• Die Firma Flyer ist eine 25-jährige Erfolgsgeschichte – obwohl die einen harzigen Start erlebte. Heute wird die Firma von Andreas Kessler als CEO geführt. · Bild: Leroy Ryser

28.05.2020
Huttwil

Flyer-Höhenflug dank Greta und Corona

Es ist eine Erfolgsgeschichte, die praktisch seit 25 Jahren ununterbrochen andauert. Die Flyer AG in Huttwil jubiliert und blickt einer weiterhin erfolgreichen Zukunft entgegen. CEO Andreas Kessler schaut im Monatsinterview mit dem «Unter-Emmentaler» auf die beispiellose Erfolgsgeschichte des E-Bike-Herstellers zurück und verrät, weshalb ausgerechnet Greta und Corona für den aktuellen Flyer-Höhenflug mitverantwortlich sind.

Walter Ryser im Gespräch mit Andreas Kessler, CEO Flyer AG, Huttwil

Andreas Kessler, was verbindet Sie persönlich mit der Marke Flyer?
Sport, Natur, Bewegung und Freiheit. Ich bin seit jeher ein begeisterter Velofahrer. Ich bin so oft wie nur möglich mit dem E-Bike unterwegs. An den Mittwoch-Abenden bin ich jeweils nach der Arbeit mit einer Truppe unserer Firma unterwegs. Zuletzt fanden diese Ausflüge wegen der Corona-Pandemie allerdings nicht mehr statt.

Flyer wird heuer 25 Jahre alt, es ist eine 25-jährige Erfolgsgeschichte. Wie war das überhaupt möglich?
Das täuscht ein wenig. Klar, gesamthaft betrachtet waren wir in all den Jahren sehr erfolgreich unterwegs. Aber ich erinnere daran, dass auch Flyer schwere Zeiten durchgemacht hat. So wurden beispielsweise die Flyer-Pioniere Anfang der 1990er-Jahre belächelt, als sie die ersten Fahrräder mit einem elektronischen Antrieb ausrüsteten. In
der Fahrradbranche wurden sie damit nicht ernst genommen. Heute ist das E-Bike mehr als salonfähig, es ist attraktiv für Jung und Alt und ein selbstverständlicher Teil der Alltags- und Freizeitmobilität. Hinter einer Erfolgsgeschichte stehen immer Menschen, die ein Produkt, eine Marke prägen und pflegen, das ist bei Flyer nicht anders. Mitentscheidend war aber auch, dass sich Flyer von Anfang an ganz klar positioniert hat. Flyer steht für Swissness, für Premium und hochqualitative Produkte. Dazu kommt, dass wir seit 25 Jahren immer das Gleiche machen nach dem Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten. Wir stellen E-Bikes her, weil wir das können, das ist unsere
Spezialität und das machen wir gut.

Wo steht die Firma Flyer heute?
Wir stehen aktuell sehr gut da, sowohl finanziell wie auch organisatorisch. Wir sind ein kerngesundes Unternehmen. Wir werden aber auch weiterhin in unsere Marke und den Standort Huttwil investieren. So werden wir auch dieses Jahr einen grösseren Betrag für den Ausbau der Montage aufwenden. Wir befinden uns weiter auf Erfolgskurs, werden uns aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen, weil der Markt hart umkämpft ist und sich der Wettbewerb unter den verschiedenen Anbietern weiter intensiviert hat.

Aktuell befindet sich praktisch die gesamte Weltwirtschaft in einem Krisenmodus. Auch Flyer?
Nein, wir befinden uns in einer sehr komfortablen Lage. Aber die Corona-Krise hat auch uns getroffen und zwar gleich zweimal. Das erste Mal war dies, als das Coronavirus in China um sich griff und viele unserer Partner ihre Firmen und Filialen schliessen mussten. Anschliessend hat die Corona-Krise den europäischen Markt lahmgelegt und damit auch unsere Standorte erreicht. Aus diesem Grund sind wir aktuell leicht unter dem anvisierten Budget. Gleichzeitig sind wir aber sehr zuversichtlich, dass wir diesen Rückstand noch aufholen können.

Worauf gründet diese Zuversicht?
Der kurzfristige Bestellungseingang in den letzten Wochen fiel im Vergleich zum Vorjahr drei- bis viermal höher aus. Wir befinden uns damit auf dem Weg, das WC-Papier als Objekt der Begierde abzulösen (lacht herzhaft).

Wie beurteilen Sie persönlich die aktuelle Corona-Wirtschaftslage und die damit verbundenen Zukunftsaussichten?
Schauen Sie, diese Situation muss man sehr ernst nehmen, davon bin ich überzeugt. Deshalb achten wir darauf, die Vorgaben und Schutzmassnahmen strikt einzuhalten. Zugleich bin ich als marktorientierter Mensch aber auch der Meinung, dass das Augenmass zwischen der Wirtschaftlichkeit und der Volksgesundheit nicht verloren gehen darf. Aber es lässt sich nicht leugnen: Nicht Raketen, sondern Viren werden in Zukunft die Menschheit bedrohen, wie das Bill Gates schon 2015 prophezeit hat. Sie werden uns weiter beschäftigen und verfolgen.

