• Die Huttwiler bedanken sich bei den mitgereisten Fans. · Bild: Marcel Bieri

  • Da war die Welt noch in Ordnung. Huttwils Michael Ruch bejubelt den Weitschuss-Treffer von Patrick Meyer zur 1:0-Führung. · Bild: Marcel Bieri

  • Huttwils Trainer Daniel Bieri (links) und sein Assistent Alain Sägesser dürfen auf eine gelungene Saison blicken, welcher bloss die Krönung verwehrt blieb. · Bild: Marcel Bieri

29.03.2022
Sport

Meister der Herzen und tragische Helden

Bis fast zuletzt können sich die Hockey-Götter nicht entscheiden, wen sie zum Meister der dritthöchsten Schweizer Eishockeyliga küren wollen. 47,5 Sekunden vor Schluss trifft Eric Himelfarb zum 4:3 und macht Basel zum Meister. Nach dem dramatischsten Spiel ihrer Geschichte sind die Huttwiler Meister der Herzen. Ein «Trost-Titel», sportlich so wertvoll wie die echte Meisterschaft im Frühjahr 2011.

Eishockey: EHC Basel – Hockey Huttwil · Nie hat das Amateurhockey bessere, dramatischere Spiele gesehen als in diesem Final. Fünf Partien. Die Maximaldistanz. Und die Entscheidung fiel erst in der letzten Minute des fünften Spiels. Eigentlich hätte die Entscheidung erst in der Verlängerung fallen dürfen. Die Partie war vom Sportsender «MySports» live übertragen worden. Wenn die TV-Bilder zu Rate gezogen werden, ist zu erkennen, dass Huttwils Silvan Hess Sekunden vor der letzten Sirene, als die ersten Basler schon über den Titel jubelten, zum 4:4 traf. Wie eine Verlängerung geendet hätte, ist unklar. Und es ist nun mal so, wie es ist. Basel ist ein würdiger Meister und die Huttwiler sind würdige Verlierer.

Alles richtig gemacht
Die Frage ist natürlich: Warum hatte es am Ende doch nicht gereicht? Huttwil legte zwei Siege vor und verlor dann dreimal hintereinander. Musste es so kommen? Wann, wo und warum ist der Titel verpasst worden? Das sind die Fragen, die nun Präsident Heinz Krähenbühl, Sportchef Max Dreier, Trainer Daniel Bieri und die Spieler noch eine Weile beschäftigen werden. Die Antwort ist ganz einfach: Dieses starke Basel wäre nur mit Hilfe der Hockeygötter zu bezwingen gewesen. Die Huttwiler haben alles richtig gemacht, alles versucht, alles gegeben und am Schluss hat es gegen einen starken Gegner nicht gereicht. Es gibt drei Sieger: Erstens den EHC Basel als Meister, zweitens die Huttwiler als Meister der Herzen und drittens das Eishockey. Fünf intensive Finalpartien auf höchstem Niveau, voller Dramatik, mit überraschenden Wendungen – und jederzeit fair. Und geleitet von hervorragenden Schiedsrichtern, die es den Spielern überlassen haben, die Entscheidung herbeizuführen.

Der zweite Treffer zu Beginn fehlte
Hätte Hockey Huttwil diese Partie und den Titel auch gewinnen können? Natürlich wäre das möglich gewesen, denn das entscheidende Tor fiel erst in der letzten Minute. Im Rückblick ist zu erkennen, dass die Entscheidung in dieser finalen fünften Partie in der Startphase gefallen ist. Die Huttwiler fanden schneller ins Spiel. Die Basler spürten die Belastung des Favoriten, von dem alle erwarteten, dass er vor eigenem Publikum den Titel holt. Mehr als 3500 Zuschauerinnen und Zuschauer waren gekommen. Gut 500 aus Huttwil. Nur dank einer guten Marketing-Idee waren so viele Baslerinnen und Basler gekommen: Wer ein Exemplar der «Basler Zeitung» vom gleichen Tag vorweisen konnte, kam gratis ins Stadion.
In der achten Minute erhielt Hockey Huttwil die erste Powerplay-Chance. Und Huttwils Topskorer Patrick Meyer verwertete das Zuspiel von René Bruni mit Direktschuss zum 1:0. Ein perfekt herausgespielter Treffer – und perfekt vollendet. Die Kuhglocken bimmelten im Fansektor der Huttwiler hinter dem Tor wie beim Alpabzug von der Lushütte. Aber Torhüter Fabio Haller verhinderte weitere Gäste-Treffer. Hätten die Basler einen Zweitore-Rückstand aufgeholt? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Doch in dieser Phase vergab Huttwil die Weichenstellung. Lucas Bachofner gelang das 1:1 (16.), bevor Zweifel und Hektik das Spiel der Basler beeinträchtigten.

