindeparlament Langenthal wurde auf der Bühne von diversen Rednern und musikalischen Formationen gewürdigt. «Ich wünsche mir, dass wir uns auch in den nächsten 100 Jahren die Mühe machen werden, uns gegenseitig zu verstehen, damit auch in Zukunft alles dem Wohl der Allgemeinheit dient und keine Sonderinteressen verfolgt werden», hielt Stadtpräsident Reto Müller in seiner Gratulationsrede fest.

 

Für diesen Geburtstag liess sich die Stadt Langenthal nicht lumpen: Mehrere hundert Gäste waren geladen, darunter alles, was Rang und Namen hat in der städtischen, aber auch in der Oberaargauer Politik. Gefeiert wurde im vollbesetzten Stadttheater das Langenthaler Gemeindeparlament, das exakt vor 100 Jahren zu seiner ersten Sitzung – ebenfalls im Stadttheater – zusammenfand.
Ein Geburtstag, der Stadtchronist Simon Kuert dazu veranlasste, ein Buch herauszugeben («Demokratie im Herzen der Schweiz») sowie in Zusammenarbeit mit Filmemacher Markus Heiniger und Theaterleiter Reto Lang einen Film zu realisieren.
Natürlich wurde die Geburtstagsfeier auch musikalisch umrahmt, durch die Stadtmusik Langenthal, den Jodlerklub Echo, die Oberaargauische Musikschule und als besonderer Leckerbissen durch Tom Küffer, in Begleitung des Stadtrats Beat Hasler. Im Zentrum standen jedoch diverse Redner, die den Geburtstag würdigten, auf die 100 Jahre zurückblickten und ihre persönliche Gedanken dazu preisgaben. Als Moderatorin amtete Janine Jauner (Leiterin Zentraler Rechtsdienst der Stadt Langenthal), die seit zwei Jahren als Sekretärin des Langenthaler Stadtparlaments amtet. Sie gewährte zwischen den Programmpunkten interessante Einblicke in die Geschichte und Entwicklung des Langenthaler Gemeindeparlaments.

Die Rolle der Frau in der Politik
Die erste Grussbotschaft an das jubilierende Parlament überbrachte Jürg Iseli (SVP), Präsident des bernischen Grossen Rates. Der Meisterlandwirt hatte die Lacher gleich zu Beginn auf seiner Seite, als er bemerkte: «Wir feiern hier in einem Theater, aber ein Parlament ist kein Theater, hier wird seriöse Arbeit geleistet.» Ein Parlament sei stets ein Abbild des Volkes, hielt er weiter fest.
«Hier sollen die Interessen des Volkes eingebracht werden, denn das Volk ist am Ende unser oberstes Gremium», stellte er fest. Langenthal werde zu Recht als die durchschnittlichste Stadt der Schweiz beschrieben, gab er zu verstehen, das sei nicht zuletzt auch in der Politik immer wieder klar ersichtlich. «Wenn abgestimmt wird und wir die Resultate aus Langenthal kennen, dann wissen wir, wie eine Abstimmung schweizweit ausgehen wird», bemerkte Iseli.
Martina Marti-Moser, aktuelle Vizepräsidentin des Langenthaler Stadtrates, widmete ihre Rede dem politisch-gesellschaftlichen Kampf der Frauen für Gleichberechtigung und Anerkennung. Dabei erwähnte sie, dass man zwar 100 Jahre Langenthaler Parlament feiere, bejubeln sollte man jedoch 50 Jahre Demokratie in Langenthal, «denn bis 1969 herrschte hier noch ein reines Männerparlament», stellte sie fest. Die Frauen seien in den ersten 50 Jahren von der demokratischen Mitwirkung in Langenthal ausgeschlossen gewesen. Bereits in der Antike habe ein griechischer Dichter festgestellt, dass eine Demokratie das Etikett «Herrschaft des Volkes» erst verdiene, wenn auch die Frauen das volle Mitwirkungsrecht in der Gesellschaft hätten. Gemäss Martina Marti-Moser eine glasklare Erkenntnis, die noch tausende von Jahren benötigte, um in den Köpfen der Gesellschaft anzukommen.
Die SP-Stadträtin erinnerte daran, dass im Zuge dieser «neuen» Frauenbewegung auch in Langenthal die Wende kam. Der SP-Parlamentarier Edwin Bucheli forderte 1967 im Rahmen einer Motion das Frauenstimm- und Wahlrecht in Gemeindeangelegenheiten. Diese wurde rechtzeitig vor den Wahlen im Jahr darauf überwiesen und auch umgesetzt.
Bei den Wahlen wurden dann gleich drei Frauen ins Parlament gewählt: Marie Schaffer-Muri, Ehefrau des damaligen Regierungsstatthalters Emil Schaffer, Bertha Steinmann-Haltinner, Gattin eines ebenfalls bekannten SP-Politikers, und Marianne Zurlinden, die Mutter des aktuellen Stadtrats Urs Zurlinden. Sie präsidierte dann 1975 als erste Frau den damaligen Grossen Gemeinderat von Langenthal.

