• «Hülfe in der Noth»: Kaufhaus (Choufhüsli) mit erstem Turm und Kuppeldach von 1815. Nachtwächter mit Feuerhorn, Feuerwehr und Feuerspritze. · Bild: zvg

  • 1940er-Jahre: Hochwasser in der Bahnhofstrasse mit Wegweiserquader. · Bild: zvg

  • Das 1899 eingeweihte Hotel Jura – ein typischer Bau der Belle Époque und der damaligen Architektur (Historismus). · Bild: zvg

  • Belle Époque: Die 1901 erbaute, noch heute bewohnte Villa Waldheim an der Thunstettenstrasse 33. · Bild: zvg

09.08.2022
Langenthal

Historisch, nostalgisch, faszinierend

Der in Roggwil wohnhafte 78-jährige Rudolf Baumann – bis zur Pensionierung Zahnarzt in Langenthal – verblüfft mit seinem fünften Buch über Langenthal, das im Herbst erscheint: «Choufhüsli – Gueti auti Zyt – Chlyn Venedig». Das neue Werk bietet auf 232 Seiten spannende Texte mit 450 Fotos, zeigt die Entwicklung vom Einst zum Jetzt und fasziniert nicht nur historisch interessierte Nostalgiker.

Langenthal · Die Katze lässt das Mausen nicht – und Rudolf Baumann (Jahrgang 1944) lässt das Forschen nicht. Unermüdlich, voller Tatendrang und mit Herzblut geht er auf Spurensuche nach historisch Interessantem im Oberaargau. 17 Bücher sind in seiner Stiftung Trummlehus bisher erschienen. Das 18. Werk, das im Herbst erscheint, wird das fünfte Buch über Langenthal sein. Rudolf Baumann hat sich dabei zuweilen auf Texte verschiedener Autoren abgestützt, diese am Anfang des Buches erwähnt und das Copyright eingeholt. Die drei Hauptthemen entsprechen dem Titel: «Choufhüsli – Gueti auti Zyt – Chlyn Venedig». Rudolf Baumann: «Choufhüsli, das mehr als 200-jährige Wahrzeichen Langenthals, das – zusammen mit dem Bären am gleichnamigen Gasthof – so viel zu erzählen hätte, etwa über die Gueti auti Zyt und die Belle Époque. Es ist mir bewusst, dass diese auch für andere Epochen verwendet wird und dass es damals für breite Bevölkerungsschichten alles andere als eine gute Zeit war. Chlyn Venedig deshalb, damit diese Bilder, welche meine Kindheit und Jugend mitgeprägt haben, nicht verloren gehen und nicht aus dem Gedächtnis verschwinden.» Inzwischen ist «D’Langete» dank des Entlastungsstollens bei Madiswil gebändigt.

Feueralarm: Hülfe in der Noth
Ein Abschnitt des neuen Buches von Rudolf Baumann widmet sich der Alarmierung bei Feuersbrunst zu Beginn des 19. Jahrhunderts: «Eine Reorganisation der dörflichen Nachtwache führt zum ersten Turmbau des Kaufhauses im Jahr 1815. Das Dorf benötigt nämlich einen Ausguck für die Nachtwächter. Ein neues Wacht-Reglement beauftragt die Wachtmannschaft, für Ruhe und Sicherheit in Langenthal zu sorgen und auf Brandausbrüche und Nachtlärm zu achten. Bei einem Brandausbruch hat die Nachtwache den Brandmeister, die Brandmannschaft und den Sigristen zu wecken. In allen Richtungen muss Feuerlärm gemacht werden. Das Wachtreglement verlangt dienstfähige Gemeindebewohner, die eine Haushaltung führen oder auf eigene Rechnung einen Beruf oder ein Gewerbe ausüben. Kein Vorbestrafter kann als Wächter gebraucht werden, und das Wachtpersonal darf weder betrunken auf die Wache kommen, noch sich während der Dienstzeit betrinken. Die Nachtwache mit Chef und drei Wächtern dauert von 22 Uhr bis morgens um 3, 4 oder 5 Uhr, je nach Jahreszeit. Klar festgelegt ist, dass während der ganzen Wachtzeit der Ausguck im Türmchen besetzt sein muss. Wenigstens alle Viertelstunden hat der Türmchenausgucker und die Wächter unten in der Wachstube mit einem Glöcklein einander zu läuten und zu antworten. Ein weiterer Wächter, mit einem Rufhorn versehen, hat im Dorf zu patrouillieren. Der Türmchenwächter ist beauftragt, oft, aber unregelmässig sein Horn zu blasen, und der Patrouilleur muss, wo immer er auch ist, mit seinem Horn antworten. Der Wächter im Türmchen hat auch die Nachtstunden anzuzeigen. Nach dem Glockenschlag der Kirchenuhr hat er die Stundenzahl mit seinem kleinen Horn stündlich anzugeben. Im Falle eines Brandes ist wie folgt vorzugehen: Bei einem Brand im Ort ist mit dem Horn anhaltend nach der Gegend der Feuersbrunst zu blasen. Ein Brand bis etwa zwei Stunden Entfernung ist durch mehrere Hornstösse zu erkennen zu geben und noch weiter entfernte Brandröte sind durch die Wachtmannschaft auf Handlungsbedarf zu beurteilen.»

