• Rund um die Uhr für Sie da – ein Slogan, der auch beim Spital Region Oberaargau Herausforderungen birgt. Auch beim SRO fehlt es nämlich an Personal. · Bilder: Leroy Ryser

  • «Könnten wir mehr Personal einstellen, würden wir es tun.» · Timo Thimm

  • «Die Situation hat sich akzentuiert, weil das Sommerloch weggefallen ist.» · Lena Wilhelm

02.12.2022
Oberaargau

Neue Wege für das «alte» Angebot

Die Belastung beim Spitalpersonal ist gross, das Spital Region Oberaargau will nun Gegensteuer geben. Um das gleiche Angebot in gleicher Qualität wie zuvor anbieten zu können, braucht es in Zukunft Kreativität. Timo Thimm vom SRO sagt: «Wir müssen gewisse starre Denkweisen ablegen und neue Wege gehen.» Per Dezember wird ein erster solcher Versuch gestartet.

Es ist eine Aussage, die in der aktuellen Zeit nicht überrascht. Timo Thimm, Leiter der medizintechnischen Dienste und der Akutpflegestation im Spital Region Oberaargau, sagt: «Wir sind am Limit. Könnten wir mehr Personal einstellen, dann würden wir es tun.» Die hohe Belastung des Spitalpersonals sei in mehreren Situationen spürbar. In Teamsitzungen wird sie zum Ausdruck gebracht, krankheitsbedingte Ausfälle mehren sich und insbesondere administrative Arbeiten hinken oft hinterher, weil andere Arbeiten höhere Prioritäten geniessen. Auch deshalb musste das SRO zwischen Mai und Oktober die Anzahl Betten reduzieren, um überhaupt noch betriebsfähig zu sein, seit dem 17. Oktober schafft das vorhandene Personal «gerade so» die Vollbelegung mit über 130 Betten auf den verschiedenen Abteilungen. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage bei den Mitarbeitenden habe zwar gezeigt, dass die Stimmung verglichen mit anderen Spitälern zwar noch gut sei, auch wird festgestellt, dass die Einsatzbereitschaft wirklich gross und spürbar sei, erklärt Thimm weiter, die (zu) hohe Belastung nehme man aber sehr ernst. «Die Situation hat sich auch akzentuiert, weil in diesem Jahr das Sommerloch weggefallen ist», sagt Lena Wilhelm, Ressortleiterin der Akutpflege. Während in anderen Jahren die Arbeitsbelastung im Sommer tiefer war, habe man davon nun nichts gespürt, schliesslich mussten sogar noch Betten abgebaut werden, weil Personal und nicht etwa Patienten fehlten. «Während wir früher vorausplanen konnten, konzentrieren wir uns aktuell darauf, von Tag zu Tag zu planen.» Dass die Belegschaft weiterhin eine grosse Flexibilität zeige und einspringe, wo immer es möglich sei, mache sie stolz, sagen die beiden. Die Dankbarkeit gegenüber dem Personal sei dementsprechend wirklich gross.

Wertschätzung ist wichtig
Marktübliche Lohnanpassungen werden zwar gemacht, darüber hinaus sind dem SRO aber die Grenzen der Rentabilität gesetzt. Umso mehr will das Langenthaler Spital auf sogenannte Soft-Faktoren eingehen. «Die Wertschätzung von Vorgesetzten ist ein wichtiges Thema. Wir sind froh, dass wir unsere Mitarbeitenden haben. Wir sind stolz auf sie. Das versuchen wir immer wieder zu betonen.» Natürlich brauche es auch einen angemessenen Lohn, abgesehen davon versuche man aber explizit das Zusammengehörigkeitsgefühl zu steigern. «Auch ich war in letzter Zeit zwischendurch wieder im OP, um Kollegen zu entlasten», nennt Timo Thimm ein Beispiel. Das hebt zwar die Moral, ändert aber nicht viel daran, dass sich seit Jahresbeginn rund 2500 Überstunden bei etwa 200 Mitarbeitenden angesammelt haben. Über 100 Dienste wurden zudem kurzfristig, beispielsweise wegen krankheitsbedingten Ausfällen, vom bestehenden Personal übernommen, um den Betrieb sicherzustellen.
Dass das SRO im vergangenen September gleich mehrere Lehrabgänger behalten konnte, habe die Lage immerhin ein bisschen entspannt. Allgemein sei es aber sehr schwierig, neues Personal zu rekrutieren. «Der Markt ist ausgetrocknet», sagt Timo Thimm und meint damit nicht nur jenen in der Schweiz. Denn: «Früher konnten wir, wenn wir Engpässe hatten, auf deutsche Fachkräfte zurückgreifen, die gerne in die Schweiz kamen. Das ist aber nicht mehr ganz so einfach.» Das liege nicht zuletzt auch an der Bezahlung, die in Deutschland etwas verbessert wurde.