«Gehen wir auf die Strasse»
Deshalb forderte Martina Marti-Moser die anwesenden Frauen auf, sich in der Politik zu engagieren. «Gehen wir auf die Strasse und setzen uns für Respekt gegenüber unserer Arbeit, für die Umsetzung der Lohngleichheit und einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ein. Denn, um es mit den Worten der bekannten ehemaligen SP-Politikerin Liliane Uchtenhagen zu sagen: ‹Solange wir in Familie und Gesellschaft nicht die gleichen Chancen haben, ist die Gleichberechtigung noch nicht vollzogen›.»

Vieles ist gleich, vieles ist neu
Der amtierende Stadtratspräsident Patrick Freudiger durchleuchtete die 100 Jahre des Langenthaler Parlaments und stellte erstaunt fest, dass vieles gleichgeblieben sei. Die Hauptaufgabe bestehe nach wie vor aus der Budgethoheit und der Rechtssetzung. Auch die politischen Instrumente würden immer noch aus Motionen, Postulaten und Interpellationen bestehen.
Neu dazu gekommen seien die Anfragen. Auch das Büro des Stadtrates bestehe nach wie vor aus vier Mitgliedern. Das Sitzungsgeld dagegen sei von drei Franken auf heute 30 Franken angehoben worden. Für Freudiger zeigt dieser Vergleich: «Die Art und Weise, wie das Parlament tätig ist und welche Funktionen es hat, scheint sich im Grundsatz bewährt zu haben. Trotz aller Kritik wurde offensichtlich keine bessere Alternative gefunden.»
Die Aussage, «alles beim Alten» wäre dann gemäss Freudiger aber doch fehl am Platze. Er weist darauf hin, dass mittlerweile auch Frauen dem Parlament angehören, neue Parteien Einzug hielten und vieles komplizierter geworden sei.
So gebe es Bereiche, die heute ganz oder vermehrt der öffentlichen Hand statt der Zivilgesellschaft überlassen seien (Soziales, Gesundheit) und der Gesetzgeber müsse heute Dinge regeln, die früher noch dem Ermessen im Einzelfall überlassen waren. «Ich glaube aber, dass trotz der zunehmenden Regulierungsdichte und der damit verbundenen, steigenden Komplexität die Bedeutung der Exekutive gestiegen ist. Das Parlament muss sich umso stärker auf seine Aufsichtsfunktion konzentrieren, darf sich von der Regelungsdichte nicht ersticken lassen und die Grundsatzfragen nicht aus den Augen verlieren», hielt Patrick Freudiger abschliessend fest.

Miteinander gestalten und politisieren
Stadtpräsident Reto Müller zitierte in seiner Ansprache aus dem Protokoll der ersten Sitzung des Langenthaler Parlaments, wobei er sich dem Anlass entsprechend in einen langen Frack und mit Fliege gekleidet hatte, wie vermutlich der damalige Gemeindepräsident von Langenthal, Emil Spycher. Man spüre aus den Worten des ersten Protokolls deutlich, unter welch gros-sen Spannungen und unter welchem Druck das damalige System von innen und aussen gestanden habe, stellte Müller fest. Die Demokratie habe sich vor 100 Jahren praktisch neu erfunden. Und gemäss Reto Müller leben wir sehr gut mit diesem System.
«Ich bin ein grosser Verfechter dieser Art des miteinander Gestaltens und Politisierens, welcher im Dialog den grösstmöglichen und tragfähigen Kompromiss findet, weshalb wir die hervorragende Zusammenarbeit der letzten Jahrzehnte zwingend weiterführen müssen», erläuterte der Langenthaler Stadtpräsident. Die Politiker in Langenthal würden selten das Ziel aus den Augen verlieren, stellte er weiter fest. Das wünsche er sich auch für die nächsten 100 Jahre, «dass wir uns redlich die Mühe machen, uns gegenseitig verstehen zu lernen, damit auch in Zukunft alles stets dem Wohl der Allgemeinheit dient und niemals Sonderinteressen verfolgt werden.»

Gut zu wissen
In weiteren Beiträgen während des Jubiläumsjahres 2019 wird der «Unter-Emmentaler» noch detailliert auf die Geschichte des Langenthaler Stadtparlaments eingehen.