• Die Käserei Ursenbach fand sich in den letzten Jahren etliche Male unter den zehn besten Emmentaler Käsereien der Schweiz. · Bilder: Liselotte Jost-Zürcher

  • Das «Landjägerstöckli» unmittelbar neben der Käserei: Auch hier ist offenbar einst gekäst worden.

08.01.2020
Oberaargau

Eine über 170-jährige «ob und unter dem Bach»-Geschichte

In den letzten wenigen Jahrzehnten hatten die Käsereien Mühe, sich auf dem Markt zu behaupten. Gut funktionierende, traditionelle Dorfkäsereien sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Ursenbach aber hat sie noch, und eine mit einem sehr guten Ruf und exzellenter Qualität überdies. Die Geschichte der Ursenbacher Käserei-Tradition reicht über 170 Jahre zurück.

 

Ursenbach · Im Chorgerichtsmanual vom Mai 1636 steht zu lesen: «Den ersten Diss ist Chorgericht gsin und het man azeigt, dass Käss Hans an einem Sonntag in der Predigt Käse ferggen und laden lassen.» Am 10. Mai hatte sich der «Kässman» vor dem Chorgericht zu verantworten. Er wurde mit 10 Pfunden gebüsst. Ob «Käss Hans» wohl Käsehandel betrieben hatte? Er wäre damit der «Käsegeschichte» um etliches voraus gewesen.

Zeitungsartikel von 1957
Die Ursenbacher Gemeindeschreiberin Daniela Glutz ist auf einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1957 gestos-sen, der in der Gemeindeverwaltung Ursenbach in Kopie vorliegt und Aufschlussreiches über die Ursenbacher Käsereigeschichte preisgibt. In drei Teilen hat sie diese im Laufe des letzten Jahres in der Ursenbacher Dorfzeitung «Dr Ursebacher» erscheinen lassen. Diese Spuren hat, mit freundlicher Genehmigung von Daniela Glutz, nun auch der «Unter-Emmentaler» aufgenommen.
Die ältesten Aufzeichnungen über das Bestehen einer Käserei in Ursenbach reichen ins Jahr 1846 zurück. Damals, im März, beschloss der Gemeinderat, sich der Geldangelegenheit zwischen der Witwe Anna Güdel und der «dasigen Käsereigesellschaft» anzunehmen. Anna Güdel soll eben dieser Käsereigesellschaft Geld geliehen haben. Doch nun wollten ihre Bürgen «aus der Bürgschaft». Wie lange die Käsereigesellschaft zuvor schon bestanden hatte, ist allerdings unbekannt.
Weiter war im «Dr Ursenbacher» beschrieben: «Dem Protokoll über die Verhandlungen der Dorfgemeinde Ursenbach ist zu entnehmen, dass Niklaus Güdel den Platz seines abgebrannten Hauses – es handelt sich um die heutige Besitzung ‹Kreuz› – dem Daniel Held von Dürrenroth verkauft habe. Güdel hätte dies ohne Vorbehalt der dazugehörenden Holzrechte zur nicht verkauften ‹Käshütte› getan. Gehen wir dieser Sache weiter nach, so finden wir im Zufertigungsbegehren vom 28. Februar 1848 die Anstösser der Käsehütte verzeichnet. Das Grundstück, auf dem sie stehe, grenze: ‹Morgens an die alte Hofenstrasse, Mittags an den Hauptbach, Abends an die neue Landstrasse und Mitternachts an Johann Güdel Schmieds Baugrube›.»
Ohne Zweifel – so geht aus der Ortsbeschreibung klar hervor – war das heutige «Landjägerstöckli» jene Käshütte. Auch ist im Lagerbuch der Brandversicherung unter Nr. 166 ein versichertes Gebäude eingetragen, das die Bezeichnung «Wohnstock mit Käserei» aufweist. Die im Lagerbuch enthaltenen Massangaben stimmen mit Länge und Breite des Landjägerstöckleins genau überein.
Anno 1846 zählte man im Bernbiet das Kleinvieh, die Bienenstöcke und die Käsereien. Die Ergebnisse wurden tabellarisch zusammengestellt. Im Amt Wangen bestanden damals sieben Käsereien, unter denen auch Ursenbach aufgeführt ist. Wir vernehmen, dass man damals in Ursenbach 70 Zentner fetten und 7¼ Zentner Halbkäse hergestellt habe.

