• Der Küfer Hans Christen lässt sich auch mit 86 Jahren keine neue Herausforderungen entgehen: Diesen 800 Kilo schweren Bottich hat er für einen Künstler gefertigt. · Bilder: Thomas Peter

  • Hans Christen ist auf Wunsch seiner Mutter Küfer geworden und ist einer der letzten in der Schweiz, der Fässer noch selber produziert. Mit Schilf dichtet er Ritzen und Nut eines Fasses ab. Archivbild: Thomas Peter

31.03.2023
Oberaargau

Hans Christen geht unter die Künstler

Hans Christen in Oeschenbach ist einer der letzten Küfer in der Schweiz und vielleicht der älteste aktive Gewerbetreibende im Oberaargau. Im 87. Altersjahr hat er nochmals einen neuen Markt entdeckt: Die Kunst.

Oeschenbach · Beim Eintreten in die Werkstatt muss Hans Christen zuerst ein wenig klagen. Am Morgen hatte er einen Narrengang gemacht, nach Worb, wo 30 Kilo Malz für die Brennerei bestellt, aber nur 20 erhältlich waren, obwohl alles abgemacht war. Für die fehlenden 10 Kilo wusste er noch einen, einen Deutschen, der in Grünenmatt Bier braut. Hans Christen rief an, Landlinie, der Handel kam zustande. Computer, Internet, Google, Mobiltelefon könne er nicht, sagt Hans Christen. Aber mit den Leuten reden, am Telefon: «Es geht nichts über reden, aber man muss wissen, wo der Richtige ist.»
Hans Christen in Oeschenbach, Jahrgang 1937, ist Küfer, Getränkehändler und Schnapsbrenner. Und er ist – Offenlegung – der jüngste Onkel des hier schreibenden Autors Johann Aeschlimann. Hans Christen ist immer noch dran: In der Werkstatt arbeitet er gerade an einem Tischblatt, Massivholz, Esche. «Vom Mutzbachgraben, dort wachsen die besten, lang und die Äste erst ganz oben.» Der Vater habe es noch «Rotdähle» genannt. Der Vater, oben auf der Schattseite, war auch Küfer, und Lehrmeister für sechs der sieben Söhne.

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Vor dem Haus liegt ein gewaltiger bereifter Bottich, soeben fertig gestellt. 187 Zentimeter Durchmesser, 800 Kilo schwer, Teil einer Skulptur des Zürcher Bildhauers Stephan Schmidlin: Frau auf Sockel, ins Wasser springend, alles in allem acht Meter hoch, die Dame allein drei Meter. Der Schnitzer Fredi Hess, unten in Hofen, hat den Sockel hergestellt und das Modell für die Frau. Hansens Bottich ist das Bassin, in das sie springt. Das Ganze wird irgendwann in diesem Jahr in Bad Ragaz zu sehen sein, aber zuerst muss das Holz noch abtrocknen. Gelbes Iroko-Holz aus Westafrika, eigens für das Projekt bestellt. Auftraggeber Schmidlin wolle, dass das Holz an der Witterung grau werde, aber dafür könne er nicht garantieren, sagt Hans Christen. Das ist nicht das einzige Fragezeichen. Schmidlin möchte, dass der Bottich auf einer Unterlage steht, die man nicht sieht. Hans Christen warnt vor ungleicher Verteilung der drei Tonnen Wasser.: «Wir Küfer unterlegen dort, wo die Reifen sind. Aber der Künstler hat andere Augen.»

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80 Stunden habe er am Bottich gearbeitet, sagt Hans Christen, mindestens. Gesägt, gehobelt, gekehlt, die Reifen geschlegelt. Viel von der Hobelarbeit habe er von Hand machen müssen. «Aber ich habe starke Schultern und Arme.» Für einen Künstler hat er noch nie gearbeitet, aber Schmidlins Auftrag ist nicht die erste Umstellung auf neue Umstände. Küfer ist ein nahezu ausgestorbener Beruf («ich kenne den Suppiger in Küsnacht und noch einen in der Ostschweiz»), und Hans Christen hat den Niedergang des Handwerks hautnah erlebt. Er hat zeitlebens gemacht, wovon das stetig anschwellende Heer der Umschulungs-Berater, Startup-Helfer, Business Angels. und «Gründer» redet. Wenn es im vertrauten Gleis nicht mehr weiterging, wurde die Spur gewechselt.

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Küfer in Oeschenbach zu werden, war nicht der Herzenswunsch. Als er aus der Schule gekommen sei, habe ihm der Vater geraten, zum Bögli in Ursenbach in die Mechanikerlehre zu gehen, erzählt Hans. Aber das habe er nicht gewollt: «E schwarze Gring hani nid wöue.» Die Mutter habe dann entschieden, dass der letzte der sieben Söhne Küfer werden solle. Also wurde er Küfer, was gut von der Hand ging. Mit 18 Jahren war die Lehre fertig «und am Tag nach der Lehrabschlussprüfung habe ich innert zwei Tagen ein 2000-Liter-Jauchefass fertiggestellt.» Der Preis war 18 Rappen pro Liter, wie von der Küfermeisterversammlung festgelegt.
Der erste Arbeitgeber, die Weinhandlung Grossenbacher in Langenthal, sei ihm « zu konservativ» gewesen, sagt Hans Christen: «Gäng Grüessech Herr Gärber, Grüessech Herr Jost, eso schaffet me doch nid.» Dank Bruder Werner ging es nach Genf («etwas anderes als Oeschenbach») und in ein Weingut in Rolle. «Dort war ich mit drei Deutschen im Keller. Wir fanden drei deutsche Mädchen und waren wie eine Familie.» Er sei «schier ein Deutscher geworden», sagt er. «Noch heute spreche ich gerne Hochdeutsch.»

