• Hannes Fuhrer zu Hause in seinem «Paradiesli», auf der Howart in Ochlenberg. · Bilder: zvg

  • Seine Texte und Melodien schreibt er immer noch mit Bleistift.

  • Hannes Fuhrer und seiner Lebenspartnerin Johanna Winkelmann.

  • Das Quartett Bärnbiet beim Abschiedskonzert des Jodlerklubs Alchenstorf.

06.04.2023
Oberaargau

Hannes Fuhrer: Ein Leben für den Jodelgesang

Hannes Fuhrer wurde als Bergbauernbub in Hasliberg geboren und wuchs ohne Radio und Fernseher, aber dafür mit dem Jodelgesang auf. Als 18-Jähriger schrieb er sein erstes zweistimmiges Duettlied «Füre Ätti» auf der Alp Alpbiglen oberhalb Iseltwald, wo er für seine Eltern z Alp ging. Seine über 100 Jodellieder und Naturjutze gehen unter die Haut, die Texte sagen etwas aus. Und seit fast 40 Jahren dirigiert er Jodelchöre und singt als Einzeljodler, im Duett, Terzett und im Quartett. Jodeln ist für ihn eine Lebensphilosophie.

Ochlenberg · «Wir hatten nie einen Fernseher und auch lange keinen Radio. Also haben wir gesungen», erzählt Hannes Fuhrer. Hannes und seine fünf Geschwister durften alle ein Musikinstrument erlernen, er entschied sich für die Klarinette. Die Musik und der Jodelgesang wurden ihm bereits als kleiner Junge nahegebracht. Mit sechs Jahren musste er seinen geliebten Hasliberg verlassen und mit seiner Familie in den Kaltacker auf einen kleinen Bauernhof ziehen. – Ja, musste, denn gefallen hat es ihm zuerst gar nicht. «Es war nicht einfach, wir hatten unseren Hasliberger Dialekt und wurden in der Schule deswegen gehänselt.» Abgelegt hat er ihn nicht wirklich, ohne weiteres wechselt er heute noch vom Berndeutsch in den Hasliberger Dialekt. Im Nachhinein sagt Hannes Fuhrer: «Wir Kinder hatten eine wunderbare, freie und sehr schöne Kindheit und Jugend.» Mit etwa 14 Jahren liess er sich die Haare wachsen, rebellierte gegen das Jodeln und wollte nichts mehr davon wissen. Im zweiten Lehrjahr sang er häufig mit der Lehrmeisterin zusammen die alten Lieder von Jakob Ummel und Walter Hofer. Im Sommer, zwischen den Fachschulteilen 1 + 2, arbeitete er auf einem Landwirtschaftsbetrieb im «Buechibärg». An einem Sommerabend vor der Käserei hörte er das Singen und Jutzen der Jodler vom «Echo vom Buechibärg», welche im Restaurant vis-à-vis feierten. «Damals hat es mich so richtig gepackt», erzählt Hannes Fuhrer. «Als ich anfragte, ob ich mitsingen könne, hiess es, wir sind genug. Die Jodlerin, mit der ich dann über 20 Jahre lang Duette sang, setzte sich für mich ein und so sang ich als 22-Jähriger in meinem ersten Jodelklub, dem «Echo vom Buechibärg». Später absolvierte er die Chorleiter-Ausbildungen und übernahm vor fast 40 Jahren seinen ersten Chor, den Jodelklub «Alphüttli» in Nieder-
scherli. Insgesamt hat er elf Chöre geleitet, ein Teil nur zur Überbrückung, bis ein junger Chorleiter die Ausbildung absolviert hatte. Das Kinderchörli Unteremmental gründete er mit und gab bis heute viele Kurse in der ganzen Schweiz.

