• Mit einer Modelierform gibt Frank Jäggi der Zierleiste die richtige Struktur. · Archivbilder: Thomas Peter

  • Für Korrekturarbeiten braucht es viel Fingerspitzengefühl.

  • Blick in den Gussformenkeller: Links das Ornament, rechts die Gussform.

  • Das Urmaterial: Eine Gipsrose (links) und Gipssulfat.

06.05.2022
Langenthal

Frank Jäggi verleiht Gips seine Handschrift

Ob Barock, Jugendstil oder Art Déco – Frank Jäggi verleiht den Stuck­aturen neuen Glanz. Als gelernter Maler und eidgenössisch diplomierter Gipsermeister liebt und beherrscht der Langenthaler das Spiel mit Stilen und Gegensätzen, mit Licht und Schatten.

Langenthal · Im Alter von 29 Jahren machte sich Frank Jäggi mit seiner Firma «Stukk-design» selbstständig – und damit seinen Traum zum Beruf. Die Passion für das uralte Handwerk ist deutlich spürbar, während er durch sein Atelier an der Mittelstrasse in Langenthal führt. Der «Stukkateur» zeigt auf die Jugendstildecke und präsentiert handgefertigte plastische Stuckaturen, hergestellt aus Naturgips. Das Spektrum reicht von Ornamenten, Konsolen, Säulen über Zierleisten bis hin zu Gesimsen für Decken und Wände. Dann blättert Frank Jäggi in dicken Büchern, wo zahlreiche Fotos die Restaurationen von Innenräumen, vorwiegend in Herrschaftshäusern, Museen oder Schlössern, dokumentieren.

Stuckaturen und deren Feinheiten leben vom Licht- und Schattenspiel.
Sämtliche Stuckaturen werden von Hand hergestellt. Die angewandte Technik hat sich grundsätzlich seit Jahrhunderten nicht verändert. «Stukkdesign» versinnbildlicht die Verbindung von altem Handwerk mit Design. Frank Jäggi nennt sich bewusst «Stukkateur» und nicht «Stuckateur.» Als Stuck (italienisch «stucco») wird die plastische Gestaltung mit Gips auf Wänden oder Decken bezeichnet.

Beruflicher Werdegang
«Nach abgeschlossener Malerlehre riet mir mein Vater, die zweijährige Zusatzlehre als Gipser bei einer Berner Firma zu machen, welche häufig Stuck-aturarbeiten ausführt», erinnert sich Frank Jäggi. Dort wurden während einer grossen Umbauphase im Hotel Bellevue sämtliche Stuckaturen produziert. «Schon dieser erste Einblick in dieses Handwerk hat mich völlig fasziniert und nicht mehr losgelassen», betont der Langenthaler. Zunächst hat er drei Jahre als Gipser im väterlichen Betrieb gearbeitet und sich mit «Learning by Doing» die nötigen Fähigkeiten als Stuckateur angeeignet. Sein Wissen hat er am Hauptsitz des Schweizerischen Maler- und Gipserverbandes in Wallisellen als Leiter von überbetrieblichen Kursen und Weiterbildungen vermittelt. Nach weiteren Berufserfahrungen in Thun und in Freiburg im Breisgau hat Frank Jäggi die Ausbildung zum eidgenössisch diplomierten Gipsermeister abgeschlossen. «1999 habe ich mich selbstständig gemacht und die Firma «Stukkdesign» in Langenthal gegründet. Nach einer siebenjährigen One-Man-Show übernahm ich das Malergeschäft meines Vaters.» Die Fusion mit dem Langenthaler Maler- und Gipsergeschäft Pagani erfolgte 2014. Inzwischen ist sein Geschäftspartner Marcel Widmer zuständig für den Malerbereich der JäggiPagani AG und Frank Jäggi als Bereichsleiter für Gipserei und «Stukkdesign». Sie beschäftigen 15 Mitarbeitende, davon zwei Lernende. Angeboten wird die gesamte Palette von der Malerei, Gipserei und Stuckaturen. Ein weiterer Bereich sind Reproduktionen.

Es gibt keine Lehre
Die Begeisterung, wenn Jäggi von seinem Beruf erzählt, ist ansteckend. Man spürt, wie sehr er sein Handwerk liebt. «Du kannst so etwas nur machen, wenn es dich absolut mit Leidenschaft erfüllt und fasziniert. Denn eine eigentliche Lehre als Stuckateur existiert nicht», verdeutlicht der 52-Jährige. Die Grundausbildung zum Gipser umfasse lediglich noch fünf Prozent, was Stuck anbelange. «Deshalb können wir als Ausbildungsbetrieb mit Stuck ein Spezialgebiet abdecken und stehen in Austausch mit anderen Gipsergeschäften, die gerne ihre Lernenden für Schnupperwochen schicken», erklärt Frank Jäggi.

