• Der Ursenbacher Pfarrer Durs Locher nahm die Amtseinsetzung von Pfarrerin Brigitte Siegenthaler in Walterswil vor. Rechts Kirchgemeindepräsident Robert Käser. · Bild: Thomas Peter

11.04.2019
Oberaargau

Eine Kirchgemeinde, so bunt wie eine Wildblumenwiese

Ein Novum für die kleinste Kirchgemeinde im Oberaargau: Brigitte Siegenthaler wurde als die erste Frau in das Pfarramt von

Walterswil feierlich eingesetzt. Über 100 Gäste wohnten diesem «markanten Moment der Kirchgemeinde» bei, wie Pfarrer Durs Locher den Festgottesdienst umschrieb. Kirchgemeindepräsident Robert Käser hofft, dass die Kirchgemeinde und der Pfarrhausgarten bald zu bunten Blumenwiesen werden.

Walterswil · Das Schiff der Kirche Walterswil war nahezu zum Bersten voll an diesem besonderen Gottesdienst. «Freude herrscht», lehnte dabei Kirchgemeindepräsident Robert Käser ein Zitat von Altbundesrat Adolf Ogi aus. «Der heutige Tag ist für die Kirchgemeinde Walterswil ein geschenkter Tag. Nach fast zwei Jahren Ungewissheit, ob wir als kleinste Kirchgemeinde im Oberaargau je wieder eine Pfarrperson finden werden, können wir heute diesen Begrüssungsgottesdienst feiern.» Dem Verantwortlichen sei damit ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. «Unsere Freude ist beinahe grenzenlos. Wir sind der Meinung, dass Brigitte Siegenthaler, die erste Frau im Pfarramt Walterswil, ideal zu uns passt.» Und damit sprach Robert Käser das «Gspüri» für die Menschen und die Herzlichkeit von Brigitte Siegenthaler an. Eine Wärme, die sich durch den ganzen Amtseinsetzungsgottesdienst hindurchtrug. Ein Kirchenfest, das der Ursenbacher Pfarrer Durs Locher gemeinsam mit Brigitte Siegenthaler gestaltete, musikalisch wie feierlich würdig umrahmt vom Organisten Martin Jäggi, dem Kirchenchor und dem Posaunenchor Walterswil-Oeschenbach.

Markanter Moment

«Es sind markante Momente, wenn in einer Kirchgemeinde ein Pfarrwechsel ansteht. Es sind gute Momente, wenn die Aussicht besteht, dass danach wieder ein ruhigeres, geordneteres Kirchgemeindeleben möglich wird», begrüsste Pfarrer Durs Locher die über 100 Gäste. «Doch niemand von uns kennt die Zukunft.» Deshalb seien es Hoffnungen, auf die man vorerst baue. «Hoffnungen, die mit Gottes Segen Wirklichkeit werden. Hoffnungen, die verbunden sind mit der Einsicht, dass nur das Bestand hat, das auch von Gott getragen wird.» 

Licht im Dunkeln

In der gemeinsamen Predigt zum Text von Johannes 3 (10–16) sprachen Brigitte Siegenthaler und Durs Locher aber auch finstere Momente an, die einem im Leben begegnen können. Wie einst Nikodemus, der als hochangesehener Mann des Wissens und Glaubens unerschütterlich zu sein schien. Jedoch: «Nikodemus steht im Dunkeln», umschrieb Brigitte Siegenthaler das Dilemma des Gelehrten, «aber er hat das Licht gesehen.» Dieser Lehrer Israels, Schriftgelehrter und Mitglied des Hohen Rates, hatte in einer Nacht Jesus aufgesucht, wollte mit ihm reden. «Er weiss nicht, was er von diesem Jesus halten soll.» Von diesem Lehrer aus Nazareth, der Kranke heilt, der intensiv und unorthodox lebt, «der den Menschen wieder die Freude am Feiern gibt und den Betrieb im Tempel von Jerusalem stört.» Doch Jesus ging im Gespräch mit Nikodemus nicht auf dessen Fragen ein, sondern konterte: «Du bist der Lehrer Israels und verstehst das nicht?» Obwohl Nikodemus diese Antwort ärgerte, mahnte er im Streit mit anderen Gelehrten und Verantwortlichen zur Zurückhaltung in ihrem Urteil über Jesus. Vergebens. Jesus wurde gekreuzigt. «Nikodemus steht im Dunkeln. Aber er hält es in dieser Dunkelheit aus, weil er in Jesus das Licht gesehen hat, das von der Finsternis nicht ergriffen wird», so Brigitte Siegenthaler. 

