• Über 20 Elektrofahrzeuge stehen den Mitarbeitern der clevergie ag für ihre tägliche Arbeit zur Verfügung.

  • Vor neun Jahren gründete Lukas Meister die Firma clevergie ag. · Bild: Marion Heiniger

  • Dank diesem denkmalgeschützten Gebäude in Affoltern hat die Firma clevergie ag bei grossen Teilen der Bevölkerung ein Umdenken bewirkt.

  • Das Windrad auf dem Allewindli produziert noch heute sauberen Strom. · Bilder: zvg

  • Die Pandemie hat sich auf die Auftragslage der clevergie positiv ausgewirkt. Dank dem Home-Office hatten Kunden mehr Zeit, über Solarenergie für ihr Daheim nachzudenken.

08.03.2021
Oberaargau

Eine Firma mit ökologischer Überzeugung

Die Geschichte der clevergie ag ist eine aussergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Sie begann mit der Idee des Gärtners jungen Lukas Meister, sich selbstständig zu machen und Bäche zu renaturieren. Doch seine Zukunft nahm einen ganz anderen Verlauf. Unterdessen führt der 32-Jährige in Wyssachen eine rasch wachsende Firma, die Anlagen im Bereich erneuerbarer Energie mit einer optimalen Kombination von Solaranlagen, Wärmetechnik und Elektromobilität anbietet. Dieses Jahr kann clevergie den ersten Lehrling mit Schwerpunkt erneuerbare Energie ausbilden. Die Corona-Pandemie hat sich sogar positiv auf die Nachfrage ausgewirkt.

Wyssachen · Lukas Meister hatte schon früh den Wunsch, sich selbstständig zu machen. Als gelernter Gärtner wollte er sich auf Bachrenaturierungen spezialisieren und nahm ein Studium als Umweltingenieur in Angriff. Doch rasch wurde ihm klar, dass dies nicht zu seiner geplanten Selbstständigkeit führen konnte. «Ich wechselte die Studienrichtung und landete bei den erneuerbaren Energien», erzählt Lukas Meister. Während des Studiums verstand er sich mit zwei seiner Mitstudenten sehr gut und mit ihnen begann auch im Jahr 2012 die Erfolgsgeschichte der clevergie ag. «Mein Schwiegervater erteilte uns den ersten Auftrag, Solarpanels auf seinem Hausdach zu montieren», erinnert sich der 32-jährige Unternehmer.
Obwohl während des Studiums die Montage von Solaranlagen nicht gelehrt wurde, wagten die drei Freunde es zu versuchen. Kurz darauf folgte ein weiterer Auftrag bei seinem Elternhaus in Wyssachen. «Das waren unsere ersten beiden Garantiefälle», erzählt Lukas Meister lachend. Nach und nach fragten auch Nachbarn und Bekannte nach einer Solaranlage. «So rutschte ich vor neun Jahren eigentlich eher ungeplant mit Solaranlagen in die Selbstständigkeit», gesteht er.
Gestartet hat er in der Garage seines Vaters, doch schnell wurde diese zu klein, die drei Jungunternehmer mieteten sich in Wyssachen eine Wohnung mit Garage, aber auch dort wurde es bald zu eng. 2016 bauten sie am heutigen Standort ein neues Gebäude, das rundherum mit Solarpanels eingekleidet wurde. Es sollte ein Vorzeigeobjekt für die stetig wachsende Kundschaft werden. «Heute ist es hier aber auch schon wieder zu klein», gibt Lukas Meister zu bedenken. Aus diesem Grund hat er vor Kurzem das danebenliegende Land gekauft und hat damit genügend Platz, um seine Firma zu vergrössern.