Gips ist ein natürlicher Grundstoff
Naturgips ist ein schwefelsaurer Kalkstein, der im Tagebau in Steinbrüchen gewonnen wird. In der Schweiz gibt es mehrere Abbaugebiete etwa in Bex oder Unterwallis. Die Herstellung erfolgt durch Brennen von Gipsrohstoffen bei Temperaturen von 200 Grad. Dabei wird dem Gips das teilweise eingelagerte Kristallwasser entzogen und es entsteht Calciumsulfat-Halbhydrat. Der gebrannte Gipsstein wird gemahlen und wird zu Gipspulver. Durch Beimischen von Wasser beginnt der chemische Härteprozess, dem sogenannten Abbindeprozess. Dieser hat eine leichte Volumenzunahme zur Folge. Die restliche Feuchtigkeit entweicht dann durch physikalische Trocknung. Dann ist der Gips trocken. Beim Abformverfahren ermöglicht Gips die präzise Abbildung von Oberflächen und Texturen. Mit Wasser vermischter Gipsmörtel wird mit dem Schwingbesen gerührt, bis eine klumpenfreie, schneeweisse Masse entsteht.

Mit viel Fingerspitzengefühl
Zur Tätigkeit des Stuckateurs gehören auch feinste Korrekturarbeiten an bestehenden Figuren und das Modellieren von klassischen Ornamenten aus der Natur wie Ranken, Blumen und Blüten. Häufige Motive sind je nach Stilepoche Rosetten, Palmetten und Rocaillen (Muscheln). Bekannt sind auch die mediterranen Akanthuszweige, die oft an der korinthischen Säule dargestellt werden.

Verbindung von Neuem und Tradition
Stuck ist seit der Antike bekannt und liegt heute bei Neubauten vermehrt im Trend. Altes mit Neuem zu verbinden ist reizvoll. Stuckaturen passen nicht nur in Kirchen und historische Gebäude, sondern setzen auch Akzente in normalen Wohnräumen. An einer in Gips eingelegten indirekten Beleuchtung demonstriert Frank Jäggi, wie sich im Zusammenhang mit LED-Lampen und Decken- oder Fussleisten alt und neu vereinen.
«Es braucht Jahre, bis man die Erfahrung und den Wissensstand hat, über den wir heute verfügen. Oft ist es wie eine spannende Detektivarbeit, etwa wenn es um Materialzusammensetzungen geht, die zuerst eine Analyse erfordern», erläutert der«Stukkateur». Dafür werden Proben entnommen für das Labor. Anschliessend werden die Putzmischung und die Korngrössen ausgesiebt und neu rezeptiert. Als Beispiel nennt er einen Aussenputz der mit Rinderhaar wiederhergestellt wurde. Je nach Komplexität des Auftrags werden alte mit neuen Techniken kombiniert und vermehrt moderne 3-D-Druckverfahren genutzt.
In der Werkstatt zieht Polier Adrian Althaus mittels speziellen Schablonen eine Zierleiste auf den langen Zugstisch. «Beim Lesen eines Zeitungsartikels über Frank Jäggi hat mich seine Arbeit mit Stuck augenblicklich gefesselt», sagt der Hasle-Rüegsauer. Heute arbeitet der Polier in seinem Betrieb und vertieft sich in die Finessen und die Anwendung von Stuckaturen, während er sich berufsbegleitend zum Gipsermeister ausbildet. Neben einem guten Vorstellungsvermögen sind räumliches Denken und ein Gefühl für die Formen wesentlich.
«Mich hat immer alles mit Architektur, Kunst und Design fasziniert. Ich betrachte mich jedoch nicht als Künstler, sondern als Kunsthandwerker», erläutert Frank Jäggi. Mit seiner Frau bereiste er viele Städte und besuchte historische Gebäude von Prag bis Rom und Florenz. Jede Epoche zeichne sich durch eine besondere Ausdrucksart aus, die letztlich die Gesellschaft widerspiegle. Am faszinierendsten bezeichnet er die vollendete Kunst von Leonardo da Vinci.

Enge Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege
Durch den vertieften Einstieg in historische Stuckarbeiten entstand eine enge Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege. Vom Bauernhaus über Hotels bis hin zur Villa werden schweizweit denkmalpflegerische Arbeiten im Bereich Stuck, Verputz und Malerarbeiten ausgeführt. Wenn sich filigrane Stuckaturen in herrschaftlichen Häusern oder an Fassaden ablösen oder unachtsam entfernt wurden, dann ist «Stukkdesign» gefragt.
Durch die erfreuliche Entwicklung hat sich die Firma längst einen Namen geschaffen in der Branche mit Referenzen wie dem Casino Bern, Hotel Kulm in St. Moritz, Schloss Hilterfingen, Botschaften ebenso wie etlichen Privatvillen.

Von Brigitte Meier