• Die Idee zum Schmuckstück wird zuerst als Skizze zu Papier gebracht. · Bild: Yanick Kurth

15.03.2019
Huttwil

In der Schmitte entsteht filigraner Schmuck

Ringe aus Silber, diverse Ketten und Schmuck aus den unterschiedlichsten Materialien glitzern in den Schaufenstern der Huttwiler Schmuckschmitte «Föhnsturm». Im Innern des historischen Gebäudes sitzt Anne-Catherine Schärer an ihrer Werkbank. Dort werkelt die gebürtige Aargauerin seit Jahren und fleissig wird gefeilt, geschliffen und gelötet. Hier fühlt sich die 53-Jährige wohl, kann vom stressigen Alltag etwas zur Ruhe kommen und ihre Ideen verwirklichen.

Ihre Schmitte hat Anne-Catherine Schärer liebevoll «Föhnsturm» genannt, so nämlich, wie es sich manchmal in ihrem Kopf anfühlt. Während sie vorher im Taubenhaus ihres Gartens eine kleine Werkstatt eingerichtet hat, ist sie heute froh, in der geräumigen Schmitte arbeiten zu dürfen. Im Blumenstädtchen ist sie die einzige Goldschmiedin.

Auf dem Schulweg das Atelier entdeckt
Anne-Catherine Schärer stammt ursprünglich aus Niederlenz im Kanton Aargau. Erst durch die Heirat ist sie nach Huttwil gezogen. Bis heute ist sie Oberstufenlehrerin geblieben und unterrichtet an den Schulen in Huttwil die Fächer Technisches Werken, Sport und Französisch. Da sie zweisprachig aufwuchs, stellt die Fremdsprache kein Problem dar. Ihr Weg zur Schule führt an der damals lehrstehenden Schmitte an der Huttwiler Stadthausstrasse vorbei. Immer wieder blickte Anne-Catherine Schärer durch die Fenster und versuchte sich vom Innern ein Bild zu machen. «Sofort war ich begeistert von der leerstehenden Schmitte und dachte mir, dies wäre das perfekte Atelier für meine Arbeiten», erzählt die 53-Jährige. Kurzerhand hat sie Kontakt mit dem Inhaber aufgenommen und ihm ihre Idee von der Goldschmitte geschildert. Die anfängliche Skepsis des Eigentümers legte sich bald. Dann war es endlich soweit: Der Einzug stand bevor. Während einigen Monaten hat Anne-Catherine Schärer zusammen mit ihrem Mann André die Schmitte geputzt und aufgeräumt und wunderschöne alte Werkzeuge sortiert. Ambosse und weitere Geräte blieben bestehen. «Die Schmitte ist das Beste, was mir pas­sieren konnte», sagt Anne-Catherine Schärer mit Freude.  

Filigrane Unikate entstehen
In den Ferien oder bei Waldspaziergängen sucht sie jeweils nach interessanten Texturen, wie sie die Natur hervorbringt: Holzrinden, Muscheln, Steine, Wurzeln und vielem mehr. So entstehen filigrane Broschen in Gold mit Turmalinen veredelt oder Trauringe in Weissgold, deren Oberfläche an Birkenholz erinnert. Anne-Catherine Schärer versucht gar nicht erst Trends zu kopieren, sondern will ihren eigenen Stil weiterentwickeln und pflegen und auf die Wünsche der Kundschaft möglichst gut eingehen. So filigran das Endprodukt auch aussieht – die Herstellung ist echtes Handwerk. Neben Ohrringen, Ketten und Anhängern stehen Ringe weit oben auf der Verkaufsliste. Auf der Werkbank stehen Behälter mit verschiedensten Zangen, Aufsätzen für das Schleifgerät, Metallsägen und kleine Tonschalen mit Lot – also Metallteile, mit denen später Ver­bindungen hergestellt werden können. Bei Anne-Catherine Schärer entstehen Schmuckstücke, die in keinem Schmuckladen zu finden sind. «Mich fasziniert, was aus der Norm fällt und nicht die perfekte runde Perle.»

Seit der Kindheit vom Handwerk fasziniert
Bereits als Teenager war sie fasziniert vom Schmuck und dessen Handwerk. Daher kam es auch, dass sie für ihre Schulkolleginnen aus versilbertem Kupferdraht Ohrenanhänger fertigte. «Damit hat alles angefangen», erinnert sich Anne-Catherine Schärer. Als 27-Jährige hat sie eine Kursauschreibung als Goldschmiedin gesehen. Mit diesem Kurs bei der Migros Klubschule wollte sie fachlich weiterkommen und lernen. In einer alten Fabrik hat sie während rund anderthalb Jahren den Abendkurs beim Goldschmiede-Pionier und Künstler Roger «Rotsch» Weber besucht. Wenig später wurde sie Mutter und musste daher ihr Hobby-Engagement reduzieren. Auch das Pensum als Lehrerin wurde damals zurückgefahren. Doch schon kurze Zeit später besuchte sie einen Tageskurs beim gleichen Lehrer. Der Kurs war intensiv, wie sich Anne-Catherine erinnert: «Ich lernte erstmals gezielte Techniken und entwarf meine eigenen Schmuckstücke.» Bis heute ist sie zwei Mal im Monat in der offenen Werkstatt bei  «Rotsch» Weber anzutreffen. Da in ihrer Schmitte fünf Arbeitsplätze vorhanden sind, träumt sie davon, diesen dereinst anderen Hobby-Goldschmieden anzubieten. Bis es aber soweit ist, will sie für die offene Werkstatt ein geeignetes Konzept erstellen.