Belle Époque in Langenthal
Hunderte von Stunden hat Rudolf Baumann allein damit investiert, die Texte mit nostalgischen Fotos und Illustrationen zu bereichern. Für Rudolf Baumann ist das Hotel Jura – erbaut von dem aus Madiswil stammenden Oberst Bracher, Baumeister aus Bern, und eingeweiht 1899 – ein typischer Bau der Belle Époque und für die Architektur des späten 19. sowie des frühen 20. Jahrhunderts (Historismus). Heute ist das damalige Hotel Jura Domizil einer Augenarzt- und einer Zahnarztpraxis.
Interessant: Der Saaltrakt mit Portikus und Apsis diente der römisch-katholischen Gemeinde als Sakralraum. Dies bis zum Einzug in die eigene Marienkirche im Jahr 1955. Der Pfarrer wohnte im ehemaligen Hotel Jura. Imposant das Gebäude der 1901 erbauten, noch heute bewohnten Villa Waldheim an der Thunstettenstrasse 33. Rudolf Baumann thematisiert auch den öffentlichen Verkehr während der Belle Époque – inklusive eines Bildes von der Eröffnungsfeier der Langenthal-Jura-Bahn am 25. Oktober 1907 – sowie das Schulwesen. Langenthal besass eine der ersten Sekundarschulen im Kanton Bern. Aufgelistet sind auch Gebäude, die ihren Ursprung in der Belle Époque hatten – angefangen mit der Bezirkskrankenanstalt an der St. Urbanstrasse (1875), beendet mit Theater (1916), letzte Post mit Pferdebespannung von Langenthal nach
Melchnau-Reisiswil (1917) sowie Torfausbeutung im Bleienbach Moos (1918 bis 1920).

Kälbermarkt und grosse Fünfliber
Im neuen Buch nachzulesen ist auch die Geschichte der «fast legendären» Gestalt «Choufhuser Hansruedi» (Johann Ulrich Schneeberger), der den Gastbetrieb 1864 von Witwe Denner übernahm, Wirt sowie Metzger war und dem eine «tüchtige und resolute» Ehefrau zur Seite stand. Das Fleisch der vielen Schweine wurde im Keller der «Spanischen Weinhalle» eingelagert und gesalzen, weil es damals noch keine modernen Kühlanlagen gab. Der Kälbermarkt habe im Sommer um 5, im Winter um 6 Uhr begonnen, wobei jeweils der Glockenschlag des Kaufhauses abgewartet werden musste. Wenn der Handel zwischen Bären und Kaufhaus abgeschlossen und der Bauer ausbezahlt war, wurden die Gaststätten bevölkert. Weil damals noch die grossen Fünfliber im Umlauf waren, hatte die Kellnerin bald die Tasche voller Geld – eine gewichtige Sache. Deshalb liess der «Choufhuser» die Last im Schlafzimmer des Wirteehepares in einen Korb ausschütten.

«D’Langete chunnt» – viele Bilder
Der Schlussteil des Buches ist in diversen Beiträgen mit Texten und eindrücklichen Bildern dem Hochwasser gewidmet – jener Zeit, als es hiess «D’Langete chunnt».
Fazit: Ein Buch, das geschichtlich viel bietet und wo Wissenswertes unterhaltend verpackt ist.

Von Hans Mathys