Unter wachsamem Auge der Regierungsstatthalter
Auf die Käsereien wurde 1854 ein wachsames Auge auch seitens der Regierung geworfen. Es war die Zeit von Gotthelfs «Käserei in der Vehfreude», die Zeit, als Milch und die Käseproduktion für die Bauern und die Käser kleine Goldgruben bedeuteten. Die Zeit auch, als sich der Schweizerkäse weltweit einen Namen schaffte. So verlangte die Regierung von sämtlichen Regierungsstatthaltern über «die Käsereien in ihrem Bezirk, und zwar über die Zahl derselben, das Quantum ihres Products und ihren durchschnittlichen Ertrag», möglichst genaue Auskunft.
Fünf Amtsberichte enthalten nun äusserst aufschlussreiche Angaben über die Käsereien. Aus den Tabellen des (damaligen) Amtes Aarwangen lässt sich eine Ausbeute von 7,95 % bei der Käsefabrikation errechnen, eine Zahl, die nach Angaben von Fachleuten stimmen kann.
So steht im «Dr Ursenbacher» vom April 2019: «Nehmen wir diesen Prozentsatz als auch für Ursenbach zutreffend an, so ergibt sich für die Jahre 1854/1858 ein verkästes Milchquantum von 291 628 Pfunden. Das entspricht etwa einem Fünftel der im Jahr 1945 in die Käserei gelieferten Milchmenge. Die Kuhzahl aber ist Anno 1945 mit 300 angegeben. Just in jenen Jahren — 1856 — wurde das «Wohnstöcklein mit Käserei» von der Gemeinde Ursenbach aus der Geltstagsmasse des Niklaus Güdel käuflich erworben. Nach Massgabe des neuen Armenpolizeigesetzes brachte die Gemeinde im Wohnstöcklein die vorgeschriebenen Arrestlokale unter. Auch der in Ursenbach jeweils stationierte Landjäger kam darin zu wohnen. Aus der Käshütte aber war das Landjägerstöcklein geworden. Das ‹Ofenhaus› beim ‹Löwen› scheint die obdachlose Käserei aufgenommen zu haben. Am 18. Mai 1863 übernahm Samuel Brand von seiner Mutter Anna Barbara geb. Rothenbühler Samuels, des Löwenwirts sel. Witwe, ‹ein Ofenhaus mit Stubenwerk, einem Keller, Estrich und Kässpeicher›. Die ‹Abtretung› enthält weiter, dass sich die Käserei von Ursenbach gegenwärtig in diesem Gebäude befinde und dass der dem Sohn Samuel Brand überbundene Vertrag mit der Käsereigesellschaft auf den 1. Mai 1864 ablaufe.
Samuel Brand hat dieses Ofenhaus abbrechen lassen. Anno 1868 steht an seiner Stelle bereits ein neuer Wohnstock. War die Käserei in diesen Jahren vorübergehend im Pfundofenhaus, dem jetzigen Scheuerlein der Familie Güdel Drechslers, untergebracht? Das Landjägerstöcklein hat sie doch sicher nicht aufnehmen können, da es ja anderweitig belegt war. Ältere Leute aber wollen von ihren Eltern wissen, dass diese ihre Milch ins Pfrundofenhaus zum Verkäsen gebracht hätten.»