Nur wenige Lehrstellen in der Schweiz
Angehende Goldschmiede und Goldschmiedinnen können zwischen den Fachrichtungen Schmuck, Juwelen oder Ketten wählen. Sie gestalten Ohrringe, Ringe und Armbänder und reparieren diese. Mitbringen sollten sie handwerkliches Geschick, Genauigkeit, Kreativität, Geduld, technisches Verständnis und logisches Denkvermögen. Es reiche nicht aus, sich gerne mit Schmuck zu umgeben. Man ­bekomme auch schmutzige Hände ­dabei. Messingbleche sägen, feilen, ­später löten und schmieden – diese Tätigkeiten stehen in der Ausbildung zum Goldschmied auf dem Lehrplan. Gerade am Anfang der Ausbildung dürfe man seiner Fantasie freien Lauf lassen, sagt Anne-Catherine Schärer. Später kommen dann erste Kundenaufträge, vor allem Reparaturen.
«231 Goldschmiede befinden sich derzeit in der Schweiz in Ausbildung, sprich rund 60 Personen pro Jahr starten die vierjährige Ausbildung. Davon kommen zwei Drittel aus der Westschweiz», erzählt Markus Werner, ­Geschäftsführer des Verbandes der Schweizer Goldschmiede und Uhrenfachgeschäfte (VSGU dem «Unter-Emmentaler». Zur Schule gehen die Lernenden in Basel, Bern und Zürich. «Das Interesse ist sehr hoch, viele finden aber keine Lehrstelle, da auch ein besonderes Geschick nötig ist und die Selektion sehr sorgfältig mittels Eignungsabklärungen erfolgt», erklärt der Fachmann weiter.

Vom Entwurf bis zum Endprodukt vergeht viel Zeit
Dieses Loch wird erst durch seinen Rand so richtig interessant. Wenn der nämlich aus Gold ist und sich um einen Finger schmiegt, kann er sogar zwei Menschen verbinden. Ob Verlobungsring oder Ehering, eine Sonderanfertigung oder Eigenkreation – hinter jedem Stück, das Goldschmiedin Anne-Catherine Schärer anfertigt, steckt eine Geschichte – oder zumindest eine Fantasie. Aus dem Material entsteht eine Idee und daraus skizziert sie einen ersten Entwurf. Sie bestimmt die Materialdicke des Ringes. Als erstes wird die Ringschiene auf dem Holzstab gewickelt. Anschliessend wird die Fassung für das kleine «Steinchen» gefertigt, der später im Ring funkeln wird. Danach wird die Fassung in die Ringschiene gelötet.  Nach kurzem Versäubern werden die Oberflächen bearbeitet und Teile davon poliert. Der Ring ist nun bereit. Der Turmalin-Cabochon (Edelstein) wird eingesetzt und vorsichtig gefasst. Die Goldschmiedin kontrolliert, ob alles perfekt passt und ob der Stein auch wirklich hält. In der Schmitte ist es eher dunkel und kalt. Viel Licht und ein Ofen unter der Werkbank erwärmen die Atmosphäre. «Mit kalten Händen kann ich nicht arbeiten.» Den grossen Arbeitstisch hat sie vom bekannten Thuner Goldschmied Peter Schär erhalten, der sich das Handwerk ebenfalls selber beigebracht hat. In seiner Werkstatt hat Anne-Catherine Schärer Kurse besucht. Viele ihrer Werkzeuge hat die Naturliebhaberin von pensionierten Goldschmieden in der Schweiz erworben. Die speziellen Maschinen hat sie neu gekauft. «Es ist ein teures Hobby, bei dem man viel Geld ausgeben kann.»

Hinter Schmuck stehen Geschichten
Ihre Schmuckstücke stammen aus allen möglichen Materialien. Silber ist das billigste Edelmetall, und somit
das am häufigsten verwendete. Gold kommt häufig in Kombination mit Silber vor. Während Anne-Catherine Schärer früher alles für sich selbst herstellte, sind es heute oft Kundenwünsche, die sie umsetzt. Gerne würde sie mehr im Voraus herstellen und eine grössere Auswahl präsentieren, dazu fehlt ihr aber vielfach die nötige Zeit. Aus altem geschichtsträchtigem Gold hat sie schon mehrere Schmuckstücke für Hinterbliebene kreiert. Oft gefällt den Hinterbliebenen das geerbte Schmuckstück nicht mehr, oder es passt im Stil nicht zur Person. So verwendet sie die Rohstoffe oder ganze Teile aus dem alten Stück und fertigt ein neues. So lebt das alte Schmuckstück in neuer Form weiter und Rohstoffe werden geschont. «Es ist sehr spannend, was aus den vererbten Materialien entstehen kann.» Etwa eine Halskette oder ein Ring. Manchmal hat Anne-Catherine Schärer viele Ideen im Kopf und weiss kaum wo anfangen. Mehrmals die Woche ist sie in der Schmitte anzutreffen und schätzt es, keine fixen Öffnungszeiten zu haben.
Was die Zukunft bringen wird, davon lässt sich die Schmuckschmiedin überraschen. Die Schubladen sind voll mit Trouvaillen aus Sardinien, Neuseeland, Schottland und dem Suldbach im Berner Oberland. Kombiniert mit edlen Perlen und Steinen nimmt der Huttwiler «Föhnsturm» Fahrt auf. Ist der Sturm vorbei, entdeckt man vielleicht ein neues Schmuckstück im Schaufenster der Alten Schmitte.

Von Yanick Kurth