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1959 hiess es : Heim nach Hause. Der Vater wurde alt, die Brüder waren in Lohn und Brot, der Jüngste musste übernehmen: «Es het mi a Gring gää − ich wollte das nicht.» Noch lief die Küferei wie ehedem. Man ging von Hof zu Hof auf die Stör, um den Bauern die Holzfässer zu putzen und zu flicken. In der Werkstatt an der Schattseite wurden an uralten Hobelbänken und den mit Lederriemen angetriebenen Maschinen Bottiche, Melchtern, Fässer geküfert. Ein Jauchefass war das höchste der Gefühle.

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Doch sehr rasch wurde klar, dass die traditionelle Küferei den Mann nicht mehr ernährte. Hans Christen verlegte sich sofort auf den Handel mit gebrauchten Holzfässern, welche in den Zolllagern von Genf, Basel und Zürich Platz versperrten. Hinzu kam der Getränkehandel, Mineralwasser, Bier und Weine, die er mit einem kleinen Hanomag-Lieferwagen («600 Kubikzenti­me­ter, Zweitakter») verteilte. Die Weinhändlerprüfung an der Fachschule in Wädenswil bestand er mit 23 Jahren – nach dem Buchstaben genommen zu jung. Aber ein verständiger Dr. Eggenberger drückte ein Auge zu: «Der sagte: ‹Komm zur Prüfung. Wir müssen einfach niemandem etwas sagen›.» Auch die Regierung unterschrieb das Patent: «Das hat die nicht interessiert, wie alt ich war.» Bei der Meisterprüfung allerdings stellte es an: «Ich war der einzige Küfer in der ganzen Schweiz, und es hiess, wegen einem mache man die Prüfung nicht.» In der Vorbereitung in Bern lernte Hans Christen dennoch sehr viel, was ihm später zugute kam, das Kaufmännische und Rechtliche: «Ich ging mit den Kaminfegern zur Schule», erzählt er. «Abends um zehn, wenn wir fertig waren, schickte Dr. Römer diese zum Bier und machte mit mir allein weiter.»
Als die Holzfässer durch Plastik ersetzt wurden und das Geschäft nachliess, fand Hans Christen eine neue Nische: Käsedeckel. Für Käsereien in der Schweiz, in Belgien und in Dänemark produzierte er die Holzdeckel, zwischen denen die Emmentaler reiften. In 17 Jahren habe er etwa 37 000 solche Deckel gemacht, er sei oft kaum mehr nachgekommen mit der Arbeit.
Aber Anfang der achtziger Jahre wurde das Holz durch plastifizierte Lochbleche ersetzt, womit auch diesem Geschäft die Stunde schlug. «Es gab einfach nichts mehr zu tun», sagt Hans Christen. «Wir sagten uns: Jetz müesse mer luege.» Wir – das waren er und seine Frau Lotty, die das Büro besorgte, den Laden führte, die beiden Buben aufzog, den Garten machte. Die Antwort hiess: Getäfer. Hans Christen investierte in Maschinen und Holz und begann, hölzerne Täferelemente herzustellen. «Wie abnormal» sei das in den achtziger Jahren gelaufen. «Manchmal habe ich pro Tag 100 Quadratmeter fertiggestellt.» Aber auch mit diesem Geschäft sei es vorbei. Heute werden Wände verputzt.

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Im vergangenen Jahr kam dann die grösste Umstellung. Frau Lotty starb, er ist allein. Zu Trauer, Verlust und Einsamkeit kommen ein neues geschäftliches Problem: Die Buchhaltung, die Lotty bis zuletzt besorgte. Bis aufs Komma genau im Lot, ohne Computer und Software: «Die Steuerprüferin hat ihren Augen nicht getraut.» Jetzt muss Hans Christen buchstäblich selber wieder über die Bücher.
Aufgeben geht nicht. Es bleiben der Getränkehandel und die Brennerei. Der Weinverkauf «geht am leichtesten von der Hand», leidet aber unter den Grossverteilern, welche «die Preise so senken, dass die Kleineren nichts mehr verdienen.» Und Schnapsbrennen ist ein anstrengendes Tagewerk: Einfeuern, Kontrollieren, Abfüllen, Putzen, manchmal zehn und mehr Stunden pro Tag. Bis Neujahr hat Hans Christen für die Kunden gebrannt, jetzt für die eigene Produktion. Zwetschgen, Kirschen, Williamsbirnen, Äpfel («die zu kleinen oder zu grossen, die nicht in die Sechserschalen passen»).
Morgen hole er 500 Kilo Kartoffeln, sagt er. Solange er Auto fahren dürfe, sei das alles machbar. «Ich danke für die Gabe Gesundheit. Ich hatte ein interessantes Leben, nicht einfach, aber schön. Und ohne meine Frau Charlotte wäre das alles nicht möglich gewesen.»

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Und es bleibt die Kunst. Stephan Schmidlin hat einen zweiten Bottich bestellt, noch etwas grösser als der erste. Die Dauben habe er bereits gesägt, sagt Hans Christen.

Von Johann Aeschlimann