Erstes Jodellied mit 18 Jahren geschrieben
Sein erstes Jodellied schrieb Hannes Fuhrer 1976 mit 18 Jahren auf der Alp Alpbiglen oberhalb Iseltwald, als er für seine Eltern z Alp ging. «Auf einem Fetzen Papier schrieb ich das Lied ‹Füre Ätti›, einfach so. Ich hatte noch keine Ahnung von Satzlehre», erzählt er. Sein erstes Chorlied, «Äs Lied» aus dem Jahre 1987, widmete er seinem damaligen Klub «Echo vom Buechibärg». Allerdings hatte der damalige Chorleiter keinen Gefallen daran und das Lied verschwand für Jahre in der Schublade. Später, als Chorleiter bei den Klubs Niederscherli, Grosshöchstetten, Hasle-Rüegsau und Alchenstorf, fanden seine Lieder Anklang. Seine Inspiration holt er sich in der Natur. «Ich kann stundenlang der Natur zuhören, dem Wind in den Baumkronen, hauptsächlich Nadelbäumen, dem Singen der Vögel und den verschiedenen Klängen des Wassers. Alles ist im absoluten Einklang und in Harmonie. Nichts stört.» Ein Naturmensch, der jeden Baum, jedes Tier und jede Pflanze kennt, welche hier heimisch sind. Seine Texte und Melodien nimmt er aus diesen Erlebnissen, welche ihm in den Träumen wieder begegnen. «Wenn ich aus einem Traum aufwache und einen Text und eine Melodie wie ein Bild vor mir habe, muss ich aufstehen und es festhalten. Wenn ich es nicht tue, ist es am Morgen weg und kommt nicht wieder», erzählt er. Seine Lieder korrigiert er nie, und wenn doch, kehrt er am Schluss doch wieder zum Ursprung zurück. In seinem Repertoire gibt es Liebeslieder und Lieder, welche aufrütteln, was eher selten vorkommt. Schon oft sei er mit seinen Texten angeeckt. «Weil ich das Leben beschreibe, wie es ist, und es nicht schönrede», sagt er. «Man erlebt Trauer und Freude in einem Chor. Ein Lied in den Chor zu bringen, welches einem Kameraden in seinem Glück oder auch in seiner Not guttut, empfinde ich als wundervoll, da ich im Lied diese Gefühle ausdrücken darf.» Ein für ihn spezielles Lied ist «Nöis Läbe», welches er während seiner Krebserkrankung geschrieben hat. Man könnte meinen, es sei ein trauriges Lied, doch nein, es ist ein sehr fröhliches. Das für ihn eindrücklichste Werk ist seine «Bärner Jodlerpredig». Ein Werk mit 1432 Takten, allen Tonarten und eineinhalb Stunden lang. «Wir haben das Werk mit 26 Aufführungen im ganzen Land und ausschliesslich in vollbesetzten Kirchen aufgeführt. Dabei zwei Mal im Berner Münster, das aus allen Nähten platzte und jeweils rund 500 Personen ausserhalb der Kirche zuhören mussten», freut sich Hannes Fuhrer.
Wohl nicht von ungefähr hört man Stimmen, die besagen, Hannes Fuhrer sei eine gesangliche Koryphäe, der in vier Oktaven singen kann und wohl einer der bekanntesten und erfolgreichsten Berner Komponisten der letzten 20 Jahre ist. Was bedeutet ihm dieser Erfolg? «Wenn ich merke, dass der Chor mit dabei ist, in der Musik aufgeht, begeistert ist und im Chor harmoniert, ist das für mich Erfolg. Im Bewusstsein, dass ich grosses Glück mit meinem Gehör und meiner Stimme habe, die mir geschenkt wurden.»