Erster Lehrling in der Solarbranche
Kurz nach dem Neubau in Wyssachen zog es seine beiden Studienfreunde wieder zurück in ihre Heimat nach Einsiedeln (SZ). «Wir entschieden uns, dort eine Zweigstelle der clevergie ag zu eröffnen», so Lukas Meister. Eine weitere Zweigstelle kam 2018 in Hinwil (ZH) dazu. Heute zählt die erfolgreiche Firma rund 60 Mitarbeiter, 41 davon arbeiten in Wyssachen. Doch es sollen noch mehr werden, verrät Lukas Meister. «Wenn wir alle offenen Stellen an allen drei Standorten besetzen können, werden es bis Ende Jahr etwa 70 Mitarbeiter sein.»
Die Suche nach geeigneten Mitarbeitern ist in dieser Branche jedoch nicht immer einfach. Denn eine fundierte Ausbildung als Energietechnik-Spezialist oder Solarteur wird in der Schweiz nicht angeboten. Die spezifische Ausbildung ihrer Angestellten hat clever­gie immer selbst übernommen. Dass es keine qualifizierten Solarfachleute auf dem Schweizer Markt gibt, war Lukas Meister schon länger ein Dorn im Auge. Dies soll sich nun ändern. «Dieses Jahr werden wir die erste reine Solarfirma sein, die einen Lehrling ausbilden kann», erzählt Meister stolz. Der Bewilligung dazu ging ein langes Seilziehen mit den kantonalen Behörden voraus. Die Ausbildung sei zu spezifisch, argumentierten die Ämter.
Doch so leicht gab sich Lukas Meister nicht geschlagen. Zusammen mit der Partnerfirma der clevergie ag, der IBL (Industrielle Betriebe Langenthal), wurde ein spannendes Lehrlingsmodell ausgearbeitet, bei dem Lehrlinge in beiden Betrieben Tätigkeiten erlernen. «Wir haben uns sehr akribisch vorbereitet, um dem Kanton zu beweisen, dass es funktioniert, denn eigentlich ist es eine normale Elektrikerausbildung, nur eben mit dem Schwerpunkt auf erneuerbare Energie.» Der Kampf hat sich gelohnt. Letztes Jahr wurde das Vorhaben bewilligt. Rund 70 Prozent ihrer Lernziele werden die Lehrlinge in Wyssachen absolvieren können.

Solaranlage als Gebäudehülle
Die Corona-Krise hat bei der clevergie ag keine negativen Auswirkungen. Eher im Gegenteil, die Aufträge haben seit Pandemiebeginn zugenommen. «Meist sind unsere Kunden Privatpersonen, die momentan vermehrt zu Hause sind. Deshalb haben sie Zeit, um über Solarenergie nachzudenken», ist Lukas Meister überzeugt. Einen grossen Aufschwung der jungen Firma gab es jedoch bereits im Jahr 2015, als sie in Affoltern ein Solarprojekt auf einem denkmalgeschützten Gebäude umsetzen konnten. Die diskreten, sich optisch sehr gut einfügenden Solarpanels haben bei der Bevölkerung ein Umdenken bewirkt. Nicht selten habe ich gehört, dass die Leute sagten: «Wenn es dies auch in ‹Schön› gibt, möchte ich so etwas auch haben», erzählt Lukas Meister schmunzelnd.
Clevergie verfolgt die Idee, dass die Solaranlage gleichzeitig die Gebäudehülle sein soll, welche Strom produziert und auf den ersten Blick nicht als Solaranlage erkennbar ist. Die Optik ist für clevergie genauso wichtig wie die Funktionalität. «Ich denke, dass die Solaranlage mit der Zeit sogar die Ziegel ersetzen wird», wagt Lukas Meister einen Blick in die Zukunft. Sogar die Denkmalpflege hatte durch das Projekt in Affoltern erkannt, dass auf diese Art auch Solaranlagen bei schützenswerten Häusern bewilligt werden können. Das Projekt hatte nicht nur die Akzeptanz der Solaranlagen verbessert, sondern wurde auch mit einem schweizerischen und einem europäischen Solarpreis ausgezeichnet. Die Solarpanels, welche durch die Mitarbeiter der clevergie ag tagtäglich auf oder an den Häusern montiert werden, werden als Halbfabrikate in der Schweiz oder in Deutschland eingekauft. «Der Rest wird durch uns nach Kundenwunsch zusammengestellt, zusammengebaut, programmiert und installiert», erklärt der bald zweifache Familienvater.

