• Andrea Schemmel und Daniel Laubscher. · Bild: Gabriel Anwander

10.12.2019
Emmental

Neue Strategien zur inneren Entwicklung im ländlichen Raum

Wie kann mehr Raum für die wachsende Bevölkerung geschaffen werden, ohne weiterhin das knappe Kulturland anzugreifen? Diese Frage beschäftigt die Gemeinden im Emmental seit längerer Zeit. Drei Experten stellten in Langnau mögliche Strategien vor.

Emmental · «Wir brauchen Mittel und Wege, um den anhaltend steigenden Raumbedarf der Bevölkerung zu decken, ohne das knappe Kulturland weiter anzugreifen.» Walter Sutter, Präsident der Planungskommission der Regionalkonferenz Emmental brachte es in der Begrüssungsrede auf den Punkt.
«Zudem gilt es, in der Raumplanung langfristig zu denken, denn die Resultate betreffen immer auch künftige Generationen.»
Zahlreiche Vertreter der Gemeinden wie auch privat Interessierte waren vergangene Woche aus dem ganzen Emmental nach Langnau gereist, um die drei geladenen Experten anzuhören. Diese stellten neue Sichtweisen und mögliche Strategien vor, mit denen der angezeigte Wandel in der Siedlungsentwicklung im ländlichen Raum gemeistert werden könnte. Daniel Laubscher, Bereichsleiter der Regionalkonferenz Bern-Mittelland, empfahl gleich zu Beginn seiner Ausführungen: «Den Begriff innere Verdichtung sollten wir vermeiden. Verdichten klingt nach Enge, Zwang und verstellter Aussicht. Das weckt Widerstände.»

Mit Herzblut
Laubscher regte an, statt dessen das Bewusstsein für die Vorteile der inneren Entwicklung zu stärken. «Begegnungszonen erhalten eine höhere Bedeutung, neue Kulturräume entstehen, der öffentliche Verkehr wird optimiert, Einkaufsläden erweitern ihr Angebot. Ganz allgemein wird die Aufenthaltsqualität innerhalb der Siedlung gesteigert. Wir müssen den Menschen das alles vor Augen führen und zeigen, dass es möglich ist. Dazu braucht es viel Herzblut.»
Andrea Schemmel, Projektleiterin der Regionalkonferenz Bern-Mittelland, hatte die Gemeinden Golaten und Oberdiessbach auf der Suche nach Lösungen bei anstehenden, eher schwierigen Ausgangslagen begleitet. Schemmel listete ihre Erfahrungen auf, begründete sie mit Beispielen aus den beiden Ortschaften und stellte ihre daraus abgeleiteten Empfehlungen vor: «Die ganze Bevölkerung muss von Anfang an zur Teilnahme eingeladen werden. Gemeinsam müssen alle Bedürfnisse aufgelistet und daraus Ziele abgeleitet werden. Um aus den Zielen Vorschläge zu erarbeiten, braucht es Experten. Und Ängste, wie zum Beispiel die Forderung nach einem sicheren Schulweg, müssen ernst genommen und unter Umständen separat behandelt werden. Auch wenn nie die ganze Bevölkerung an den Anlässen teilnimmt, so muss doch immer die ganze Bevölkerung über den Stand der Dinge informiert werden.» Zum Schluss erklärte sie, andere Gemeinden könnten aus den Erfahrungen profitieren, denn ihre Fachstelle biete Hand zur Beratung.

Germanische Wurzeln
Maurus Schifferli, Landschaftsarchitekt, zeigte auf, dass die Wurzeln der Siedlungen im Emmental bei den Germanen liegen. Diese hätten offene Streusiedlungen angelegt. Dagegen seien die Städte oftmals von den Römern gegründet worden, und die hätten Häuser aus Stein gebaut und überall eine Mauer um die Stadt gezogen – gegen die da draussen. Bei der Raumplanung im Emmental sei es daher ratsam, sich auf die Herkunft dieser offenen Strukturen mit den Häusern aus Holz zu besinnen. «Gerade Langnau weist eine auffallend grosse Vielfalt von Holzbauten mit einer hohen Qualität auf», sagte er. «Das Verständnis gegenüber diesen Bauten und deren Anordnungen untereinander nimmt leider ab. Statt die bestehende Baukultur zu pflegen und zu erneuern, wird oftmals ein Gürtel um die Orte herum angelegt. Ein Gürtel aus anonymisierten, austauschbaren Zweckbauten. Bauten, wie man sie auf der ganzen Welt antrifft.»
Er hoffe, sagte er, künftig würden wir uns wieder vermehrt auf die gewachsenen Strukturen besinnen und Wohn- und Lebensräume erhalten, die Identität stiften. Gleichzeitig sollte die Landschaft darum herum der Spekulation entzogen werden, denn ihre primäre Funktion bestünde aus Land- und Waldwirtschaft; und nicht zuletzt sei sie ein Erholungsraum für alle.

Von Gabriel Anwander