Hoffnung keimte auf
Hockey Huttwil startete ins zweite Drittel in Unterzahl. Michael Lüdi musste kurz vor Ende des ersten Drittels wegen eines Bandenchecks auf dem Sündenbänklein Platz nehmen. 37 Sekunden nach der ersten Pause waren gespielt und Patrick Zubler traf im Powerplay zum 2:1. Auch dies war ein perfektes Tor. Es kam keine Entscheidung. Nicht einmal eine Vorentscheidung. Die tapferen Huttwiler gaben nicht auf. Sie hatten die Energie, um die Basler mit intensivem Forechecking immer wieder unter Druck zu setzen. Silvan Hess bezwang Fabio Haller zum 2:2. Und dann folgte die Szene, die so viel Hoffnung weckte: 53 Sekunden vor Schluss des zweiten Drittels überraschte Hannes Kobel den Basler Goalie-Titan zum 3:2. Der Puck schlug überraschend wie ein Blitz aus heiterem Himmel im Netz ein.

Routiniers entscheiden
Der Titel war so nah – und doch noch so fern. Die Huttwiler waren im ersten Drittel besser, im zweiten Drittel ebenbürtig – und nun wurde es im Schlussdrittel ein Spiel auf Biegen und Brechen. «Crunchtime». Im 45. Spiel der Saison. In keiner anderen Liga leisten die Spieler mit der Doppelbelastung Beruf/Eishockey so viel. Am Tag nach dem Final hatten nicht einmal alle Huttwiler frei.
Die Müdigkeit führte zu Konzentrationsfehlern. Bei beiden Mannschaften. Es war die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben. Es schien fast unmöglich, gegen dieses starke Basel den Vorsprung über die Zeit zu retten. Die Huttwiler machten alles richtig. Sie wurden nicht passiv. Sie suchten den alles entscheidenden vierten Treffer – und scheiterten an Fabio Haller. Diego Schwarzenbach gelang der Ausgleich (48.). Ausgerechnet die Oltner Legende mit dem Namen des Ortes, wo Huttwils Hockeytempel steht. Und 47 Sekunden vor Schluss traf Eric Himelfarb zum 4:3. Mit 39 der älteste Spieler in diesem Final. Es heisst, Erfahrung entscheide in den Playoffs. Torhüter Siro Nicola Wyss, der noch einmal eine grandiose Partie spielte, war völlig machtlos.

Besser als beim Titelgewinn 2011
Der EHC Basel ist Meister. Ein grosser Meister, denn die Basler mussten ein grosses Hockey Huttwil bezwingen. Nie zuvor haben die Huttwiler auf so hohem Niveau über einen so langen Zeitraum hinweg so gutes Hockey gespielt wie diese Saison. Der Titel von 2011 unter Alfred Bohren und mit Daniel Bieri, der damals noch Spieler war, ist höher zu bewerten: Ein Meister steht im Geschichtsbuch immer vor dem Zweiten einer Meisterschaft. Wenn aber die Qualität des Hockeys bewertet wird, dann war 2022 das beste Hockey der Huttwiler Sportgeschichte zu sehen. 2011 hiess die höchste Liga noch 1. Liga. Am Ende der Saison trugen die Sieger der drei Gruppen Westschweiz, Zentralschweiz und Ostschweiz eine Finalrunde aus. Aus den besten Teams der 1. Liga war 2017 die «MySports League» als nationale Amateur-Liga entstanden. Nun spielten die besten Amateur-Teams die ganze Saison untereinander und nicht mehr bloss in einer Finalrunde. Dadurch war das Niveau der gesamten Meisterschaft höher geworden. Hockey Huttwil hat 2021/22 die Qualifikation auf dem 2. Platz beendet, in den Playoffs den Final erreicht und dort Basel bis zum fünften Spiel gefordert: Es ist die beste Saison der Geschichte. Am Ende sind die Huttwiler tragische Helden, die für ihre Leistung nicht mit dem Titel belohnt werden. Aber es gibt einen Trost: Sie dürfen sich auf eine neue Saison in der MySports League freuen. Auf einen neuen Anlauf zum Meistertitel. Auf die Basler hingegen wartet in der Swiss League eine lange, harte Saison mit mehr als 25 Niederlagen. Die Basler sind sicherlich froh, dass es keinen Absteiger aus der zweithöchsten Liga geben wird.

Von Milena Zaugg