• NOSV-Aushängeschild Samuel Giger (auf dem Bild bei seiner unvergessenen Szene am Bernisch-Kantonalen Schwingfest in Affoltern 2017, als er den Schwingerkönig Matthias Sempach spielend leicht eine gefühlte Ewigkeit hochhob) verzichtet momentan aus Solidarität zu seinen Verbandskollegen auf das Schwingen. · Bild: Stefan Leuenberger

25.03.2021
Sport

Eitel Sonnenschein sieht anders aus

Eidgenössischer Schwingerverband – In der Schwingerszene brodelt es. Eigentlich hätte der Entscheid, dass 120 auserwählte Spitzenschwinger den Schwingsport wieder uneingeschränkt ausüben dürfen, Jubelschreie auslösen sollen. Stattdessen herrscht Frust. Die «Eidgenossen» des Nordostschweizer Schwingerverbandes setzen ein Zeichen für ihre Kollegen. Die NOSV-Spitzenathleten kehren erst in das Sägemehl zurück, wenn dies auch die für den Schwingsport gerade so wichtigen Mittelschwinger wieder dürfen. Für die Schwingfeste 2021 sieht es düster aus.

Schwingen · Eigentlich sollte in der Schwingerszene nach der lange ersehnten ersten der schrittweisen Öffnungen am 17. März 2021 eitel Sonnenschein herrschen. Doch dem ist nicht so. Dass der Eidgenössische Schwingerverband (ESV)  in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sport (BASPO) und Swiss Olympic von seiner ursprünglichen Haltung – der Solidarisierung allen Schwingern gegenüber – abgekommen ist und den 120 besten Aktivschwingern das Training nun doch erlaubt, kommt nicht überall gut an.

Nordostschweizer mit Solidarität
Sogar auf Widerstand stösst er bei einem der fünf ESV-Teilverbänden. Die Nordostschweizer (NOSV) haben beschlossen, den Trainingsverzicht bis Mitte April aufrecht zu erhalten. «In einer Videokonferenz haben sich die Kranzschwinger dagegen entschieden, eine ganze Gruppe an Schwingern auszuschliessen. Es widerspreche dem ursprünglichen Gedanken des Schwingsports», erklärt NOSV-Präsident Rolf Lussi. «Alle Aktiven mit Jahrgang 2000 und älter im NOSV steigen erst wieder ins Sägemehl, wenn für alle Schwinger das Training erlaubt ist. Dies ist ein starkes Zeichen gegenüber dem Leitbild des Eidgenössischen Schwingerverbandes», findet Lussi. «Ich verzichte auf das Training, weil ich in diesem auch die Mittelschwinger brauche», findet NOSV-Aushängeschild Samuel Giger (15 Kranzfestsiege) im «Sportpanorama».

Drei «Abtrünnige»
Das NOSV-Kontingent umfasst 26 Schwinger (15 Eidgenossen und 11 Berg-/Teilverbandskranzer). Trotz der Solidarisierung mit den Mittelschwingern, die wegen den fehlenden Kranzgewinnen noch nicht ins Körperkontakt-Training zurückkehren können, ist die NOSV-Liste nicht leer. Drei Schwinger aus der Nordostschweiz wollen die Trainingsmöglichkeit nutzen. «Jeder der auserwählten Schwinger konnte selber entscheiden. Wir wollten es nicht verbieten», meint Lussi zum Trio, dass sich gegen die NOSV-Solidarität stellt.

Verständnis beim Verband
«Jeder Teilverband kann selber entscheiden. Es gilt, alle Entscheidungen zu respektieren», findet Rolf Gasser, ESV-Geschäftsstellenleiter. «Aber ausserordentliche Situationen erfordern ausserordentliche Massnahmen. Es ist wichtig, dass die stufenweise Öffnung bald vollendet werden kann», hofft Gasser. Bereits seit dem 1. März dürfen alle Nachwuchsschwinger mit Jahrgang 2001 und jünger wieder zusammengreifen. In dieser Stufe sind sogar Wettkämpfe (ohne Zuschauer) wieder erlaubt. Seit dem 17. März stehen zudem die auserwählten 120 Schwinger mit zwei und drei Sternchen wieder im Sägemehl. «Damit können bereits 67 Prozent aller Schwinger wieder normal trainieren», rechnet Gasser vor. «Mit dem nächsten Bundesratsentscheid von Mitte April sollte das gewohnte Schwingtraining auch für den Rest möglich sein», hofft Gasser.