Dirigent seit fast 40 Jahren
Der Mangel an Chorleitern in der Jodelszene bewog Hannes mit seinem Können und Engagement, diversen Chören auszuhelfen. Er wollte die Leitung nur zwei, drei Jahre übernehmen.
Aus diesen zwei, drei Jahren wurden es beim «Jodlerchörli Wystäge» zwölf Jahre, beim Jodelklub «Heimat» Alchenstorf 27 Jahre und bei Hasle-Rüegau sind es mittlerweile 34 Jahre. Total ergibt das 138 Dirigentenjahre und 84 besuchte Jodelfeste, sogar mit Mehrfachauftritten.
«Als Dirigent muss ich die Menschen spüren, ihnen Achtung geben und auf jeden Einzelnen eingehen. Das schönste Singen und die beste Ausbildung nützen nichts, wenn dies nicht gelingt», ist Fuhrer überzeugt. Das ist ihm wohl in den letzten 40 Jahren gelungen. Zeitweise dirigierte er fünf Chöre und den Kinderchor und gab nebenbei Jodelkurse. Jeden Tag war er unterwegs. «Wenn ich ehrlich bin, war es zu viel, viel zu viel.» Vieles ging daneben kaputt. Mit Johanna Winkelmann fand er seine Seelenverwandte, zog mit ihr und den beiden kleinen Kindern nach Ochlenberg. Die drei Kinder aus erster Ehe waren zu der Zeit bereits erwachsen. «Heute sind wir eine einzige grosse Familie. Wir singen zusammen und unsere Kinder verstehen sich sehr gut», freut sich Hannes Fuhrer.
Ende April gibt er die Leitung des Jodelklubs «Heimat», Alchenstorf, und des «Jodlerchörlis Wystäge» ab. Das letzte von ihm geleitete Konzert in Alchenstorf berührte ihn tief. «Der Zeitpunkt, kürzer zu treten, ist jetzt gekommen. Ich habe viel gemacht und freue mich auf die Ruhe», sagt der bald 65-Jährige. «Bei Hasle-Rüegsau bleibe ich, bis jemand aus den eigenen Reihen den Dirigenten-Stab übernehmen kann. Danach würde ich gerne noch weiter singen, wenn es meine Stimme zulässt», verrät er seine Pläne.

Leben und Zeit geniessen
Hannes Fuhrer lebt seit neun Jahren zusammen mit Johanna Winkelmann auf der Howart in Ochlenberg, «im Paradiesli», wie er sagt. Bereits Jahre zuvor verliebte er sich bei einem Spaziergang in das «Heimetli» Es musste wohl so sein, dass die beiden es heute ihr Zuhause nennen dürfen. Der gelernte Landwirt arbeitete auf verschiedenen Landwirtschaftsbetrieben, führte einige Jahre den elterlichen Betrieb und führte viele Jahre Bier aus, bevor er als Kunststeinhauer bei der Aebersold AG in Burgdorf arbeitete. Mit 60 liess er sich pensionieren und widmet sich seither voll und ganz der Howart. «Ich freue mich sehr auf die Ruhe und darauf, mehr Zeit mit Johanna verbringen zu können. Nur noch das zu machen, was ich will, was wir zwei wollen. Ich freue mich darauf, mehr Zeit für Spaziergänge mit unseren zwei Labradordamen, unseren Freundinnen, zu haben. Mehr Zeit für unsere Grosskinder. Zeit für unsere lebenden ‹Schneckenkörnern›, den Laufenten, unsere Gänse Napoleon und Désirée, den Hahn Felix mit seinen 30 Hühnern, die vielen Obstbäume, den grossen Garten und den Wald.» Mit Singen hört er nicht auf, die Momente mit seiner Partnerin im Duett oder mit Beat Holzer und mit Maria Kneubühler, Johanna Winkelmann, Peter Friedli und Othmar Steffen als Begleiter am Akkordeon im Quartett, geniesst er sehr. «Diese Momente sind mit keinem Geld der Welt zu bezahlen», sagt er. Und diese Aussage lässt einem spüren, dass Hannes Fuhrer ein sehr emotionaler Mensch ist, den vieles tief berührt.
Er hat sein Leben dem Jodelgesang verschrieben, gefällt ihm eigentlich auch andere Musik? «Ja, ich höre eigentlich alle Stilrichtungen, wenn die Musik harmonisch und rein ist. Rhythmik fasziniert mich und Perkussion. Dürfen wir uns auf weitere Lieder freuen? «Momentan bin ich an einem Werk mit fünf Liedteilen», verrät er zum Abschluss.

Von Marianne Ruch