• Isabelle Ruf: «Als Dirigentin oder Dirigent hat man Vorteile, wenn man älter wird, denn mit dem Älterwerden wächst die Erfahrung.» · Bild: Leroy Ryser

29.11.2019
Luzerner Hinterland

«Ich liebe es, Menschen in ihren Fähigkeiten zu fördern»

Isabelle Ruf-Weber ist Produktionsleiterin und Dirigentin der Eigenproduktionen am Stadttheater Sursee. Daneben wirkt sie freischaffend als Gast-Dirigentin, Jurorin, Dozentin und Musikpädagogin – und ist auch im Ausland sehr gefragt. Im Mai 2017 wurde sie für ihre Verdienste um die Schweizer Blasmusik mit dem Stephan Jaeggi Preis ausgezeichnet. Isabelle Ruf-Weber nahm sich trotz «Hochbetrieb» in Sursee Zeit für das Monatsinterview des «Unter-Emmentaler».

Liselotte Jost-Zürcher im Gespräch mit Isabelle Ruf, künstlerische und musikalische Leiterin Stadttheater Sursee, Dirigentin und Musikpädagogin.

Im Moment laufen im Stadttheater Sursee die Vorbereitungen für die Aufführung von Paul Linckes Operette «Frau Luna». Was darf das Publikum erwarten?
Es wird eine sehr kecke, witzige Aufführung sein. Und schnell und rasant – es ist unser Credo, dass der Vorhang nach zweieinhalb Stunden, inklusive der Pause, fällt. Dies ist der heutigen Zeit angepasst, denn das Publikum mag nicht mehr stundenlange zuhören und zusehen.
Im Weiteren ist unser Regisseur Björn B. Bugiel, ein gelernter Musical-Darsteller, bekannt für ein opulentes, schillerndes Bühnenbild und rauschende Kostüme. Das kommt beim Publikum sehr gut an. Dies nebst den künstlerischen Interpretationen durch unsere Profis und die erfahrenen, versierten Laien-Darstellenden. Speziell ist dieses Jahr der echte – aber des Verständnisses wegen leicht modifizierte – Berliner Dialekt. Das Ganze wird von der schmissigen Musik aus dem Orchestergraben getragen.

Um was geht es bei «Frau Luna»?
Fritze Steppke träumt vom Fliegen, am liebsten mit dem Luftschiff des Grafen Zeppelin. Niemand ist von seinen Phantastereien begeistert und seine Verlobte Marie bangt um die Zukunft ihres Geliebten. Noch heftiger reagiert seine Zimmerwirtin Frau Pusebach, Maries Tante. Nachdem sie ihm das Zimmer gekündigt hat, ist Fritze nicht nur arbeits- und obdachlos, auch Maries Liebe steht auf dem Spiel.
In dieser verzweifelten Lage erfüllt sich plötzlich sein innigster Wunsch, auf den Mond zu entfliehen. Begleitet wird er von seinen Freunden Pannecke und Lämmermeier, aber auch Frau Pusebach ist ungebeten mit von der Partie. Auf die vier Erdenbewohner   warten im Reich der Mondgöttin Frau Luna zahlreiche Überraschungen und Liebesabenteuer …

Wie stellt sich für diese jährliche Eigenproduktion die Crew der Darstellenden zusammen?
Wir haben stets tolle Leute. Solche, die schon mehrmals oder gar seit Jahren mitwirkten, immer aber auch wieder neue. Wir führen jährlich Vorsingen durch. Im Januar, noch vor der Premiere von «Frau Luna», wird bereits das Casting für 2021 stattfinden. Die Darstellenden, ob Laien oder Profis, müssen einfach in die Rollen passen. Stimme, Gestik, die Postur ... so kommt es vor, dass wir zuweilen sehr gute Mitwirkende, die schon oft dabei waren, pausieren lassen müssen, weil sie schlichtweg nicht passend für eine Rolle sind. Doch wir sind immer sehr transparent, das ist uns wichtig. So sind diese ein andermal wieder gerne mit dabei. In der aktuellen Operette wird das Ballett nebst dem Chor sehr viel zu tun haben – beides reine Laientruppen.

