• Autor Hanspeter Vogt beim Signieren seines Buches. · Bild: Thomas Peter

29.03.2019
Langenthal

Fast vergessener Retter der Berner Spitäler

August Rikli: Ein Dickkopf, Querdenker, Militarist oder Sozialist? Er war wohl von allem etwas. Der Parteilinie war er nicht immer treu, dafür aber sich selber, dem Wohl der Kranken und der Arbeiterwelt. Er hat nicht nur Langenthal und sein Spital, sondern auch die Berner Politszene zur Wende des 20. Jahrhunderts mitgeprägt. Und doch ist er in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, findet Buchautor Hanspeter Vogt in seiner neu veröffentlichten Biographie.

August Rikli: Ein Mann der in Vergessenheit geraten ist? Den Eindruck hatte man zumindest an der Buchvernissage im Bären Langenthal nicht. Der Barocksaal war fast zum Bersten voll. Das Buch fand grossen Absatz. Und Hanspeter Vogt vermochte eindrücklich den Arzt und Menschen in seiner Zeit wieder aufleben lassen.
Der Langenthaler Gynäkologe zeichnete dabei ein Bild eines Mannes, der ob seiner vermeintlichen Widersprüchlichkeit nur schwer zu fassen scheint. «Er war ein Arzt, Politiker, Militarist und Philanthrop (Menschenfreund). Als langjähriger Arzt am Spital Langenthal bin ich der Person August Rikli immer wieder begegnet. Ein Mann, den man heute nicht mehr wirklich kennt, doch vieles von der Entwicklung Langenthals beruht auf ihm.» Aber er war auch ein Mann der scheinbaren Gegensätze: Seinem Engagement für die Kranken und Benachteiligten standen seine Forderung nach einer wirksamen Landesverteidigung im ersten Weltkrieg und seine Ablehnung des Landesstreikes 1918 trotz zunehmender Armut weiter Bevölkerungskreise gegenüber. Daneben war er Hundezüchter, Förderer der Volksgesundheit, Moralprediger und Naturschützer. Seine Persönlichkeit hatte viele Facetten.

Spitalarzt und Sozialist
Geboren in einem wachsenden Spannungsfeld zwischen Liberalen und Arbeiterschaft hat sich August Rikli als Fabrikantensohn schon früh weniger für Gewinnmaximierung als für das Umfeld der Fabrikarbeiter und soziale Fragen der Gesellschaft interessiert. Er sah Armut, Krankheit und Trunkenheit aus nächster Nähe. Als die Rotfärberei seines Vaters mit dem Aufkommen der synthetischen Farbstoffe ein Ende fand, finanzierte er sich sein Medizinstudium mit Krediten. Er pflegte Kontakte zu russischen Emigranten, die aus dem Zarenreich geflohen waren, sympathisierte mit Gewerkschaften und trat 1890 dem Schweizerischen Grütliverein bei, der später mit der Sozialdemokratischen Partei fusionierte. Er heiratete die russische Emigrantin und Studienkollegin Raisa Kolberg (1869 bis 1914) und führte mit ihr bis 1898 eine Landpraxis in Wiedlisbach, bevor er alleiniger Spitalarzt in Langenthal wurde.
Gemeinsam mit seiner unentgeltlich mitarbeitenden Frau hat er den Ausbau und die Weiterentwicklung des Bezirksspitals im Oberaargau vorangetrieben. «Sie hat sehr viel zum Gelingen seines Lebenswerkes beigetragen», strich Hanspeter Vogt hervor.
August Rikli erkannte, dass die Gebäude den Anforderungen der Zeit nicht mehr gerecht wurden, nahm in autoritärem Stil die Ausgestaltung des Spitals in Angriff und errichtete mustergültige Neubauten. Dabei liess er unter anderem den Operationssaal vergrössern oder ein Absonderungshaus für Seuchenkranke bauen. Wenn die öffentliche Hand kein Geld sprechen wollte, so organisierte er Bazars und Spendenaktionen, bis die Mittel etwa für den Bau eines Tuberkulosepavillons in Langenthal zusammengetragen werden konnten. Das einst kleine und bescheidene Bezirksspital in Langenthal wurde so im Laufe der Zeit zu einem der grössten und besteingerichteten überhaupt.
August Riklis guter Ruf zog in der Folge immer weitere Kreise. Mit seinem Eintritt in den Verwaltungsrat des Inselspitals konnte er ab 1910 eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den Bezirksspitälern und dem Inselspital übernehmen. 1923 trat er gar als Retter des Inselspitals hervor, da er dank der rettenden Idee einer Einführung der Kopfsteuer das Inselspital vor dem Ruin und der Verstaatlichung bewahrte. Ab 1929 war Rikli Verwaltungsratspräsident des Inselspitals.