Unter dem Bach und ob dem Bach
Der im Jahr 1868 bereits bestehende «Löwenstock» war wohl ursprünglich nicht für eine Käserei vorgesehen. Von Ulrich Bürki an der Schynen wurde 1877 ein unter seinem Hause quellender Brunnen erworben, der zum geplanten Käsereigebäude auf dem Grundstück von Samuel Brand hätte geleitet werden sollen. Dieser beabsichtigte Bau schien indessen die Geister getrennt zu haben.
Wohl entstand ein Neubau, doch dieser wurde von den Genossenschaftern erstellt, welche die Milch nicht beim «Löwen» verarbeiten lassen wollten. Die neue Käserei wurde beim «Araber» gebaut. Diese blieb gut 70 Jahre als solche bestehen. Am 9. August 1957 wurde hier die letzte Milch angenommen. So war damals die «untere Hütte» entstanden; die «obere» blieb im «Löwenstock» untergebracht. Das bedeutete eine Scheidung unter den Milchlieferanten, und offenbar eine gründliche, denn sie schrieb ein gutes halbes Jahrhundert Dorfgeschichte.
Die Käsereigenossenschaft unter dem Bach verkaufte die Milch bis 1904 an Milchkäufer. In der oberen Käshütte wurde dagegen immer genossenschaftlich gekäst. Dass ein Zusammengehen im Grunde genommen sowohl für die Gesamtheit als für die Einzelnen vorteilhafter gewesen wäre, lag wohl auf der Hand. Jedenfalls tauchte der Gedanke auch im Protokoll der «unteren Käserei» im Jahr 1893 auf. 1916 schloss sich die Käsereigenossenschaft Ursenbach unter dem Bach dem Verband bernischer Käsereigenossenschaften an.
«Gut Ding will Weile haben»: Erst 1931 fanden sich die beiden Käsereien wieder. Auf den 1. Mai 1931 wurden die beiden Gesellschaften zusammengeschlossen. Um besser zur Käserei gelangen zu können, liess die Gemeinde Ursenbach 1931 das Verbindungssträsschen vom «Löwen» zur Sumiswaldstrasse erstellen. Dies kam den «Oberen» zugute.
Der Firma Röthlisberger & Cie. in Herzogenbuchsee, dem «Käsherrn» der oberen Hütte, werden die Käse seit 1931 verkauft. Da die Käserei allmählich baufällig geworden war, wurde ein Neubau in Angriff genommen. Nach langem Hin und Her wurde die neue «Chäsi» endlich möglich. Man schrieb inzwischen das Jahr 1957. Sie steht – bis heute – in unmittelbarer Nähe des Landjägerstöckleins – hundert Jahre reichen sich damit über die alte Hofenstrasse die Hand. Wie könnte der Wandel der Zeit besser dokumentiert werden, als durch das Gegenüberstellen der beiden Gebäude ...

Unter den zehn besten Emmentaler-Käsereien der Schweiz
Die Käserei Ursenbach, eine genossenschaftlich geführte Emmentaler Käserei unter Betriebsleiter Fritz Lehmann, ist weit über die Dorfgrenzen hinaus bekannt und beliebt. Sie hat sich als langjähriger Familienbetrieb mit eigener erstklassiger Käse- und Spezialitätenproduktion etabliert und ist ein zertifizierter Betrieb mit dem Label «Suisse Garantie». Als «Herzstück» gilt die Käsevitrine im Verkaufsladen mit rund 50 verschiedenen Käsesorten, von mild bis rezent und von weich bis extrahart. Zahlreiche Stammkunden aus der Region schätzen das familiäre Ambiente, die Qualität und die kompetente Beratung. Fritz Lehmann wird von seinem inzwischen pensionierten Bruder Hans Lehmann (dem Betriebsleiter 1980 bis 2007) unterstützt. In der Produktion arbeiten zudem David Aebersold, Milchtechnologe EFZ, und Thomas Scheidegger, lernender Milchtechnologe. Im Laden ist Barbara Lehmann zuständig. Als Aushilfen sind Elisabeth Lehmann (die Frau von Hans Lehmann) und Anita Schär tätig. Täglich werden im Betrieb vier Laibe Emmentaler hergestellt. Dazu kommen Butter, Joghurt, Pastmilch, Rahm, Ziger, Hauskäse nature oder mit Bärlauch, Chili oder Kümmel. Fritz Lehmann, sein Team und die Käserei Ursenbach fanden sich in den letzten Jahren etliche Male unter den zehn besten Emmentaler Käsereien der Schweiz.
Durch den Anschluss an den Wärmeverbund, der mittels regionaler Rohstoffe Energie produziert, entsteht in Ursenbach seit 2012 umweltfreundlicher Emmentaler. Im Oktober 2018 fusionierte die Genossenschaft mit der Käsereigenossenschaft Oeschenbach. «Damit konnten wir den Fortbestand unseres Traditionsbetriebs gewährleisten», sagt Andres Bernhard, Präsident der Käsereigenossenschaft Ursenbach, gegenüber dem «Unter-Emmentaler». Die Käserei in Oeschenbach wurde geschlossen; ihre Lieferanten bringen die Milch seither nach Ursenbach. In Ursenbach wird heute jährlich von 25 Bauern rund 2,6 Millionen kg Milch eingeliefert. Dank der Übernahme der Käseproduktionsrechte aus Oeschenbach ist es möglich, die Käserei Ursenbach voll auszulasten. Damit kann ein besserer Milchpreis erzielt werden, was schliesslich allen Beteiligten zugute kommt.

Von Liselotte Jost-Zürcher/Daniela Glutz