• Johann Schneider-Ammann sprach in Langenthal vor den Offizieren. · Bild: Hans Mathys

09.04.2019
Langenthal

Ist «Le Petit Paradis» Schweiz in Gefahr?

Als Bundesrat bezeichnete Johann Schneider-Ammann die Schweiz gerne als «Le Petit Paradis». Nun ist er seit drei Monaten

Alt-Bundesrat. Als solcher ging er bei seinem Referat vor Offizieren der Frage nach, wo allenfalls die Gefahren für dieses kleine

Paradies lauern.

«Sicherheitspolitische Lage und wirtschaftspolitische Konsequenzen für ‹Le Petit Paradis› Schweiz». So lautet der Titel des Referats von Johann Schneider-Ammann im Bären Langenthal. Dies im Vorfeld der Vereinsversammlung der Offiziersgesellschaft Langenthal und Umgebung. Präsident Christoph Kuert kann dazu im Barocksaal 64 Interessierte begrüssen. «Dies ist heute nach drei Monaten im Wesentlichen mein erster Auftritt», sagt der Referent, der als Bundesrat acht Jahre im Rampenlicht gestanden hatte. Beim Bund habe man lange nicht gemerkt, dass die Schweiz von Risiken bedroht sei und auf diese rechtzeitig reagieren müsse: «Der Bund ist enorm gefordert – die Kantone genauso.»

Zuletzt Mexiko und Indonesien

Johann Schneider-Ammann geht als Bundesrat der ausgiebigen Reisen mit strapaziösem Programm in die Geschichte ein. Bei ihm geniessen Wohlstand und Arbeitsplätze oberste Priorität. Der 67-Jährige schildert den Offizieren Kontakte am Ende seiner bis 31. Dezember 2018 dauernden Amtszeit. Mit den Worten «Du gehst jetzt – ich kann noch nicht», habe ihn der mexikanische Wirtschaftsminister verabschiedet. Eine der letzten Amtshandlungen sei gewesen, als er mit Indonesien ein Freihandelsabkommen aushandelte und dann nochmals nach Jakarta flog, um dieses dort für die Schweiz zu unterschreiben. 

Begriff «Petit Paradis» erfunden

Es sei seine eigene Erfindung gewesen, die Schweiz als «Petit Paradis» zu bezeichnen, sagt der ehemalige Wirtschaftsminister, der während seiner Amtszeit immer wieder erfahren durfte, wie sehr bei seinen Amtskollegen die Stabilität der Schweiz geschätzt wird. Er habe sich «Vollbeschäftigung, Vollbeschäftigung und nochmals Vollbeschäftigung» auf die Fahne geschrieben. Innovativ an der Spitze zu sein, sei deshalb enorm wichtig für unser Land. 

Schneider-Ammann schneidet die in diversen Ländern herrschende Korruption an: «Aus verständlichen Gründen kann ich hier aber nicht konkret werden.» Die Schweiz ihrerseits halte sich an interne Vorgaben – im Einklang mit dem Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft. 

Seit dem Zweiten Weltkrieg seien kleine, offene Volkswirtschaften eine Erfolgsgeschichte, sagt der Referent und nennt hier neben der Schweiz auch Luxemburg, die Niederlande, Singapur und Taiwan. Die liberale Schule der internationalen Beziehungen würde dominieren. «Völkerrecht statt Recht des Stärkeren», so Johann Schneider-Ammann. Unternehmen seien dabei zentrale Akteure – und internationale Organisationen wie Bretton Woods (internationale Währungsordnung) sowie WTO (Welthandelsorganisation) würden eine wichtige Rolle spielen und die Zusammenarbeit fördern. 

Der am 18. Februar 1952 geborene Unternehmer und FDP-Politiker weist auf den 1945 geborenen Ökonomen und Nobelpreisträger Angus Deaton hin, der feststellt, dass sich die Welt seit 1945 enorm verändert hat. Sie sei noch nie so reich und gesund gewesen wie heute. Die grösste Veränderung sei die Integration Chinas ins Welthandelssystem gewesen – mit der Folge, dass eine halbe Milliarde Menschen aus der Armut entlassen wurden. Einzig Afrika zeige wenig Veränderung. Ob nun das goldene Zeitalter (seit 1945) ende – verbunden mit einer Dominanz der militärischen Stärke und weniger Völkerrecht? Anzeichen dafür könnten die isolationistische Tendenz der dominanten USA, die Kritik an Multilateralismus und die Gefahr eines Wettrüstens mit China sowie eventuell auch Russland sein. 