Das Sorglos-Paket
Die clevergie ag bietet ihren Kunden ebenfalls ein gesamtes Energieprojekt als ein sogenanntes Sorglos-Paket an. Während in den Anfängen der Firma nur Solaranlagen montiert wurden, sind unterdessen auch erneuerbare Heizungslösungen und die Elektromobilität hinzugekommen. «Hierbei muss alles intelligent zusammen funktionieren», erklärt Lukas Meister. So müsse beispielsweise die Solaranlage die gleiche Sprache wie die Wärmepumpe sprechen.
«Beim Sorglos-Paket kann sich der Kunde bequem zurücklehnen. Wir übernehmen die gesamte Planung und koordinieren die einzelnen Handwerker. Das hat den Vorteil, dass der Kunde nur einen Ansprechpartner hat.» Clevergie arbeitet dabei ausschliesslich mit regionalen Handwerkern zusammen. In der Region Lan­genthal ist die clevergie ag deswegen vor drei Jahren mit der IBL eine Partnerschaft eingegangen. Auch der Bereich Elektromobilität ist ein wachsender Markt. Hier vertritt Lukas Meister die Meinung, dass auch der Strom für die Elektroautos aus einer erneuerbaren Quelle bezogen werden sollte.
«Bezieht man den Strom für das Auto aus Kohle- oder Atomkraftwerken, kommt das eher einem Eigengoal gleich.» Ebenso wichtig ist es, dass die Komponenten der Fahrzeuge mit umweltfreundlicher Energie hergestellt werden. «Hier braucht es eine gewisse Konsequenz. Clevergie ist deswegen seit 2020 CO2-neutral und kompensiert auf freiwilliger Basis sämtliche Emissionen, welche sich nicht vermeiden lassen», hält der Unternehmer fest. Clevergie fungiert hier als Vorbild und stellt ihren Mitarbeitern über 20 Elektrofahrzeuge zur Verfügung.

Die Krux mit der Bewilligung
Gründe, dass der Bau einer Solaranlage nicht mehr bewilligt wird, gibt es heute kaum mehr. Wichtig ist lediglich, dass die vor Ort geltenden Gestaltungsrichtlinien eingehalten werden. «Eine Baubewilligung braucht es unterdessen im Kanton Bern keine mehr. Die Solaranlage ist lediglich meldepflichtig», erklärt Lukas Meister. Schwieriger hingegen sieht es bei den Wärmepumpen aus, hier braucht es nach wie vor eine Baubewilligung. Doch wenn die Lärmschutzvorschriften eingehalten werden, steht auch dieser meist nichts mehr im Weg. «Es gibt aber Gemeinden, die sehr lange für eine solche Bewilligung brauchen. Für unsere Kunden, die eine defekte Heizung haben, kann dies mitunter zu einem Problem werden und hält sie manchmal davon ab, eine ökologisch sinnvolle Wärmepumpenheizung einbauen zu lassen. Hingegen braucht der Ersatz einer bestehenden Öl- oder Gasheizung keine Baubewilligung», ärgert sich Lukas Meister.
Schwierig gestaltet sich auch die Bewilligung der Windräder. Zwei Windräder hat der junge Firmeninhaber schon aufgestellt. Das Erste, welches er als Diplomarbeit auf dem Schaber oberhalb Wyssachen wieder in Gang brachte, ist unterdessen 27 Jahre alt und am Ende seiner Lebensdauer angekommen. Ein zweites, etwas grösseres Windrad steht auf dem Allewindli, ebenfalls in Wyss­achen. «Die Windenergie ist ein schwieriges Geschäft. Behörden, Einsprachen, Interessenkonflikte, all das sind sehr schwierige Hürden, die man nehmen muss», erklärt Lukas Meister. Er ist überzeugt, dass die Windenergie sich in der dicht besiedelten Schweiz nicht durchsetzen wird.

Besondere Mitarbeiterbindung
Eine weitere Besonderheit, die clevergie ihren Mitarbeitern anbietet, ist die Möglichkeit, Aktien zu erwerben. Dafür wurde 2018 eine eigene Aktiengesellschaft gegründet. Der Zweck dieser zweiten Gesellschaft ist es, Solaranlagen auf fremden Dächern zu betreiben. Ein System, das sich bis heute bewährt hat. «Fast alle Mitarbeiter haben Aktien gekauft. Spannend war zu beobachten, dass sie danach anfingen, vermehrt unternehmerisch zu denken», freut sich Lukas Meister. Dass dies mitunter ein Grund ist, dass die Firma kaum Fluktuationen zu verzeichnen hat, ist nicht von der Hand zu weisen.
Obwohl sich die Corona-Pandemie für clevergie aus Sicht der Auftragslage eher positiv auswirkte, hat es den internen Werten doch geschadet. Bisher hat die Belegschaft immer zusammen zu Mittag gegessen. Deswegen wurde eigens ein Koch angestellt. Es war eine «win-win»-Situation, ist Lukas Meister überzeugt. «Das gemeinsame Essen hat den Zusammenhalt stark gefördert, seit Corona geht der Austausch verloren», gibt er zu bedenken. Doch die Hoffnung, dass bald alles wieder einigermassen normal laufen wird, ist gross. Nicht nur, weil clevergie nächstes Jahr ihr 10-jähriges Bestehen feiern möchte.

Von Marion Heiniger