• Anette Stade gründete die GrossmütterRevolution 2019. · Bild: zvg

  • Heidi Witzig half bei der Gründung mit. · Bild: zvg

15.03.2021
Oberaargau

Ich bin Grossmutter – auch ohne Enkelkinder

Seit rund einem Jahr gibt es das Regioforum Oberaargau der GrossmütterRevolution. Öffentlich vorstellen konnte sich die Frauengruppe wegen Corona noch nicht. Im Hintergrund ist ein Team jedoch daran, dieses Netzwerk auszubauen.

Grossmütterrevolution · «Du musst unbedingt bei der GrossmütterRevolution mitmachen.» Mitte Dezember 2019 war es, als ich in einem Café diesen Satz von einer ehemaligen Redaktionskollegin vernahm. GrossmütterRevolution (GmR)? Noch nie gehört, tönt aber gut, dachte ich mir, auch wenn ich selbst weder Mutter noch Grossmutter bin. Wieder zu Hause las ich auf der Homepage, worum es geht, und war sofort Feuer und Flamme.
Da gibt es Frauen in der Grossmüttergeneration, die gesellschaftsrelevante Themen und Anliegen zum Alter, zum Frausein und zu den Generationen aufnehmen, bearbeiten und sich dazu verlauten lassen. Dafür haben sie eine soziale Bewegung aufgebaut, die bewusst auf eine Vereinsstruktur mit verbindlichen Mitgliedschaften verzichtet, aber mit Gefässen wie Matronat, Projektleitung sowie Arbeitsgruppen arbeitet.

Ein Projekt des Migros-Kulturprozentes
Wie Think Tank, Netzwerk und Plattform der heutigen Grossmüttergeneration entstanden sind, erzählen Projektleiterin Anette Stade und Mitgründerin Heidi Witzig. «2009 wurde ich vom Migros-Kulturprozent angefragt, ob ich Projekte im Bereich Generationen für sie entwickeln wolle», so Stade. «Im Prozess der Idee-Entwicklung und Findung kam das Thema auch auf das Potenzial dieser Generation.» Anette Stade klärte dies vertieft ab. «Für mich war von Anfang an klar, dass ich diese Idee nur mit den angesprochenen Frauen entwickeln konnte. Daher habe ich im Frühsommer 2009 eine Planungsgruppe von sechs Frauen einberufen.» Unter den Angefragten war auch Heidi Witzig. «Anfänglich war es wirklich eine Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Gruppe kannte sich von zahlreichen Aktivitäten und Veranstaltungen sowieso», erzählt Heidi Witzig.
Anette Stade war und ist diejenige, die alle Fäden in der Hand hat, den Kontakt zum Kulturprozent organisiert, das Budget überwacht und alle Hilfsmittel bereitstellt, welche für Forschungsstudien, Demonstrationen, Tagungen, Internetseite usw. nötig sind. «Der Name war schon in den Anfängen plötzlich entstanden», weiss Heidi Witzig. Zwar diskutierte die Gruppe darüber, da es zwar attraktiv tönt, aber vielleicht Nicht-Grossmütter ausschliesst und verniedlicht werden könnte, «aber wir brachten den Namen nicht mehr weg. Er war einfach zu gut.»

Immer mehr Regioforen
Im Laufe der Zeit sind Regioforen entstanden. So zum Beispiel im Januar 2020 im Oberaargau. Dort macht unter anderen die Langenthaler FDP-Stadträtin Beatrice Lüthi mit. «Das erste Mal kam ich in Kontakt mit der GrossmütterRevolution, als ich für die Berufs- und Geschäftsfrauen (BPW) Switzerland im Organisationskomitee mitmachte für die grosse Demonstration vom September 2018 für die Lohngleichheit respektive vor der Diskussion im Nationalrat», erzählt sie. «Mit von der Partie im Organisationskomitee war auch eine Vertreterin der GrossmütterRevolution. So farbig und flippig und aufgestellt … und die hat mir mächtig imponiert.»
Sie sei Feministin, sagt Lüthi, «nichts und niemand kann mich davon abbringen. Wo immer ich mich engagieren kann gegen Sexismus, Diskriminierung et cetera, bin ich dabei», begründet sie ihr Mitmachen bei der GmR. «Ich sehe es als – gerne übernommene – Verantwortung und Pflicht an, auf den Schultern meiner beiden noch allzu rechtlosen Grossmütter für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Unabhängig vom Alter. Und ich sehe es ebenso als Pflicht und Verantwortung an, meinen Beitrag zu leisten, damit Frauen, die uns nachkommen, diese Diskriminierung, Demütigungen, Ohnmacht und Frustration, die auch ich persönlich noch allzu gut kenne, nicht mehr erfahren müssen», gibt sie sich kämpferisch. Und weiter: «Die Altersgruppe der Grossmütter ist eine sehr grosse; wir sind ja so bis Mitte der 60er-Jahre die geburtenstarken Jahrgänge. Wir sind also eine absolut wichtige Bevölkerungsgruppe.
In den Medien oder in der Öffentlichkeit ist davon aber oft wenig zu spüren. Und in der Politik wird meist an dieser Bevölkerungsgruppe vorbei politisiert», hält sie fest. Und was verspricht sie sich von der GrossmütterRevolution? «Dass Frauen meines Alters überhaupt wahrgenommen und nicht übersehen werden. Und dass unsere Stärken, Anliegen und Bedürfnisse ernstgenommen und berechtigt berücksichtigt werden.»

