• Das schwierigste Projekt der politischen Laufbahn war dasjenige des Turnhallenneubaus, sagt Ulrich Jäggi, der während 24 Jahren Gemeindepolitik in Melchnau betrieben hat und jetzt nach acht Jahren als Gemeindepräsident zurücktritt. · Archivbild: Thomas Peter

30.12.2022
Oberaargau

Harasse voll Gemeindeunterlagen ziehen weiter

Nach 24 Jahren in der Gemeindepolitik übergibt Ulrich Jäggi sein Amt als Gemeindepräsident in jüngere Hände. Im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler» blickt er auf schöne und auch schwierige Zeiten zurück und freut sich auf eine weniger hektische Zeit. Sein Ziel, in Melchnau bezahlbare Wohnungen für junge Menschen anbieten zu können, hat er zwar nicht erreicht, doch mittlerweile seien die Projekte auf gutem Wege.

Melchnau · Harasse voller Unterlagen haben sich bei Ulrich Jäggi in den vergangenen Jahren angesammelt. «Ich bin ein Sammlertyp und habe alle Papiere aufbewahrt, damit man allenfalls noch etwas nachlesen kann», gesteht der noch bis Ende Jahr amtierende Gemeindepräsident von Melchnau. Diese Harasse werden bald bei seiner Nachfolgerin Regula Heimberg stehen. Die jüngeren und aktuellen Projekte jedoch wird er ihr papierlos auf einem USB-Stick aushändigen. 24 Jahre lang war der heute 63-jährige Ulrich Jäggi in der Gemeindepolitik tätig. Zuerst als Mitglied in der Fürsorge- oder der Ortsplanungskommission, danach zwölf Jahre lang als Gemeinderat. «Ich bin ein Macher und komme aus einem handwerklichen Beruf. Mein damaliges Ressort, Liegenschaften und Strassen, hat deshalb sehr gut zu mir gepasst», erklärt der dreifache Familienvater. Besonders gefallen habe ihm dabei, dass er immer wieder in der Gemeinde unterwegs sein konnte, sei es wegen Strassen, die saniert werden mussten, oder um mit dem Fischezen-Präsidenten Robert Jordi bei den Bächen nach dem Rechten zu schauen. Als seine Vorgängerin vor acht Jahren ihn für das Amt des Gemeindepräsidenten motivierte, sagte er nicht nein. «Ich musste natürlich mein Ressort abgeben. Meine neuen Aufgaben waren dann eher administrativer und repräsentativer Art», erzählt er etwas wehmütig. Doch konnte er «das Verlorene» durch die Tätigkeit als Präsident der Arbeitsgruppe Hochwasserschutz wieder etwas kompensieren. «Auf Wunsch meiner Nachfolgerin werde ich das Projekt, das 2010 gestartet wurde, auch weiterhin begleiten.»

Sorgsamer Umgang mit Steuergeldern
Nicht nur der Hochwasserschutz lag Ulrich Jäggi während seiner politischen Tätigkeit am Herzen, er setzte sich auch für nachhaltige Investitionen ein. So wurden als Beispiel landwirtschaftlich genutzte Strassen bei einer Wiederherstellung nach einem Unwetter mit Betonfahrspuren saniert, welche im Vergleich zu den Belagsstrassen wesentlich robuster und langlebiger sind. «Wenn man mit schweren Fahrzeugen über das Strassenbankett fährt, kann der Belag schon mal brechen. So etwas passiert bei einer Betonstrasse nicht. Sie ist zwar im ersten Moment etwas teurer, zahlt sich aber mit der Zeit aus», weiss Ulrich Jäggi aus Erfahrung. Der haushälterische Umgang mit den Steuergeldern war ihm wichtig. «Unsere Eltern haben uns beigebracht, dass man erst etwas kaufen kann, wenn man auch das Geld dazu hat», begründet er seine Sparsamkeit.

