• «Das ist meine Welt!» – Der 12-jährige Jeremy Birchmeier vor der Bühne der Thunerseespiele, in welchen er als Darsteller mitwirkt.Bilder: Liselotte Jost-Zürcher/zvg

18.07.2019
Oberaargau

Jeremy Birchmeier: «Ich bin Musical!»

Vor einem Jahr träumte er davon, jetzt ist es wahr: Der 12-jährige Jeremy Birchmeier aus Oberbipp steht auf der Bühne der Thunerseespiele, spielt den ebenfalls 12-jährigen frechen Florian und bedauert im Moment nur eines: Dass er nicht noch viel öfters auftreten darf, denn wegen dem Jugendschutz muss er seine Rolle mit zwei Kollegen teilen. 14-mal aber werden es insgesamt sein, dass Jeremy die gesamte (professionelle) Crew in «Ich war noch niemals in New York» begeistert.

 

THUN / OBERBIPP · Die Entscheidung fiel erst kurz vorher, wer an der Vorpremiere und an der Premiere die Rolle des Florian spielen würde: Jeremy Birchmeier oder einer seiner Kollegen, Fabio Guillelmon oder Linus Niederhauser. Beide Male war es Jeremy, ebenso bei der Coop Preview Vorstellung. Nicht von ungefähr hielt eine Lokalzeitung deshalb fest: «Er ist der Ehrgeizigste unter den Dreien.» Als er nach der Premiere die Garderobe betrat, war diese voller Geschenke für ihn, und von überall her wurde ihm gratuliert: «Du hast es super gemacht!» «Das war der schönste Moment überhaupt», sagt der aufgeweckte 12-Jährige gegenüber dem «Unter-Emmentaler». Obwohl das Ereignis, auf der Thuner Seebühne mitspielen und -singen zu dürfen, an sich schon fast nicht mehr zu toppen sei. 

Bei «Ewigi Liebi» springt der Funke

Ein Naturtalent mag er sein («das Schauspielerische habe ich von der Mutter geerbt, das Musikalische vom Vater»), geschenkt aber wurde ihm allerhöchstens die Chance, sich bewerben und beim Casting mitwirken zu dürfen. 

Seit er vierjährig ist, fasziniert ihn die Schauspielerei. Das war, als er mit seiner Familie das Musical «Ewigi Liebi» besuchte. «Das gefiel mir so gut, dass ich das auch wollte.» Während sich anfangs der Schulzeit die Eltern der Gleichaltrigen nach geeigneten Sport- und Freizeitclubs für ihre Jungmannschaft umsahen, suchte Sandra Birchmeier nach einer Theaterschule. In der Musikschule Langenthal wurde sie fündig. Seit vier Jahren besucht ihr jüngster Sohn nun in Herzogenbuchsee die Kinder-Theaterschule der Musikschule Langenthal. Während er hier eine dem Alter angepasste Ausbildung in Sprache, Mimik und Chorsingen aufbaut, suchte er aber früh schon eigene Wege, um dorthin zu kommen, wo er dereinst kommen will. 

Schauspieler sind «seine Welt»

Längst kennt er zahlreiche Schauspielerinnen und Schauspieler, zählt ohne anzuhalten Fabienne Louves, Gigi Moto, Monica Quinto, Sandra Studer und viele mehr auf, fragt fast atemlos: «Möchten Sie noch mehr wissen?»  Sein grosses Vorbild sei Kerstin Ibald, welche die Hauptrolle der Lisa in «Ich war noch niemals in New York» spiele.

Mit seiner Familie besucht er Musicals, wo immer solche stattfinden. «Anschliessend will meine Mutter jeweils nach Hause gehen, aber ich nicht. Ich will die Darstellenden treffen.» Mutter Sandra Birchmeier schmunzelt: «Das ist seine Welt. Egal, wo in der Schweiz wir welches Musical besuchen: Sofort tönt es aus irgendeiner Ecke: ‹Oh, Jeremy ist auch da!›» Jetzt also ist er Teil der Thunerseespiele, die nicht zuletzt dank der traumhaften Kulisse seit Jahren Besucher aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland herlocken, und die mit qualitativ und aufwandmässig höchster Messlatte durchgeführt werden. «Die Darstellenden sind wie eine Familie, und Jey gehört einfach dazu», so die Mutter.

