• Ruth und Ulrich Jordi mit Enkel Lenny vor einem alten Hochstammbaum. Über 100 haben sie in ihrem Obstgarten erhalten. · Bild: Marion Heiniger

  • Ein alter und morscher Kirschbaum mit einem Hagebuttenstrauch als Untermieter. Die Hochstammbäume dürfen bei Ruth und Ulrich Jordi bleiben, bis sie «umfallen». · Bild: Marion Heiniger

05.06.2020
Huttwil

Hochstammbäume bieten Einzigartiges

Hochstammbäume haben einen grossen ökologischen Nutzen und bilden eine umweltverträgliche Lebensgrundlage für eine vielfältige Tierwelt. Ihr Bestand ist rückläufig. Doch im Oberaargau finden sich noch viele Hochstamm-Obstgärten. So auch bei Ruth und Ulrich Jordi in Schwarzenbach. Durch extensive Nutzung geben sie damit der Natur wieder etwas Raum zurück.

Huttwil · Hochstammbäume spenden Schatten für Vieh, sind Merkpunkte in der Landschaft und beleben die Natur. Doch in den letzten 50 Jahren sind über 80 Prozent der als bodenständig geltenden Hochstammbäume in der Schweiz verschwunden. Dies kann auf wirtschaftliche Gründe zurückgeführt werden, denn Hochstammbäume sind im Vergleich zu den modernen Niederstammanlagen anspruchsvoller bei den Pflanzenschutzmassnahmen und die Ernte ist zeitintensiver.
Durch eine intensive Grasnutzung, und die dadurch immer grösser werdenden Maschinen, sowie mangelnde Pflege, geraten die Hochstammbäume zusätzlich unter Druck. Besonders viele alte Obstbäume sind in den letzten Jahren dieser Entwicklung zum Opfer gefallen. Erstpflanzungen werden nur noch wenige vorgenommen.
Diesem Trend wirken Ruth und Ulrich Jordi aus Schwarzenbach seit Langem entgegen. Vor elf Jahren haben sie zwar ihren landwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben und sind in Pension gegangen. Ein benachbarter Bauer bewirtschaftet nun ihr Land in Pacht. Zusammen haben sie über 100 Hochstamm-Obstbäume.
Ihre eigenen 44 Hochstammbäume pflegt das Ehepaar Jordi aber nach wie vor selbst. «Es ist Natur pur», beschreibt Ruth Jordi die «sanften Riesen». Das Land, auf dem die Obstbäume stehen, wird extensiv (geringer Einsatz von Arbeitskräften und Kapital) genutzt. Viele ihrer stattlichen Bäume haben bereits die Altersphase (ab 50 Jahren) erreicht. Doch sie haben noch immer ihre Daseinsberechtigung. «Wir behalten unsere Bäume, bis sie umfallen», erzählt Ruth Jordi.

Hochstammbäume in der Krise
Doch nicht alle denken so wie das Ehepaar Jordi. Dies zeigt die Geschichte der Hochstammbäume. Im Jahr 1929 zählte die Schweiz 12 Millionen Hochstammbäume, bis 1950 stieg die Zahl auf 20 Millionen. Bereits ein Jahr später reduzierten sie sich auf 14 Millionen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts diente der Obstbau weitgehend der Selbstversorgung. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der Öffnung der Grenzen und dem zunehmenden Import von Südfrüchten begann eine Krise für den Schweizer Obstbau. Übermengen veranlassten den Bund, eine grossangelegte Rodungsaktion für Hochstammbäume in die Wege zu leiten.
Eine weitere Abholzwelle wurde in den 50er- und 60er-Jahren verzeichnet. Zur Bekämpfung des Obstbrandes, insbesondere des schwarz gebrannten Schnapses, hat die Eidgenössische Alkoholverwaltung das Fällen von zusätzlichen Bäumen veranlasst. Im Trend lagen nun die Niederstammanlagen, welche auf wenig Raum einen hohen Ernteertrag garantieren und effizient zu ernten sind. Seit 1999 wird eine Ökoprämie für die Pflege eines Hochstammobstbaums ausbezahlt. «Durch die Direktzahlungen des Bundes zeigt die Trendwende wieder nach oben», weiss Stephan Durrer, zuständig für die Kommunikation des Vereins Hochstamm Suisse. «Nachdem die Hochstammbäume vor etwa zehn Jahren ihren Tiefstand von rund 2,2 Millionen erreichten, wurden seitdem wieder mehr gepflanzt», so Durrer.
Doch seit zwei Jahren flacht die Kurve wieder ab. 2018 waren es 21 000 Bäume weniger als 2017. Gemäss Statistik von 2018 hat der Kanton Bern mit gesamthaft 383 291 die meisten Hochstamm-Obstbäume der Schweiz. Und auch hier hat die Zahl von 2017 auf 2018 um 8000 Bäume abgenommen.