Wie rekrutieren Sie die Laien? Erwerben diese ihre Fähigkeiten im «Learning by doing»?
Das auch, und wie gesagt, wir haben viele, die immer wieder mit Freude mitwirken, insbesondere die Chormitglieder. Aber unsere jährliche Operette – oder auch die alle zwei Jahre aufgeführten Kindermärchen – sind gleichzeitig Nachwuchsprojekte. Wir pflegen eine enge Zusammenarbeit mit künstlerischen Ausbildungsstätten.
Das Ballett beispielsweise besteht aus jungen Darstellenden aus der Schule für Künstlerischen Tanz, die in unserem Theater eingemietet ist. Ebenso wirken bei uns regelmässig Absolvierende der Hochschulen Luzern, Bern und Zürich mit. Für sie sind die Auftritte auf unserer Bühne wertvolle Erfahrungen. Zudem bewahren wir ein bisschen die «Regionalität».
Die diesjährige Sopranistin, die junge Corinne Achermann in der Rolle der Marie/Jungfrau, stammt aus dem nahen Neuenkirch LU.

Und diese jungen Darstellenden besetzen schon anspruchsvolle, zum Erlernen zeitintensive Rollen?
Sie müssen einfach wissen, dass sie nebst den 26 Mal fit auf der Bühne stehen. Sie müssen sich im Klaren sein: Wie ist es, wenn ich keine Grippe, keine Erkältung, sonst keine Krankheit haben darf? Was kann ich dagegen tun? Wie hält man sich fit? Genügend Schlaf, viel (Tee) trinken, gesund essen, Vitamine einnehmen, Ansteckungsherde nach Möglichkeit meiden – wir diskutieren das oft und dabei entstehen sehr gute Gespräche.

Was geschieht, wenn doch einmal jemand der (Haupt)Darstellenden krank ist?
Wenn immer möglich tun sie alles, um trotzdem spielen zu können. Ich versichere Ihnen, das grenzt zuweilen an Hochleistungssport ... Wir sagen keine Aufführungen ab, irgendwie geht es immer. Aber manchmal mit speziellsten Massnahmen. Wir hatten einmal eine Hauptdarstellerin, die keine Stimme mehr hatte. Diese mimte ihre Rolle und eine Sopranistin, die wir «eingeflogen» hatten, übernahm am Bühnenrand sichtbar ihre Gesangspartie. Das klappte hervorragend.

Wie halten Sie die Mitwirkenden bei Laune, damit diese auch über intensive Probezeiten hinweg motiviert bleiben?
Wie gesagt – sie müssen es sich bewusst sein: Wenn sie mitspielen wollen, sind sie über Monate hinweg da. Wir kommunizieren innerhalb der gesamten Crew viel und transparent, das ist sehr wichtig und erstickt allfällige Unstimmigkeiten schon im Keim. Vor und manchmal auch während den Proben machen wir Einsing- und Aufwärmübungen, das entspannt. Natürlich pflegen wir innerhalb des Produktionsteams eine sehr enge Zusammenarbeit und wir verstehen uns gut. Das ist ebenfalls essenziell, damit alles funktioniert. Und halt immer wieder feilen, an den Details arbeiten, nicht nachlassen. Ich sage stets: In der Routine lauert die Gefahr.

Wie finanziert sich dieser grosse Aufwand?
Das Stadttheater Sursee ist kein subventioniertes Theater. Aufführungen in dieser Qualität sind nur dank viel Ehrenamtlichkeit, dann aber natürlich durch die fast allesamt ausverkauften Vorstellungen und durch Sponsoring möglich.

