• Sie haben viel riskiert und viel gewonnen. Die Teilhaber der Regionalmarkt AG Madiswil (von links unten): Monika Bärtschi, Samuel Bärtschi, Irene Zulliger, Peter Zulliger. Hinten von links: Brigitte Greub, Markus Staub, Hedi Staub, René Greub und Renate Greub. · Bild: zvg

  • René Greub schaut bei der Steinauslesemaschine nach dem Rechten. · Bild: Marion Heiniger

  • Die Spelze wird zu Pellets und Granulat verarbeitet und kann als Einstreu verwendet werden. · Bild: Marion Heiniger

  • Eine Vielzahl von Endprodukten entstehen aus dem Mehl der kleinen Mühle in Madiswil. · Bild: Marion Heiniger

  • Für ihre innovative Idee wurde die Regionalmarkt AG für den agroPreis 2022 nominiert. · Bild: Marion Heiniger

06.10.2022
Oberaargau

Hier angebaut, hier verarbeitet, hier vermarktet

Landwirtschaft macht erfinderisch. Das jedenfalls trifft auf einige Bauern in Madiswil zu. Mit einer eigenen Mühle bringen die Teilhaber der Regionalmarkt AG (ReMa AG) die Wertschöpfung wieder auf die Bauernhöfe zurück. Im Gegensatz zu Grossbetrieben, werden in der stillgelegten Landi in ­Madiswil auch Getreide in Klein- oder Kleinstmengen in hoher Qualität verarbeitet. Das Mehl kann anschliessend auf dem eigenen Hof zum Verkauf angeboten oder weiterverarbeitet werden. Für ihre innovative Idee wurde die ReMa AG für den «agroPreis 2022» nominiert.

Madiswil · In Madiswil gibt es 85 Landwirtschaftsbetriebe. Einer von ihnen ist der Zulligerhof. Als die Getreide-Pflichtlager mehrheitlich abgeschafft wurden, überlegte sich Peter Zulliger vor rund 14 Jahren, ein eigenes Lager anzulegen. «Ich war überzeugt, dass wir irgendwann einmal zu wenig Lebensmittel haben werden», erinnert sich der 52-jährige Landwirt. Zwei Jahre später kaufte er sich eine kleine Steinmühle und stellte fortan sein eigenes Mehl her, verkaufte es direkt im Hofladen oder verarbeitete es zusammen mit seiner Frau Irene zu Teigwaren oder Brot. Als Ergänzung zum Mehl wollte er sein Hofladen-Sortiment ausbauen und experimentierte mit der Produktion von Flocken. Anfangs mit einer Haushaltshandmühle. Was zwar funktionierte, doch es war mühsam und die Mengen, welche verarbeitet werden konnten, waren zu klein. «Mit der Qualität war ich auch nicht zufrieden», gesteht Peter Zulliger. Mit dem Grundgedanken, das eigene Getreide zu lagern, zu verarbeiten und selbst zu verkaufen, setzte er sich mit anderen Bauern in Verbindung. Daraufhin gründeten mehrere Landwirte, Nichtlandwirte und ein Tierarzt im Jahr 2016 die Regionalmarkt AG (ReMa AG) und kauften das stillgelegte Landi-Gebäude inklusive des Getreidesilos. Peter Zulliger ist Mitinitiant und Teilhaber der Aktiengesellschaft. Der Fokus lag damals noch auf der Lagerung des Getreides, der Aufbereitung von Saatgut und damit auf der Bewahrung der Unabhängigkeit. «Die Idee, das eigene Getreide zu verarbeiten und zu vermarkten, hat aber damals schon bestanden», erklärt Samuel Bärtschi, Meisterlandwirt, Eisenplastikkünstler und ebenfalls Teilhaber der Aktiengesellschaft.

Höhere Wertschöpfung
Doch das Wissen zur Verarbeitung habe gefehlt, erzählt der Kleintransportunternehmer René Greub, ein weiterer Teilhaber, der in der Mühle für die Produktion zuständig ist. Also kontaktierten die Bauern Erwin Bärtschi, einen pensionierten Mühlenbauer. Der 76-Jährige wollte gerne sein Wissen und seine Erfahrungen an die Bauern weitergeben. «Ihre Idee, mit einer eigenen Mühle eine bessere Wertschöpfung zu erzielen, hat mich überzeugt», erklärt Erwin Bärtschi, der kein Teilhaber ist. In den letzten Jahren hätten viele kleinere Betriebe aufgeben müssen, doch genau solche Mühlen brauche es, damit auch Klein- und Kleinstmengen verarbeitet werden können, sind die Teilhaber sich einig. Für sie war aber auch klar, dass sie besser als andere sein müssten und die Qualität ihres Produktes entscheidend sein würde. Zusammen mit Erwin Bärtschi wurde die Getreideannahme in der alten Landi auf Vordermann gebracht. Ausserdem wurde in eine gebrauchte, 32 Jahre alte Steinauslese-Maschine investiert, ebenso in einen Fliehkraftschäler (zum Entspelzen von Dinkel, Hafer, Gerste, Einkorn usw.) und in eine etwa 90 Jahre alte Ceres-Anlage (eine Kombimaschine, um das Korn von der Spelze zu trennen). Der Vorteil dieser Maschinen sei, dass sie auch für Hirse, Buchweizen und Sonnenblumen eingesetzt werden können, erklärt René Greub. Die Haferkörner hingegen werden mit einer Schlagmühle gemahlen. Hergestellt wird in der Mühle der ReMa AG auch Haferdrinkmehl. Mit Wasser vermischt gilt es bei Laktoseunverträglichkeit als Alternative zur Milch. Verarbeitet wird ebenfalls das Abfallprodukt aus der Mühle, die Spelze. Aufbereitet ist sie als Schneckenstopp bei den Kleingärtnern sehr beliebt. Zu Pellets oder Granulat gepresst, eignet sie sich als Einstreu für Gross- und Kleintiere.
Um das Problem mit der Flockenproduktion zu lösen, entwickelte Peter Zulliger zusammen mit Erwin Bärtschi einen Prototypen. Sie fanden eine grössere Maschine in einer stillgelegten Mühle. Auf dem Zulligerhof wurde das 120-jährige Gerät revidiert und wieder aufgebaut. Im Gegensatz zu den im Handel erhältlichen Flocken werden jene auf dem Zulligerhof dextriniert. Das Korn wird dabei zwischen zwei heissen Walzen schonend zu Flocken gepresst. Beim Dextrinieren zerbrechen grosse Stärkemoleküle in kleinere. Dabei gehen nur wenige Nährstoffe verloren, zudem macht der Vorgang die Flocken leichter verdaulich.