Der Natur Raum zurückgeben
Für das pensionierte Ehepaar Jordi stehen die Direktzahlungen nicht im Vordergrund. «Ein alter Hochstammbaum ist, auch wenn er irgendwann nicht mehr abgeerntet werden kann, noch immer von grossem Nutzen. Wir beobachten viele verschiedene Vögel in den alten Bäumen», erzählen die beiden.
Sie möchten so der Natur wieder etwas Raum zurückgeben. Muss ein Baum gefällt werden, wird er durch einen neuen Hochstammbaum ersetzt. Dadurch ist die Vielfalt ihrer Hochstamm-Obstbäume in den vergangenen Jahren gewachsen. Neben Zwetschgen, Pflaumen, Birnen und Kirschen sind auf ihrem Land auch über zehn verschiedene Apfelsorten zu finden. «Letztes Jahr haben wir über eine Tonne Äpfel geerntet», erzählt Ruth Jordi. Im Vergleich zu anderen Jahren ist das jedoch nicht sehr viel. Durchschnittlich können sie jährlich rund sechs Tonnen Äpfel verkaufen. «Ausser im Jahr 2018, da war das Wetter so gut, dass wir zehn Tonnen geerntet haben», fügt Ulrich Jordi an. Der grösste Teil der Ernte wird zur Weiterverarbeitung verkauft. Für den Eigengebrauch stellen sie selbst süssen und sauren Most her. Einige Äpfel werden eingelagert, gedörrt oder als Apfelschnitze und Apfelmus eingemacht.
Doch eine Sorte Apfelbaum fehlt noch, wie Ruth Jordi sagt. Gerne hätte sie wieder einen «Berner Rosen»-Hochstammbaum. Auf dem Land, das sie verpachtet haben, steht noch ein solcher Apfelbaum. In ihrem eigenen Obstgarten jedoch fehlt er noch. Dieser Baum würde eine Geschichte erzählen, weiss Ruth Jordi.
Die Berner Rose ist eine sehr alte Berner Apfelsorte, die Adolf Daepp und F. Baumann 1870 als Zufallssämling entdeckten. Die Baumschule Daepp, damals ansässig in Oppligen, sorgte durch Veredlung für die Erhaltung und Verbreitung dieser Sorte. Der erste Mutterbaum stand auf dem Areal der Familie Baumann und trug 1888 erste Früchte. Adolf Daepp erkannte sofort, dass es sich um eine neue Apfelsorte handelte. Er veredelte diesen neu entdeckten Winterapfel und brachte ihn als «Neuer Berner Rosen Apfel» in der Schweiz und in Deutschland auf den Markt. Fünf Generationen und über 130 Jahre später ist der Berner Rosenapfel eine der beliebtesten Gartenapfelsorten, nicht nur im Kanton Bern, sondern in der ganzen Schweiz.

Platz für gefährdete Arten
Die Hochstamm-Obstgärten haben sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. Vielerorts wird heute der Boden intensiv genutzt. Dadurch finden viele der Tiere nicht mehr genug Nahrung. Besonders in den Hochstamm-Obstgärten ist die Artenvielfalt der Vögel gross. Hier finden auch stark gefährdete Arten wieder einen Platz.
Um den Lebensraum zu erhalten, setzt sich auch «BirdLife Schweiz» ein. In der Schweiz wurden 35 Brutvogelarten in Hochstamm-Obstgärten nachgewiesen, darunter auch zehn typische Obstgartenvögel, ist auf der Internetseite von «BirdLife» zu lesen.
Der vielfältige Obstgarten bietet ein reichhaltiges Angebot an Nahrung. Während Schwalben und Grauschnäpper über den Bäumen nach Insekten jagen, finden Spechte, Kleiber und Baumläufer an den dicken Stämmen allerlei Kleintiere. Meisen und Finken suchen zur Brutzeit Raupen und andere Insekten im Blattwerk. Zudem sind exponierte Äste ideal für Wartenjäger wie den Mäusebussard. Die Drossel und der Wiedehopf hingegen suchen am Boden nach Nahrung. Die grossen Obstbäume sind sowohl zur Futtersuche als auch zum Brüten besser geeignet als Niederstammbäume. Aber nicht nur Vögel sind in den Hochstammbäumen zu finden. Neben unzähligen Insektenarten sieht man auch, mit ein wenig Geduld, Fledermäuse sowie Garten- und Siebenschläfer.

Von Marion Heiniger