Aber nun endlich zur Persönlichkeit Isabelle Ruf ... Ihre musikalischen Fähigkeiten kamen bestimmt schon in den Kinder- und Jugendjahren zum Ausdruck. Sie aber haben ursprünglich Primarlehrerin studiert?
Als Kind und Jugendliche spielte ich Klavier und Flöte. Man legte mir tatsächlich nahe, ein Musikstudium aufzunehmen. Aber ich hatte immer gerne Kinder, das Pädagogische. Ich mochte es, zu motivieren, Fortschritte zu sehen und dachte, wenn ich Lehrerin werde, kann ich alles verbinden, auch das Musikalische. Das zog ich dann wirklich durch. Trotzdem, nach drei Jahren Schule geben hatte ich es gesehen. Ich absolvierte hauptberuflich eine Ausbildung zur Blasorchester-Dirigentin an der Musikhochschule in Luzern. 1989 schloss ich die Studien ab und erlangte auch das Lehrdiplom für Querflöte.
Anschliessend folgten ein Studienaufenthalt an der University of Michigan (USA) im Hauptfach Dirigieren, die Ausbildung zur Kapellmeisterin bei Sylvia Caduff in Luzern, der Besuch zahlreicher Meisterkurse im Ausland und ein einjähriger Nachdiplomkurs für Orchesterdirigieren an der Musikhochschule Zürich.

Das war zu einer Zeit, als Frauen noch kaum am Dirigentenpult standen.
Ja, und das bekam ich oft zu spüren, aber heute ist das zum Glück anders. Ich freue mich immer wieder, wenn ich talentierte Frauen dirigieren se-
he, welche ihre Begeisterung aussprühen, die Orchester kompetent führen und die Musikerinnen und Musiker motivieren.

Sie sind ein begehrtes Jurymitglied im In- und Ausland und eine ebensolche Musikpädagogin. Das Pädagogische drückt bei allen ihren vielseitigen Tätigkeiten immer wieder durch.
Ich liebe es, Menschen in ihren Fähigkeiten zu fördern, Feinheiten auszufeilen. Erwachsene, aber sehr oft auch Jugendliche. Dabei ist es mir sehr wichtig, aufzubauen und nicht zu knicken. Leider gibt es viele Menschen, die mit ihrer Kritik «herunterziehen». Sehen Sie, es ist ein Unterschied, ob man zum Beispiel zu einem Posaunisten sagt «Du spielst viel zu laut» oder ob man sagt «Bitte spiel zugunsten der Holzinstrumente leiser.»
So engagiere ich mich sehr gerne in der Aus- und Weiterbildung von Dirigent/innen sowie Juror/innen. In dieser Funktion unterrichte ich seit Herbst 2006 als Gastdozentin an der Bundesakademie in Trossingen D. Von 2009-2014 lehrte ich als Dozentin für Blasmusik-Direktion an der Musikhochschule Luzern.
Sehr viel Freude bereitet mir auch die Arbeit mit diversen Jugendorchestern, unter anderem mit den Nationalen Jugendblasorchester Schweiz und Südtirol. Diese jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren spielen auf einem super Niveau, können sagenhaft gut aufnehmen und umsetzen und zeigen sehr viel Disziplin. Generell finde ich es herrlich, im Blasorchesterbereich, in welchem ich «gross» geworden bin, die Klänge der einzelnen Instrumente zu fördern, zusammenzubringen, die Intonation zu festigen, am Klangausgleich zu arbeiten, die Stücke so zu interpretieren, dass das Publikum begeistert ist. Das ist es, was mich motiviert und fasziniert. Es gibt viele hervorragende Amateur-Orchester, die bis ins Niveau der Höchstklassen spielen.
Dabei bringt es auch einen gesellschaftlichen Wert. Es ist wichtig, gemeinsam ein Hobby auszuführen, das Freude bereitet. Bei den einen ist es der Sport, bei andern eben die Musik. Wichtig ist, dass man es gemeinsam und von Herzen macht.

Sie haben mehrere Blas- und Symphonieorchester über Jahre hinweg dirigiert ...
Unter anderem dirigierte ich während 25 Jahren das Blasorchester Neuenkirch LU (1988-2013), leitete das Orchester Sursee (2000-2003) und anschliessend den Orchesterverein Malters (2003-2007). Nach zwölf sehr schönen Jahren endete im Herbst 2013 mein Engagement als künstlerische Leiterin des Landesblasorchesters Baden-Württemberg. Ende 2017 schloss ich dann auch meine 10-jährige Tätigkeit als musikalische Leiterin des renommierten Blasorchesters Landwehr Fribourg ab.

