• Erika Meyer-Lanz verabschiedet sich nach 20 Jahren im Gemeinderat von ihren politischen Ämtern. · Bild: Irmgard Bayard

28.12.2020
Oberaargau

Eine Macherin verabschiedet sich

Sie ist eine Allrounderin, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Nach 20 Jahren im Gemeinderat, davon 17 als ­Gemein­de­präsidentin, verabschiedet sich Erika Meyer-Lanz. «Es ist der richtige Zeitpunkt», ­findet die 70-Jährige, die einst selbst für die Amtszeitbeschränkung gestimmt hatte.

Reisiswil · «Macherin, Kreativität, Krisenbewältigung, soziales Engagement, Helferin, direkte Art.» Mit diesen Schlagworten beschreibt Andreas Schärer, Vize-­Gemeindepräsident und ihr Nachfolger im Amt, Erika Meyer in der Präsentation zu deren Abschied. «Ja, das stimmt, ich bin sehr direkt und sage, was ich denke», bestätigt die 70-Jährige eine ihrer Eigenarten und lacht verschmitzt. Das sei zwar nicht immer gut angekommen, aber mit der Zeit habe sich die Bevölkerung daran gewöhnt und dies zu schätzen gelernt.

Von der Zuzügerin zur Gemeindepräsidentin
Mit Anfang 20 zog die junge Sozial-­pädagogin aus Rohrbach zu ihrem Mann, dem Landwirt Walter Meyer, auf dessen Hof, wo sie mitarbeitete.
Zudem liess sich Erika Meyer zur ­Sonderschullehrerin ausbilden, arbeitete bis zu ihrer Pensionierung 43 Jahre lang in der Heilpädagogischen Schule Oberaargau und zog drei Töchter und später noch einen Pflegesohn gross. Erst nach zwei Anläufen wurde sie schliesslich im Alter von 50 Jahren in den Gemeinderat und drei Jahre später zur Gemeindepräsidentin gewählt. Rund 340 Ratssitzungen und 34 ­Gemeindeversammlungen hat sie in dieser Zeit geleitet und zwei Ortsplanungsrevisionen miterlebt.

Von Kämpfen mit den Ämtern …
«Grosse Probleme gab es im Dorf keine», blickt sie zurück. «Aber mit den Ämtern habe ich manchen Kampf geführt.» Vor allem, wenn es um den ­Umbau von Bauernhäusern ging, setzte sie sich vehement gegen die aus ihrer Sicht unverhältnismässigen Vorschriften ein. «Da waren viele Emotionen im Spiel. Aber es ist immer gut herausgekommen.» Das Wasser sei auch immer ­wieder ein Thema gewesen, «wie in anderen Gemeinden auch», sagt sie. Und speziell emotional sei es in Bezug auf die Schulschliessung zu und her gegangen. «Da konnten wir mit Gondiswil schliesslich einen guten Deal abschliessen. Unsere Kinder ­gehen dorthin in die Schule, im Gegenzug kommen die kleinen Kinder aus dieser Gemeinde zu uns in den Kindergarten», erklärt Erika Meyer den Kompromiss. Einschneidend für das Dorf sei zudem die Schliessung der Post und der Chäsi gewesen. Dank ­gesunden Finanzen konnte hingegen in ihrer Amtszeit das Schulhaus renoviert und mit einer Fotovoltaikanlage versehen werden.

… und lustigen Anekdoten
Auf Anekdoten angesprochen, erzählt sie von einem Jubiläum des Alpenclubs und wie sie zusammen mit ­Thomas Rufener, damals Stadtpräsi­dent von Langenthal, vom Hochwachtturm abgeseilt worden sei. «Zuerst mussten wir übers Geländer klettern und auf halber Höhe haben sie uns kurz hängen lassen», sagt sie und lacht. Oder sie erinnert an den peinlichen Moment, als sie bei Dunkelheit und im Regen im frisch angesäten ­Rasen eines Dorfbewohners parkierte, um ihn für das Amt im Gemeinderat anzufragen. «Er hat auf jeden Fall trotzdem zugesagt», freut sie sich noch heute darüber.
Speziell sei es auch gewesen, als von der Polizei im Dorf eine Hanfplantage ausgehoben worden sei und sie als «Dorfpolizistin» dabei sein musste. ­Zu ihren Aufgaben gehörten aber auch weniger amüsante Einsätze wie etwa das Schlichten von Streitigkeiten oder das Verabschieden von verstorbenen Gemeindeangehörigen. «Bei der Arbeit kam mir immer wieder zugute, dass ich eine Allrounderin bin», ist sie überzeugt. Nun freut sie sich, das Amt an ihren mit acht Jahren im Gemeinderat bereits bestens eingearbeiteten Vizepräsidenten übergeben zu können. «Die Gemeinde ist finanziell und auch sonst gut aufgestellt», betont sie und hofft, dass diese dadurch noch lange eigenständig bleiben kann. Umso mehr, weil es erfreulicherweise immer gelinge, die Ämter zu besetzen.

Keine Langeweile in Sicht
Gefahr, dass sie sich langweile, bestehe nicht, sagt Erika Meyer und erzählt, dass sie seit vielen Jahren mit dem Männerchor Theater spiele und Regie führe, Töpferkurse anbiete, male, nähe und stricke. «Zudem habe ich vier Enkelkinder und springe als Stellvertreterin im Kindergarten Reisiswil ein», zählt sie weitere Aktivitäten auf und stellt damit einmal mehr ihre Vielseitigkeit und Kreativität unter Beweis. «Wie gesagt, Langeweile kommt bei mir sicher nicht auf», sagt sie zum Schluss. «Aber die vielen Begegnungen und interessanten Kontakte während meiner Amtszeit werde ich sicher ­etwas vermissen.»

Von Irmgard Bayard