(Noch) keine bezahlbare Wohnungen für junge Menschen
Aufgewachsen ist Ulrich Jäggi mit drei Brüdern und zwei Schwestern auf einem Bauernhof in Gondiswil. Vor 29 Jahren konnte er in Melchnau ein Stück Land aus einer Erbengemeinschaft mütterlicherseits erwerben und hat dort mit seiner ersten Frau ein Einfamilienhaus gebaut. Zusammen haben sie eine Tochter und zwei Söhne grossgezogen. Alle drei Kinder sind unterdessen erwachsen und haben die Gemeinde verlassen. «Sie haben leider nach der Lehre in Melchnau keine Wohnung finden können, die bezahlbar gewesen wäre, sonst wären sie wahrscheinlich hiergeblieben», bedauert Ulrich Jäggi. Eine Tatsache, die ihn, wenn er auf der Gemeindeverwaltung einen Blick auf die Mutationsliste wirft, immer noch sehr beschäftigt. «Viele, die wegziehen, kommen nicht mehr zurück, aber ein Dorf brauche junge Leute, sei es in der Feuerwehr, in den Behörden oder in den Vereinen.» Er setzt sich deshalb schon seit mehreren Jahren für bezahlbare Wohnungen für junge Menschen ein. Entsprechende Projekte seien schon lange angedacht, aber noch immer in der Planungsphase. «Es existieren teilweise schon seit vierzig Jahren solche Zonen mit Planungspflicht», ärgert sich Ulrich Jäggi. Gebaut werden könnten behindertengerechte Wohnungen und Einfamilienhäuser beispielsweise südlich des Schulhauses oder beim «Gugerosthang». Das gesteckte Ziel der bezahlbaren Wohnungen konnte Ulrich Jäggi zwar während seiner Amtszeiten im Gemeinderat nicht erreichen, doch zeichnet sich mittlerweile ein Fortschritt ab. «Wir sind nun so weit, dass man entsprechende Baueingaben machen könnte», verrät er sichtlich erfreut.

Schwieriges Turnhallenprojekt
Als schwierigstes Projekt seiner politischen Laufbahn bezeichnet Ulrich Jäggi dasjenige des Turnhallenneubaus. Der 5,3 Millionen Franken schwere Baukredit wurde jedoch vergangenen Jahres an der Gemeindeversammlung abgelehnt. Persönlich lehnte auch er das Projekt ab. «Aufgrund der finanziellen Lage der Gemeinde wäre der Neubau nicht stemmbar gewesen», begründet Ulrich Jäggi. Die Steuern hätten bei Annahme des Kredites um über zwei Einheiten erhöht werden müssen und damals hatte man noch nicht mit der Teuerung gerechnet. Mit 1,74 Einheiten gehört Melchnau bereits heute zu den eher teureren Gemeinden. «Heute kann man leicht die Steuern im Internet vergleichen. Ein hoher Steuerfuss wirkt sich deshalb negativ aus und es wird schwierig, Leute in unsere Gemeinde zu locken oder sie hier zu halten.»

Wertvolle Begegnungen
Ulrich Jäggi lernte in den vergangenen 24 Jahren einige interessante Menschen kennen, dabei haben die vielen schönen Begegnungen sein Leben bereichert. So konnte er beispielsweise an der Bundesratsfeier von Johann Schneider-Ammann teilnehmen. «Der gute und kollegiale Umgang innerhalb des Gemeinderates wie auch mit der Verwaltung hat mich immer wieder in meinem Amt motiviert; das wird mir fehlen. Ohne Unterstützung hätte ich das alles neben meinem Beruf als technischer Kundenberater nicht machen können. Das geht nur mit einem guten Team und der Unterstützung der eigenen Familie», gibt Ulrich Jäggi unumwunden zu. Tipps für seine Nachfolgerin muss er indes keine geben. «Sie ist ja schon vier Jahre lang im Gemeinderat dabei und weiss, wie es läuft.»
Doch eines möchte er Regula Heimberg dann doch noch mit auf den Weg geben: «Sie soll die schönen Begegnungen geniessen und die weniger Schönen als solche hinnehmen.»

Mehr Zeit für alles andere
Und was macht ein scheidender Gemeindepräsident nun mit der neu gewonnenen Zeit? «Diese mit meiner Frau Erika verbringen. Wir gehen jeweils früh aus dem Haus und kommen abends erst spät zurück. Es kam nicht selten vor, dass ich gleich nach dem Abendessen schon wieder aus dem Haus ging oder in meinem Büro eine Sitzung vorbereiten musste», erzählt Ulrich Jäggi. So konnten häufig angefangene Gespräche während des gemeinsamen Essens nicht zu Ende geführt werden. Mit Aussicht auf eine weniger hektische Zukunft freut sich Ulrich Jäggi deshalb sehr, am Abend etwas länger am Familientisch sitzen zu bleiben, wieder öfters wandern oder mit dem Velo unterwegs sein zu können. Besuche der insgesamt sechs Kinder mit Partnern, Freunden und Verwandten werden gerne im Hause Jäggi in Melchnau begrüsst. Auch sind vermehrt Reisen nach Dänemark und Schottland zu seinen beiden Stieftöchtern eingeplant. Ebenfalls mehr Zeit möchte er mit seinen Brüdern verbringen. «In der gut eingerichteten Werkstatt auf dem Bauernhof einer meiner Brüder werden oft am Samstag mit ihren Söhnen an Autos oder Traktoren Unterhaltsarbeiten ausgeführt. Punkt vier Uhr nachmittags wird zum Zvieri geladen», schwärmt der Mechaniker. Auch kann sich Ulrich Jäggi in Zukunft vorstellen, wieder in einem Verein aktiv mitzumachen.

Von Marion Heiniger