Sich einbringen, die Erfahrung weitergeben
Die beiden Langenthalerinnen Do­rette Balli und Priska Walser sind ebenfalls mit von der Partie. «Auch als Nicht-Grossmutter möchte ich meine Lebenserfahrung, mein Wissen und meine Kompetenzen weiterhin mit anderen Frauen teilen und sicht- und hörbar bleiben», sagt Dorette Balli. «Ausserdem habe ich bei meiner politischen Arbeit immer wieder erlebt, wie toll, lehrreich und anregend die Zusammenarbeit mit interessierten Frauen ist», so die ehemalige SP-Grossrätin weiter.
Bei Priska Walser ist es das Schlagwort «GrossmütterRevolution», das sie fasziniert und neugierig gemacht hat. «Die Idee, politisch neutral etwas in Bewegung zu bringen, gefällt mir sehr. Es ist eine Möglichkeit, nach intensiver Familien- und Berufszeit sichtbar zu bleiben und Wirkung zu haben», sagt sie. Und weiter: «Ich freue mich darauf, mich mit ‹neuen› Frauen vernetzen zu können. Mich mit ihnen auszutauschen über gesellschaftliche Fragen wie Alter, Generationensolidarität, Soziales und über regionale Themen.» Sie ist überzeugt, dass sich die älteren Frauen mit ihren Erfahrungen auch die nächste Generation bei Anliegen wie Klimawandel, Nachhaltigkeit, Bildung, soziale Gerechtigkeit, Familienpolitik und Frauenanliegen tatkräftig unterstützen können.
Maya Eigenmann aus Madiswil hat sich schon während ihres Berufslebens und bis heute stark für gesellschaftspolitische Fragen interessiert, wie sie sagt. «In jungen Jahren war ich oft mit Frauen zusammen, die politische Ämter ausübten – mein Interesse für sogenannte ‹Frauenfragen› war geweckt und begleitet mich immer noch. Ich durfte zahlreiche Zusammenkünfte mit Frauen erleben, geprägt von spannenden Gesprächen und Solidarität. Das ist noch heute so im Oberaargauer Team der GrossmütterRevolution.» Maya Eigenmann war während sieben Jahren Grossrätin des Kantons Bern, neben zahlreichen anderen politischen Ämtern (siehe auch das Generationengespräch auf Seite 8 dieser Ausgabe).

Offizieller Start im Sommer
Eigentlich hätte das Regioforum Oberaargau der GrossmütterRevolution schon im Frühling 2020 auf sich aufmerksam machen wollen. Leider kam dann die Pandemie dazwischen. Der erste geplante Anlass musste abgesagt werden.
Ein Kernteam ist seither daran, Frauen aus dem persönlichen Umfeld auf die GmR aufmerksam zu machen. Diese erhalten von Zeit zu Zeit Informationen über (virtuelle) Anlässe et cetera. Das Kernteam ist zudem daran, andere Möglichkeiten des ‹Sichtbarmachen und -bleibens› zu prüfen, etwa durch eine Zusammenarbeit mit einer von Frauen geführten Buchhandlung oder durch Nutzung eines Schaufensters in der Bahnhofunterführung in Langenthal. «Man wird von uns hören und sehen», sind sie sich jedenfalls einig.

Gut zu wissen
Interessentinnen im Grossmütteralter – Grossmutter zu sein ist wie erwähnt keine Bedingung – erfahren mehr unter der Homepage www.grossmuetter.ch oder bei der Ansprechperson des Regioforums Oberaargau, Irmgard Bayard, Dorfgasse 38, 4900 Langenthal, 062 922 90 66, script@quickline.ch

Von Irmgard Bayard