Mitarbeiter-Pool zur Entlastung
Dass sich diese Ausgangslage zeitnah ändert, ist kaum realistisch. Auch deshalb will das SRO neue Wege gehen. Als erster Schritt wurde nun ein Mitarbeiterpool gegründet, um an zusätzliches Personal heranzukommen. «Die Idee ist, dass die Mitarbeitenden uns sagen, wann sie Zeit haben, um zu arbeiten und wir entscheiden dann, wo wir sie ihren Fähigkeiten entsprechend einsetzen wollen», sagt Lena Wilhelm. Ein Aufgebot braucht es aber nicht, denn: «Wer Zeit hat, darf automatisch kommen.» Oder anders gesagt: Die angebotene Arbeitszeit ist direkt garantiert. Bevor nämlich zusätzliche Arbeitseinsätze abgelehnt werden, wird eher dem allgemeinen Personal das Kompensieren von Überzeit ermöglicht, um Energie zu tanken.
Aktuell befinden sich fünf Personen in diesem Mitarbeiterpool, der erste solche Arbeitseinsatz sollte am 1. Dezember stattfinden. «Das Ziel wäre es natürlich, 20 oder mehr Personen in diesem Pool zu haben. So können wir sicherstellen, dass wir bei Engpässen genügend Personal haben», sagt Timo Thimm. Dementsprechend wird nach weiteren potenziellen Mitarbeitenden für dieses Angebot gesucht. «Gerade für Rückkehrer oder Mütter kann dieses Angebot interessant sein. Wenn beispielsweise nur eingeschränkt Zeit vorhanden ist, richten wir uns nach ihnen», sagt Lena Wilhelm. In den kommenden Tagen werden diesbezüglich noch vereinzelt Dossiers geprüft, weitere Bewerbungen für den Mitarbeiterpool nimmt das SRO aber weiterhin nur zu gerne entgegen. Als Anreiz wird ein Arbeitseinsatz, neben dem Stundenhonorar, mit einem Beitrag von 100 Franken entschädigt.

Mehr Teilzeit und familienfreundlicher
Ein weiteres Projekt, das sich noch in der Vorbereitungsphase befindet, ist der sogenannte «Familien-OP». Dieser OP wird nur zu gewissen Zeiten in Betrieb sein, in denen beispielsweise Familienväter oder -mütter Zeit haben, weil ihre Kinder in der Schule oder dem Kindergarten sind. «Auf diese Weise würde ermöglicht, dass Mitarbeitende weniger Stunden pro Tag arbeiten müssen.» Die Etablierung eines solchen Angebotes sei aber nicht nur einfach, auch weil starre Denkweisen weiterhin vorherrschen. «Teilzeit ist bei uns noch eher weniger ein Thema», sagt Timo Thimm und begründet dies mit der Rund-um-die-Uhr-Abdeckung. «Wir haben täglich drei Schichten. Wenn jemand nur 50 Prozent arbeitet, brauchen wir zwei Personen für eine Schicht. Das sorgt dafür, dass wir doppelt so oft eine Übergabe machen müssen und hier befürchten viele einen Qualitätsverlust gegenüber den Patienten.» Die Frage stelle sich aber, ob ein Mitarbeiter, der ausgelaugt und müde ist, nicht doch besser durch zwei Mitarbeitende ersetzt wird, die bei erhöhtem Aufwand immerhin gesünder und ausgeruhter sind.
Sich neu erfinden – das sei selbst nach der Covid-Krise, welche eine hohe Flexibilität vom Personal forderte, nicht einfach. «Manchmal bedeutet es, dass wir einfach mal machen müssen. Einfach mal etwas Neues testen», sagt Timo Thimm. Das wolle man künftig mehr tun, um die Personalknappheit zu bekämpfen. Derweil wolle man aber eines nicht vergessen, sagt Lena Wilhelm: «Wichtig ist es auch, nicht nur neue Arbeitskräfte zu suchen, sondern auch zu den bestehenden Arbeitskräften Sorge zu tragen.» Ein offenes Ohr könne hier schon helfen, allgemein habe auch hier wieder vieles mit Dankbarkeit zu tun. Und diese wolle man auch weiterhin gegenüber den Mitarbeitenden so oft wie nur möglich zeigen.

Von Leroy Ryser