… und Sie wirkten und wirken als Gastdirigentin und Musikpädagogin bei zahlreichen Orchesterprojekten mit, national und international. Im Stadttheater Sursee bekleiden Sie zudem ein 50 %-Stellenpensum. Wie bringen Sie alles unter einen Hut?
Nebst den 50 % am Stadttheater Sursee bin ich selbständig erwerbend. Das heisst, ich bin frei mit meiner Planung. Klar braucht es Organisation, aber es bereitet mir riesigen Spass. Ich reise sehr gerne und kann so alle meine liebsten Tätigkeiten verbinden. Wenn ich im Ausland weile, bleibe ich meistens ein, zwei Tage länger um die Kultur, die Mentalität der Menschen dort und die Gegend kennenzulernen.

Das erklärt teilweise, weshalb sie so viel im Ausland engagiert sind. Besonders oft sind Sie ja in Deutschland. Warum diese Verbindung?
Ich habe sehr gerne Sprachen, nehme eben einen Spanischkurs, um auch in Spanien mit den Menschen sprechen zu können. Aber deutsch geht natürlich immer noch am Besten. Zudem mag ich die Deutschen sehr. Sie sind in ihren Charakteren je nach Region genauso unterschiedlich wie wir Schweizer.

Welches ist Ihr nächstes grösseres Gast-Dirigat?
Nach der Surseer Operette bin ich in Barcelona eingeladen, darauf freue ich mich sehr. Übrigens wäre dies vor zehn Jahren in Spanien als Frau noch unmöglich gewesen. Aber inzwischen respektiert man auch dort Frauen mit dem Dirigentenstab.
Es ist auch so, dass man – im Gegensatz zu anderen Dingen – als Dirigentin oder Dirigent Vorteile hat, wenn man älter wird, denn mit dem Älterwerden wächst die Erfahrung. Zudem muss ich rückblickend sagen, dass ich heute von dem profitiere, was anfangs nicht nach meinem Wunsch lief.

Sie haben ja auch Flöte gespielt. Tun Sie das noch?
Nein, ich habe alle Flöten und Noten verkauft. Die Dirigate nahmen einfach zuviel Zeit in Anspruch, ich musste ja immer auch die Partituren studieren. Weil ich dann keine Zeit mehr zum Üben hatte, litt mein Flötenspiel; das nervte. Zu meiner Entspannung und gelegentlichem Korrepetieren spiele ich Klavier.

In Ihrer langen musikalischen Kar-riere insbesondere als Dirigentin müssen Sie viele interessante Menschen getroffen haben. Welches waren die für Sie eindrücklichsten Begegnungen?
Ich hatte natürlich mit zahlreichen tollen Musikerinnen und Musikern zu tun. Das sind immer wunderbare Begegnungen. Aber wenn ich selbst Konzerte höre, interessieren mich vor allem die Dirigentinnen und Dirigenten, ihre Ausstrahlung, ihr Können und ihre Präzision.
Es ist wunderbar, Menschen wie den alten, leider verstorbenen Meister Claudio Abbado, Menschen wie Mariss Jansons, Simon Rattle, Simone Young zu treffen. Oder Silvia Caduff, bei der ich eine Ausbildung genoss und die als Frau eine grosse Vorreiterrolle gespielt hat.
Es ist einfach etwas wunderschönes, wenn ein Mensch seine Natürlichkeit und sein künstlerisches Talent miteinander verbinden und so unheimlich viel erreichen kann. Auch jungen Menschen gelingt dies, wie etwa der Sopranistin Regula Mühlemann, die sich mit 30 Jahren schon einen grossen Namen als Sängerin gemacht hat und auch durch ihr authentisches Auftreten überzeugt. Es war ein wundervolles Erlebnis, sie im vergangenen Juni mit dem Orchester im Stadttheater Sursee begleiten zu dürfen.