Vor einem Jahr lief «Mamma Mia!» über die Seebühne, ein fast unschlagbarer Klassiker. Mit – selbstverständlich – Jeremy auf der Zuschauertribüne und mit ihm – ebenso selbstverständlich – anschliessend unter den Darstellenden, die er so sehr bewunderte und beneidete. 

Kurze Zeit später, in einem Musical-Camp, erfuhr er, dass für «Ich war noch niemals in New York» 2019 ein Bub gesucht werde. Augenblicklich bewarb er sich, wurde dann auch für das Casting zugelassen. Das war im September 2018. Am 15. November fand das Casting statt. Jeremy hatte das Solo, das einst seins sein würde, auswendig gelernt, ebenso die Szene davor. Alleine, ohne irgendwelche professionelle Unterstützung. Er überzeugte die sehr strenge Jury. Einen Tag später hatte er die Zusage, und mit ihm zusammen zwei weitere glückliche Buben. Denn wegen dem jugendlichen Alter musste die Rolle dreifach besetzt werden.

Zwischen Schule und Bühne

Die Zeit danach war ausgefüllt mit Auswendiglernen, mit «sich in die Rolle hineindenken», Singen, aber ebenso mit den Ansprüchen der Primarschule. Denn wie für alle 6.-Klässler ging es auch bei Jeremy um den Übertritt in die Sekundarschule. 

Allerdings: «Wir haben uns schon vor der Bewerbung bei den Thunerseespielen mit der Schule abgesprochen, haben sie von Anfang an ins Boot geholt», so die Mutter. Jeremy selbst stellt fest: «Die Schule ist uns mega entgegen gekommen.» Am 20. Mai dieses Jahres fand die erste Probe statt. Eine Woche lang wurden musikalische Proben im Seespielhaus durchgeführt, danach folgte das Szenische und Choreographische in der Curlinghalle Thun. Mitte Juni stand die ganze Crew bereits auf der Seebühne. Ab diesem Moment drangen Musik und Lieder durch die weite Gegend und über den See. Intensiv, zwei bis drei Stunden pro Tag und drei bis vier Tage pro Woche, wurde gesungen, getanzt, gespielt. 

Die Familie Birchmeier pendelte zwischen Oberbipp und Thun hin und her, Jeremy selbst widmete sich mit unsäglicher Begeisterung den Herausforderungen von Schulbank und Seebühne. Das Kunststück gelang, dass er in der Schule nur wenige Lektionen ausfallen lassen musste.

Ferien oder Heimat

Inzwischen weiss der junge, sehr ehrgeizige Charmeur genau: «Ich bin nicht Schauspieler, ich bin Musical!»  Musical-Darsteller zu werden sei auch sein Berufsziel. Über 40 Minuten lang singt und spielt er an jedem Spielabend. Am liebsten hat er sein Solo mit dem Udo Jürgens Lied «Mit 66 Jahren».

Seit Anfang dieser Woche hat das Pendeln zumindest für ihn und für die Mutter ein Ende: Die Eltern und Jeremy weilen für vier Wochen in Gwatt. Im Moment, bis zu seinen Sommerferien, geht der Vater von hier aus zur Arbeit. «In diesem speziellen Sommer gönnen wir uns diese Ferien», sagt die Mutter. «Ich nenne es nicht Ferien, ich nenne es Heimat», sagt der Sohn mit einem Seitenblick auf die Seebühne.

Gut zu wissen: Die Thunerseespiele 2019 «Ich war noch niemals in New York» dauern noch bis am Samstag, 24. August. An der Dernière wird als Florian ebenfalls Jeremy Birchmeier auf der Bühne stehen. Er spielt zudem an folgenden Daten: Donnerstag, 25. Juli, Mittwoch, 31. Juli, Freitag, 2. August, Donnerstag, 8. August, Mittwoch, 14. August, Mittwoch, 21. August und Samstag, 24. August. www.thunerseespiele.ch

Von Liselotte Jost-Zürcher