Lohnendes Risiko
Die Instandstellung der Maschinen in der alten Landi dauerte mehrere Monate. Anschliessend folgte die Expe­rimentierphase. Mehrere Zehntausend Franken haben die Bauern bisher in ihre Mühle investiert. Das Geld stammt von den Einnahmen der Tankstelle, den Mieteinnahmen von Räumlichkeiten und von Privatdarlehen. «Wir sind ein gewisses Risiko eingegangen, das sich aber ausgezahlt hat», erklärt Peter Zulliger. Denn nach dem Mühletag im vergangenen Mai haben sie einen regelrechten Aufschwung erfahren, die Nachfrage nach ihren Produkten ist sprunghaft angestiegen. Die Teilhaber erkannten, dass regionale Produkte in hoher Qualität, deren Herkunft bekannt ist, bei der Kundschaft sehr gefragt sind. Verkauft werden sie unter anderem im angrenzenden Laden «Greubs Schatztruhe», deren Inhaberin Brigitte Greub ebenfalls Teilhaberin der ReMa AG ist. Sie bietet auch verarbeitete Produkte wie frische Vollkornbrötli (auch zum selbst Fertigbacken) oder Glace (mit Hafermilch) an. Zusätzlich findet jeden zweiten und vierten Samstag im Monat ein Bauernmarkt in der geräumigen Eingangshalle statt. Hierbei verkaufen verschiedene regionale Produzenten ihre Waren direkt. In Zukunft sollen das Mehl und die Flocken aus der Mühle auch über eine eigene Webseite verkauft werden können. Vorstellen könnten sich die Teilhaber ebenso einen Verkauf ihrer Produkte an regionale Bäckereien oder Volg-Filialen. «Wir möchten künftig ebenfalls Backkurse anbieten, denn viele wissen nicht mehr, wie man selbst Brot herstellt und auf was es drauf ankommt, damit es auch optimal gelingt», fügen Erwin Bärtschi und Brigitte Greub an. Die Kurse finden im umgebauten Mühlistübli statt, in dem bis zu 30 Personen Platz finden. Das Stübli kann auch für private Feiern gemietet werden.

Qualität steht vor Quantität
Die einfallsreichen Madiswiler Bauern mahlen aber nicht nur ihr eigenes Getreide, sondern bieten ihre Dienstleistung, auch anderen Landwirten an. Dabei werden auch kleinere Chargen von einigen Hundert Kilo Getreide verarbeitet. Bereits bringen Bauern aus der weiteren Region und sogar aus der Ostschweiz Getreide nach Madiswil. «Bei uns kann man sicher sein, dass genau das Getreide, welches angeliefert wurde, nach der Verarbeitung auch wieder mitgenommen werden kann. Es wird nicht mit anderen Anlieferungen vermischt. So weiss der Endkunde genau, von welcher Herkunft das gekaufte Produkt ist», hebt Peter Zulliger einen der vielen Vorteile der kleinen Mühle in Madiswil hervor. Dieses Jahr wurden ungefähr fünf Tonnen Getreide verarbeitet. Nächstes Jahr streben sie zehn bis 15 Tonnen an. Es wäre noch mehr möglich, doch die Qualität stehe ganz klar vor der Quantität, hält René Greub fest.
Daneben sei die höhere Wertschöpfung für die Produzierenden wichtig. Irgendwann, so hoffen die Teilhaber, werde es auch möglich sein, kleinere Entlöhnungen für die bisher im Ehrenamt tätigen Teilhaber zu entrichten. Und was machen die Teilhaber der ReMa AG, wenn sie den agroPreis gewinnen? «Wir würden mit dem Geld weiter in unsere Produktion investieren und einen Teil der Darlehen zurückzahlen», halten Peter Zulliger, René Greub und Samuel Bärtschi einheitlich fest.

Abstimmen für das beste Agro-Projekt
Für den Leserpreis von «Schweizer Bauer» und «Terre&Nature», der auf 3000 Franken dotiert ist, kann auf der jeweiligen Webseite (Suchbegriff: Agropreis) über eines der vier nominierten Agro-Projekte abgestimmt werden. Mit ein wenig Glück können die Teilnehmer einen Reisegutschein von Geriberz im Wert von 500 Franken gewinnen. Ebenfalls unter den Teilnehmenden werden neun Victorinox- Sackmesser und zehn «Schweizer-Bauer»-Küchentücher verlost.

Von Marion Heiniger