Nationalrat
Der Schweizerische Grütliverein hob August Rikli als Kandidat 1908 auf die politische Bühne und portierte ihn für die Nationalratswahlen. Ein eisiger Gegenwind blies ihm allerdings entgegen. «Der Redaktor des Langenthaler Tagblattes warnte, dass mit der Wahl Riklis der Oberaargau dem Sozialismus ausgeliefert werde. Der Arzt solle sich um die Kranken, nicht um die Politik kümmern», so Hanspeter Vogt. Aufrufe und Kampagnen der Freisinnigen um den Industriellen Arnold Gugelmann versuchten ebenso, seine Wahl zu verhindern. Dennoch schaffte es August Rikli und wurde als erster Sozialistischer Kandidat eines Berner Landesteils in den Nationalrat gewählt. Im Bundeshaus macht er sich vor allem für die Schaffung eines eidgenössischen Tuberkulosegesetzes stark, das schliesslich zu seiner Genugtuung 1928 Wirklichkeit wurde. Doch bereits 1921 trat er gezwungenermassen «freiwillig» aus dem Nationalrat zurück, weil ein neues Spitalgesetz verbot, gleichzeitig für ein Spital und in der Politik aktiv zu sein.

Bruch mit Sozialisten
Trotz seinem Engagement für die Benachteiligten und Schwachen, August Rikli blieb mehr seinem Herzen als einem Parteibuch treu. 1918 trennte er sich nämlich von den Sozialdemokraten. «August Rikli plädierte für eine wirksame Landesverteidigung», so Vogt. Und damit stellte sich der Oberstleutnant gegen seine Partei. «Abscheu vom Krieg darf nicht zu Feigheit und Wehrlosigkeit führen», habe er argumentiert. Rikli selber war während dem Krieg aktiv im Austauschdienst engagiert. Er koordinierte und begleitete Verwundetentransporte aus den Kriegsgebieten.
Der endgültige Bruch mit den Sozialisten erfolgte im innerparteilichen Disput um den Landesstreik, den Rikli vehement bekämpfte. Sorge bereitete ihm die Spanische Grippe, deren Verbreitung er durch den Generalstreik befürchtete.

Gesundheitliche Probleme
1919 heiratete der Witwer Hedwig Landolt und forcierte in den Nachkriegsjahren den Ausbau des Spitals in Langenthal weiter. 1921 wurde er durch den Bundesrat zum Rotkreuz-Chefarzt berufen und reorganisierte das Arbeiten und die Verwendung des roten Kreuzes für den Kriegsfall. 1927 trat er von dieser Position zurück.
Gesundheitliche Probleme machten ihm zunehmend zu schaffen, sodass er sich aus weiteren Ämter zurückzog. 1933 starb er schliesslich an einer Hirnblutung. Seither ist sein Wirken und Handeln zunehmen in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, lässt Hanspeter Vogt durchblicken, denn: «Vieles, mit dem August Rikli damals konfrontiert war, ist heute genauso aktuell.»

Erste Präsidentin und zwei neue Ehrenmitglieder
Im Vorfeld zur Buchvernissage führte die Historische Gesellschaft Langenthal ihre Hauptversammlung durch. Dabei kam es zu einigen Wechseln im Vorstand, nachdem im vergangenen Jahr Präsident Christoph Rytz verstorben war. Die Vereinsmitglieder wählten mit dem bisherigen Vorstandsmitglied Jana Fehrensen erstmals überhaupt eine Frau an die Spitze. «Sie ist geradezu ideal für diese Aufgabe, da sie durch ihre bisherige Aktivitäten Verbindungen zu verschiedenen anderen Institutionen pflegt», freute sich Riccardo Mordasini, der als Interims- und Vizepräsident seinen Rücktritt aus dem Vorstand gab. Seine Funktion übernimmt neu das bisherige Vorstandsmitglied Rolf Baer. Und für die zurücktretende Gertrud Bruni rückt der Gymnasiallehrer Arnold Gurtner nach. Als erste Amtshandlung konnte Jana Fehrensen gleich zwei Ehrenmitglieder auszeichnen: Riccardo Mor-dasini und posthum Christoph Rytz.

Von Thomas Peter