«Dieser Text passt sehr schön zur Amtseinsetzungsfeier», trug Durs Locher in seinem Predigtteil die Gedanken weiter. «Was haben heute Pfarrerinnen und Pfarrer für Aufgaben?» Die Verkündigung und das Einstehen für das Evangelium, aber: «Eine Pfarrerin, ein Pfarrer kann das nicht alleine. Es ist zwar die Person in einer Gemeinde, die sich regelmässig Gedanken macht, liest, Predigten vorbereitet, betet, hinterfragt, mahnt, manchmal auch Missstände anprangert, aber auch tröstet.» Nikodemus sei seinen eigenen Weg gegangen und habe irgendwie Jesus die Treue gehalten. Er sei unbequem gewesen für damaligen Vertreter des Judentums, unbequem auch für die Christen, weil er nicht in eine Schublade gepasst habe. «Er war ein Mann zwischen den Fronten, man kann aber auch sagen: Ein Brückenbauer. In dieser Funktion, in seiner Art, unbequem zu sein, ist er für uns Pfarrerinnen und Pfarrer auch ein Bruder.» Nikodemus habe nicht alles verstanden, was ihm Jesus gesagt habe. «Auch einem Pfarrer und einer Pfarrerin kann manchmal das Licht in der Laterne ausgehen.» Doch es falle keinem ein Zacken aus der Krone, wenn man andere darum bitten müsse, dieses Licht wieder anzuzünden. Wie alle Menschen sei auch die Pfarrerin, der Pfarrer auf Zuspruch angewiesen. «Ich wünsche der ganzen Kirchgemeinde Walterswil, dass ihr euren gemeinsamen Weg gehen könnt. Einen Weg, von dem ihr sagen könnt: Der Anfang und das Ende davon liegt in Christus, von seinem Licht lassen wir uns leiten.»

Wildblumenwiese
Mit einem doppelsinnigen Geschenk wartete Kirchgemeindepräsident Robert Käser zum Abschluss des Gottesdienstes auf: Als man Brigitte Siegenthaler den vom trockenen Sommer strapazierten Pfarrhausgarten präsentiert hatte, habe sie schon schnell den Wunsch geäussert, statt Rasen eine Wildblumenwiese anzusäen. «Diesen Wunsch möchten wir dir erfüllen.» Damit werde auch der Pfarrhausgarten ein ganz neues Gesicht erhalten mit verschiedenen Gräsern, Kräutern und Blumen in unterschiedlichsten Farben, Formen und Grössen, in dem Kleinstlebewesen, Insekten und Vögel Lebensraum finden sollen. Damit dies entstehen könne, brauche es neben einem guten Saatbeet, guten Wachstumsbedingungen, Wärme, Licht und Wasser auch guten Samen. Mit diesen Worten überreichte der Kirchgemeindepräsident der Pfarrerin symbolisch ein Blumenwiesensamenmuster. «Im übertragenen Sinn braucht es auch einen guten Samen für die Entwicklung einer Kirchgemeinde.» Es brauche offene Ohren, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Geduld und Ausdauer, Menschenkenntnisse und viel Menschenliebe. «Menschen gerne haben, das ist für mich die wichtigste Eigenschaft. Liebe Brigitte, ich bin überzeugt, dass du all das mitbringst, so dass unsere Gemeinde blühen darf, vom Täufling bis zur 104-Jährigen.» Jeder dürfe so ein Pflänzlein sein in der wunderbaren Blumenwiese und mit seiner persönlichen Gabe einen Beitrag zur Symbiose leisten. «Doch dafür, dass sich die bunte Blumenwiese entfaltet, ist schlussendlich Gott zuständig, der mit seinem Segen das Gelingen schenken kann.» 

Von Thomas Peter