Letztes Jahr Greta, dieses Jahr Corona. Zwei Ereignisse, die unser bis­heriges wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben und Handeln in Frage stellen. Sie zwingen uns, über Ökologie, Nachhaltigkeit und einen einfacheren Lebensstil nachzudenken. Von welchem der beiden Ereignisse hat oder wird Flyer mehr profitieren?
Das lässt sich kaum messen. Aber zweifellos haben uns beide Ereignisse in die Hände gespielt. Ein Blick in die Google-Suche liefert hier interessante Erkenntnisse, denn das Stichwort Fahrrad wurde in diesem Frühjahr doppelt so oft eingegeben wie in den Jahren zuvor, während beispielsweise das Wort Auto bei den Google-Aufrufen stark rückläufig ist. Dazu kommt, dass in der aktuellen Corona-Pandemie viele auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel verzichten und stattdessen auf das Fahrrad umsteigen. Das könnte nicht nur ein Trend sein, sondern der Anfang einer nachhaltigen Veränderung im Bereich der individuellen Mobilität.

Herr und Frau Schweizer werden dieses Jahr die Ferien im eigenen Land verbringen – und vielleicht mit einem Flyer das Land erkundigen. Sind Sie für den Ansturm auf die Flyer-Modelle gerüstet?
Ja, das sind wir. Wir verzeichneten bereits zu Beginn der Saison eine hohe Verfügbarkeit an Flyer-Modellen. Unsere Lager sind prallvoll. Wir reden hier von 8000 bis 9000 Fahrrädern, die bei uns bereitstehen und ausgeliefert werden können. Aber wir verkaufen nicht nur E-Bikes, wir vermieten diese auch. Rund 300 von ihnen stehen hier in Huttwil für Tagesausflüge zur Verfügung, können wochenweise oder gar für einen Monat gemietet werden. Jährlich besuchen uns rund 10 000 Leute, viele von ihnen mieten jeweils spontan ein E-Bike für einen Ausflug oder für ihren Kurzurlaub in der Region.

Wie sieht es aktuell mit der Nachfrage nach E-Bikes aus dem Ausland aus, immerhin beträgt Ihr Exportanteil am Gesamtumsatz rund 75 Prozent?
Als vor einigen Wochen in Deutschland die Läden wieder öffneten, erlebten wir einen regelrechten Ansturm auf unsere Flyer-Modelle. Generell stellen wir fest, dass eine steigende Nachfrage nach Flyern herrscht und unsere Märkte wachsen. Das bezieht sich nicht bloss auf Deutschland, auch in Frankreich, wo wir seit 2018 im Markt präsent sind, und in Italien, wo der Markteintritt letzten Herbst erfolgte, ist unser Produkt momentan sehr gefragt.

Die Mobilität wird sich in Zukunft weiter verändern. Wie beurteilen Sie die mittel- und langfristigen Marktaussichten für Ihr Unternehmen?
Wir gehen davon aus, dass der Markt in den nächsten zehn Jahren noch rund zehn Prozent pro Jahr wachsen wird. Die Wachstumskurve wird zweifellos etwas abflachen, nachdem wir in der Vergangenheit ein jährliches Wachstum von rund 15 Prozent verzeichnet haben. Experten gehen sogar davon aus, dass in naher Zukunft jedes zweite gekaufte Fahrrad ein E-Bike sein wird.

Welche Überlegungen machen Sie sich für Ihr Unternehmen im Hinblick auf die Zukunft, welche Neuheiten, Innovationen, Erschliessung von Marktlücken oder die Besetzung von neuen Geschäftsfeldern stehen auf der Traktandenliste?
Ganz wichtig ist diesbezüglich, dass sich bei uns auch in Zukunft alles um E-Bikes drehen wird. Wie bereits betont, sind wir hier Spezialisten und werden wir uns nicht auf andere Terrains begeben, zumal noch ausreichend Möglichkeiten zur Weiterentwicklung unseres Produkts bestehen. Der Trend beim E-Bike geht hauptsächlich in Richtung mehr Kompaktheit, leistungsfähigeren und leichteren Modellen.

Wie oft pro Woche steigen Sie auf einen Flyer?
Mindestens zweimal.

Welches ist Ihre Lieblingsstrecke?
Diese führt vom Flyer-Standort in Huttwil Richtung Willisau und zurück via Hergiswil, Flühlen, Eriswil, Ufhusen an den Ausgangspunkt. Diese Strecke führt mich vorbei an schönen Landschaften, die im Abendlicht traumhaft erscheinen. Auf dieser Tour kann ich meine Energie-Batterien jeweils wunderbar aufladen.

Flyer feiert seinen 25. Geburtstag. Welche Aktivitäten und Aktionen sind geplant, welche Geburtstagsüberraschungen warten auf die Kunden?
Unsere Kunden profitieren im Jubiläumsjahr von einem limitierten und nummerierten Jubiläumsmodell, das im Retro-Look gestaltet ist. Davon gibt es exakt 999 Exemplare, die im Sommer in den Verkauf gelangen. Leider mussten wir unsere grosse Geburtstagsparty in Interlaken absagen, dafür versorgen wir Interessierte und Kunden im Jubiläumsjahr über unsere Online- und Social-Media-Kanäle mit vielen spannenden Geschichten aus 25 Jahren Biketec/Flyer. Rechtzeitig zum Jubiläum haben wir unsere neue Webseite präsentiert und die Firmenbesichtigung am Standort Huttwil neu und interaktiv gestaltet.