China nicht schwarz, nicht weiss

China habe die Welt verändert, sei weder schwarz noch weiss, so der Alt- Bundesrat. China sei für die Schweiz ein wichtiger Markt – für Schweizer Werkzeugmaschinen sogar der wichtigste Markt. Chinas Gebietsansprüche im Ausland hätten sich bisher praktisch auf Taiwan beschränkt. Aber, so fügte der Referent an, China betreibe Industriespionage auch gegen Schweizer Firmen. Einen ersten Gebietskonflikt habe es um die südchinesische See gegeben. China sei heute in vielen modernen IT-Technologien führend. Für die Schweiz sei es für den Wohlstand zentral, Marktzutritte zu sichern – also nicht defensiv abzuwarten, bis die EU Abkommen habe, sondern – wie beim Freihandelsabkommen mit Indonesien – Wettbewerbsvorteile zu erringen. Für die Schweizer Sicherheitspolitik sei die Flieger- und Flugabwehrbeschaffung und die wirtschaftliche Landesversorgung sehr wichtig. In seinem Wirtschaftsdepartement sei man sich der Verwundbarkeit und der Risiken bewusst gewesen. 

Wirtschaftliche Landesversorgung

Bezüglich der wirtschaftlichen Landesversorgung sprach Johann Schneider-Ammann von «unterschätzten Pfeilern für Sicherheit.» Als «Verwundbarkeiten für die Versorgung der Schweiz» nannte er die Importabhängigkeit, die fehlenden Rohstoffe und die Abhängigkeit von Infrastrukturen wie Strom, Logistik sowie die Informations- und Kommunikations-Technologie. Weitere Verwundbarkeiten neben Infrastrukturausfällen seien die klimatischen und ökologischen Risiken, machtpolitische Spannungen in Herkunftsstaaten, Streiks und Boykotte sowie Pandemien, also Seuchen und Epidemien grossen Ausmasses. «Wir wissen, wie abhängig wir sind. Wir sind aber in der Lage, unser Land zu vorsorgen – jedoch nicht auf dem jetzigen Niveau. Unser Acht-Millionen-Volk muss sich demnach bescheiden geben, und die Landwirtschaft muss selbsttragender werden», so der Bundesrat im Ruhestand. 

«Die Schweiz ist gewappnet»

«Die Schweiz ist gewappnet», so der ehemalige Schweizer Wirtschaftsminister, der die wichtigsten Erfolgs-Elemente aufzählt: «Stabile Institutionen, Vertrauen, gemeinsame Normen und Werte als Kitt einer Gesellschaft.» Die Schweiz sei ein «Petit Paradis» unter anderem wegen direkter Demokratie, Föderalismus, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und wirtschaftlicher Offenheit, so der Referent, der die Wichtigkeit der Freiwilligkeit in der Schweiz herausstreicht – also die zentrale Rolle des Milizsystems in Politik, Vereinen und Militär. Nachdem Johann Schneider-Ammann Fragen aus dem Publikum beantwortet hat, dankt ihm der Präsident der Offiziersgesellschaft Langenthal und Umgebung, Christoph Kuert, für das «spannende Referat» und für all das, was er als Bundesrat für die Schweiz geleistet hat. 

Offiziersgesellschaft Huttwil dabei

An der dem Referat folgenden 171. Vereinsversammlung heissen die anwesenden Mitglieder sämtliche Anträge des Vorstandes gut. Dieser darf neu auf die tatkräftige Unterstützung von Peter Bühler und Trix Müller zählen. Erneut verdankt wird das Engagement des ehemaligen Präsidenten Major Christoph Schärer, der den Vorstand zuletzt noch als Beisitzer unterstützte. Der Verein will die aufgebaute Zusammenarbeit mit der Offiziersgesellschaft Huttwil sowie den Stadtschützen Langenthal weiterführen. 

Dem aktuellen Vorstand der Offiziersgesellschaft Langenthal und Umgebung gehören an: Hauptmann Christoph Kuert (Olten) als Präsident, Oberleutnant Christoph Zaugg (Langenthal) als Vizepräsident, Hauptmann ausser Dienst André Sommer (Langenthal) als Sekretär, Oberleutnant ausser Dienst Peter Bühler (Langenthal) als Kassier sowie das Beisitzer-Trio Oberstleutnant ausser Dienst Helena Morgenthaler (Langenthal), Oberleutnant Trix Müller (Herzogenbuchsee) und Oberleutnant Urs Kohler (Aarwangen).  

Von Hans Mathys