«Disu» ist wieder im Schwingtraining
Im Bernisch Kantonalen Schwingerverband (BKSV) beträgt das Kontingent der ins Training zurückgekehrten Schwinger 17 Eidgenossen und 10 Berg-/Teilverbandskranzer. Natürlich gehört das regionale Aushängeschild Matthias Aeschbacher aus Rüegsau-schachen dazu. Der 58-fache Kranzgewinner schwitzt schon lange wieder. «Ich konnte im Sportler-WK in Magg-lingen im Bereich Kraft und Ausdauer hervorragend trainieren.» Lange habe er auf die Rückkehr zum Zusammengreifen geplangt. Nach dem Okay habe er sich gefreut, auch wenn er es bedauert, dass nicht alle Schwinger in den Genuss kommen. «Die teilweise Rückkehr ist aber wichtig, damit der Schwingsport nicht ganz von der Bildfläche verschwindet», findet das Aushängeschild des Schwingklubs Sumiswald. «Die Situation ist wegen der Pandemie schwierig. Obwohl ich es dem Schwingsport so sehr wünsche, kann ich mir momentan nicht vorstellen, dass dieses Jahr Kranzfeste stattfinden», sagt der 29-Jährige.

Fokus auf das ESAF 2022
«Disu» richtet seinen Fokus bereits auf den August 2022. «Wenn ich beim Eidgenössischen in Pratteln einen Schritt nach vorne tun will, muss ich jetzt im Training damit beginnen.» Statt sich von der aktuellen Ungewissheit verrückt machen zu lassen, fokussiert sich der Maurer auf einen Grossanlass, «der dann hoffentlich in einigermassen normalem Rahmen stattfinden wird.» Eine willkommene Ablenkung findet der achtfache Kranzfestsieger daheim. Seit August 2020 ist der glücklich verheiratete Sägemehlgladiator stolzer Vater von Söhnchen Nino. «Ich bringe mich, so gut ich kann, in die Aufgaben ein. Die Zeit mit Nino ist wunderschön.» Und der 191 cm grosse und 120 kg schwere Fels von einem Mann zeigt sich dabei sogar als sanfter Riese: «Auch das Windelwelchseln ist kein Problem.»

Nur zwei Sumiswalder im Einsatz
Matthias Aeschbacher und Patrick Schenk sind die mit Abstand erfolgreichsten Aktivmitglieder des Schwingklubs Sumiswald. Beide sind ins Sägemehl zurückgekehrt. Es sind aber die beiden einzigen Mitglieder des Schwingklubs Sumiswald. Die restlichen zwei Sumiswalder, welche den Zugang ebenfalls erhalten haben, verzichten bis zur Gesamtöffnung auf Trainingseinsätze im Nahkampf.
Die aktuelle Situation ist für die bevorstehenden Schwingfestorganisatoren 2021 alles andere als aufbauend. Ein Blick auf die ESV-Agenda zeigt, dass schon viele kleinere Schwingfeste abgesagt oder verschoben wurden. Aber auch Grossanlässe wie das Zuger, das Schwyzer, das St. Galler und das Zürcher Kantonalschwingfest oder der Stoos-Schwinget sind gestrichen oder verschoben. Für den NOSV gilt die Regelung, dass vom Beginn der Trainingsphase bis zum Schwingfeststart vier Wochen vergehen müssen. Schwingfestbesuche für Spitzen- und Mittelschwinger werden für die NOSV-Mitglieder dementsprechend erst ab Juni 2021 möglich sein. Und dies auch nur, wenn der Bundesrat bei der nächsten Lockerung Wettkämpfe für Erwachsene wieder erlaubt. Wegen den in der Schweiz wieder steigenden Neuansteckungen rennt den Schwingern damit auch noch die Zeit davon. Keine gute Ausgangslage für die Wettkampfsaison 2021 im Schwingen.

Info: 120 ausgewählte Schwinger können seit dem 17. März 2021 auch wieder Körperkontakt-Schwingtrainings absolvieren. Der Verteiler sieht wie folgt aus: BKSV: 17 Eidgenossen und 10 Berg-/Teilverbandskranzer; ISV: 16 Eidgenossen und 22 Berg-/Teilverbandskranzer; NOSV 15 Eidgenossen und 11 Berg-/Teilverbandskranzer; NWSV: 7 Eidgenossen und 9 Berg-/Teilverbandskranzer; SWSV: 3 Eidgenossen und 10 Berg-/Teilverbandskranzer; zusätzlich je 1 U23-Schwinger aus jedem Teilverband.

Von Stefan Leuenberger