• Die gesammelten Kröten, Frösche und Molche werden zum Laichen in den Weiher gebracht. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

  • Der Zaun wird in die vom Landwirt vorbereitete Rille gesteckt und fixiert und zirka alle 10 Meter ein durchlöcherter Kessel in den Boden gebaut. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

19.03.2020
Luzerner Hinterland

Helfende Hände auf gefährlicher Hochzeitsreise

Warme Nächte und feuchte Witterung: Sie sind die Signale für Frösche, Kröten und Molche, sich auf den Weg an ihre Laichgewässer zu machen. Dabei müssen sie lebensgefährliche Strassen überqueren. Freiwillige verhelfen den Tieren an zahlreichen bekannten Amphibien-Wanderwegen zu einer sicheren Hochzeitsreise. Unter ihnen der Naturschutzverein Willisau. Seit 1996 haben dessen Mitglieder und weitere Freiwillige insgesamt über 77 000 Tiere sicher über die Strasse gebracht.

Luzerner Hinterland · Nur kurz ist die Fahrt von der Willisauer Altstadt zum Ortsteil Ostergau. Anfangs der Ortseinfahrt steht eine Tafel, welche von abends 19 Uhr bis morgens 4 Uhr die Durchfahrt (ausser für Anstösser) verbietet. Trotzdem, wo kein Amphibienzaun steht, liegen an diesem einzigen Abend schon Dutzende frisch überfahrene Kröten und Frösche. Pius Kunz, ein «Mann der ersten Stunde» des Naturschutzvereins Willisau, leitet unter anderem die Amphibienaktion Ostergau.
Dieses inzwischen 24-jährige Projekt ist der Grund, weshalb der Verein 2004 ins Leben gerufen wurde. «Wir waren damals eine Gruppe, welche mit der Amphibienaktion begann. Irgendwann entschieden wir uns, mehr für die Natur zu tun», sagt Pius Kunz im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». Drei «Piusse» standen an der Front der Vereinsgründung. Auch heute arbeiten sie noch aktiv im Verein mit: Pius Kunz, Pius Häfliger und Pius Korner. Exkursionen, Aufwertungsprojekte und Pflegeeinsätze bilden ein vielfältiges Vereinsleben. Eines der bisher finanziell aufwändigsten Projekte war die Heckenlandschaft Wellbrig/Blochwil in der Region Grosswangen, Willisau und Menznau. 400 000 Franken aus Stiftungen wurden investiert, um die Landschaft massiv mit Hecken, einheimischen Pflanzen, Blumenwiesen, kleinen Gewässern und diversen Nisthilfen aufzuwerten.

Landschaft von nationaler Bedeutung
Die Einsätze für die «Amphibiengruppe» des Naturschutzvereins Willisau beginnen jeweils Ende Februar im Ostergau. Amphibien gehören zu den Tierarten, die von der Biodiversitätskrise am stärksten bedroht sind. Mehr als drei Viertel der 20 einheimischen Arten sind gefährdet. Umso wichtiger ist ihr Fortpflanzungserfolg. Doch in unseren von Strassen zerschnittenen Landschaften haben es die Frösche, Kröten und Molche schwer, an ihre Geburtsgewässer zu kommen, um zu laichen. Fünf Millionen Amphibien gehen in der Schweiz jährlich an ihre Laichplätze. Tausende kommen nicht an ihr Ziel.
Die Statistik des Amphibienprojekts Ostergau beweist, welch wertvolle Hilfe der Mensch leisten kann, um wenigstens einen Teil der Tiere zu retten. Ein rund 500 Meter langer Amphibienzaun hält die Tiere zurück, welche sich instinktiv aus den Högern und Wäldern des Ostergaus zu den nahen Laichgewässern machen. Rund 25 Weiher prägen den Willisauer Ortsteil Ostergau. Während den Weltkriegen wurde hier Torf gestochen. Heute ist die Landschaft von nationaler Bedeutung und steht unter Naturschutz.
In einem offenen Schuppen deponiert der Naturschutzverein die wenigen Utensilien, die es für die Betreuung des Amphibienprojekts braucht: Die Statistikliste, Kessel, Handschuhe und ein Sieb. Letzteres mit einer besonderen Bedeutung: Nicht selten fällt eine Maus in den Kessel. Um deren scharfen Zähnen auszuweichen, wird sie jeweils mit dem Sieb gefangen und wieder freigelassen.
Grundsätzlich aber quakt es vernehmlich aus den Kesseln, die entlang des Zauns in der Erde vergraben sind. Diese sind manchmal leer. Bei passender Witterung aber können es mehrere Dutzend Kröten und Frösche, hie und da auch ein Molch sein, die hier kurzzeitig gefangen sind. Die Kessel werden von den Freiwilligen morgens und abends geleert.
146 Erdkröten, sieben Frösche und drei Bergmolche hoben Pius Kunz und Manuel Portmann an diesem Abend aus den Kesseln und trugen sie zu den nahen Weihern. «Eher wenige», meinte Pius Kunz. Es seien schon bis zu 600 an einem einzigen Abend gewesen. «Jedesmal, wenn wir an den Kesseln vorbeigingen und meinten, wir seien fertig, begann das Einsammeln von vorn», lachte er. Immerhin – am Morgen früh waren es dann wiederum 187 Bergkröten, sieben Grasfrösche und drei Molche, die sicher den Weg in die Weiher fanden.
Nicht immer sei die Arbeit so angenehm wie an jenem milden Abend. «Wenn es regnet, windet und kalt ist, braucht es manchmal Überwindung, die warme Stube zu verlassen.» Die Amphibien-Betreuenden sind meist zu zweit unterwegs, auch einige Schulklassen machen mit.
Bei Schnee und Kälte wird der Laichzug unterbrochen. Dann werden die Kessel zugedeckt und erst wieder geöffnet, wenn es wärmer ist. So geschieht es nicht selten, dass sich die Kröten und Frösche «kreuzen», denn wenn die Weibchen (die übrigens fast doppelt so gross und schwer sind wie die Männchen) gelaicht haben, kehren die Amphibien zurück in ihre Wälder und Hecken.

Im Clinch
 «Da sind wir manchmal im Clinch, ob wir die Zäune öffnen sollen, damit die Tiere zurückkehren können oder ob wir den Zaun stehenlassen müssen für diejenigen, die noch auf der ‹Hochzeitsreise› zum Laichplatz sind», so Pius Kunz. Klar, dass auch bei der Rückkehr viele Tiere umkommen. «Aber dann haben sie wenigstens abgelaicht; ihre Fortpflanzung ist gesichert.» Eine Erdkröte legt eine paarige Laichschnur mit bis zu 3000 Eiern. Die Kaulquappen aber haben ein schweres Leben, werden oft zum Leckerbissen für Libellenlarven, Fische und Vögel. Sorgfältig wird Statistik geführt, wie viele Tiere zu den Ostergauer-Weihern getragen wurden.
Rekordjahre waren 2006 (4274 Exemplare), 2007 (4469 Exemplare) und 2015 (4485 Exemplare). Ende 2019 waren es insgesamt 77 333 Tiere, die während den 24 Jahren auf diese Weise sicher zu ihrem Laichplatz kamen. «Ein Grossteil von ihnen wäre wohl überfahren worden, wenn kein Zaun angebracht und die Strasse durch das Amt für Landwirtschaft und Wald Luzern (LAWA) nicht zeitweilig gesperrt worden wäre», weiss Pius Kunz. Die Opfer, die an diesem Abend trotz allen Massnahmen gefunden wurden, beweisen es.

Von Liselotte Jost-Zürcher