• Mit seinem Handy behält Jürg Oberli seinen automatischen Stall unter Kontrolle. · Bild: Thomas Peter

07.04.2022
Emmental

Nicht alles läuft automatisch und von alleine

Der Stall im Bauernhaus entsprach nicht mehr den Tiervorschriften – zu wenig Platz. Die rund 30 Kuh-Plätze zu vergrössern war keine Option, da der Heimatschutz dies nicht erlaubte. So musste sich Jürg Oberli aus Grünen vor rund acht Jahren entscheiden: Einen neuen Stall neben dem Bauernhaus bauen oder die Milchproduktion aufgeben.

Grünen · «Es hing an einem seidenen Faden, und wir hätten die Milchproduktion aufgegeben», erzählt Jürg Oberli. Denn die Finanzierung für einen neuen Stall in dieser Grösse von rund 75 Plätzen steht nicht von heute auf morgen und hohe Schulden waren vorprogrammiert. Doch Oberlis fanden einen Weg und bauten neben dem Bauernhaus einen Laufstall. «Die meisten Reaktionen waren positiv, viele beglückwünschten uns zu unserem Mut, so gross zu bauen. Einige dachten wohl auch, die spinnen», erzählt der Bauer. «Das Ziel dabei war, dass wir unseren Milch- und Ackerbaubetrieb selbst bewirtschaften können. Unsere drei Kinder waren zu der Zeit schon erwachsen und auswärts tätig und es war absehbar, dass meine Eltern mit der Zeit auch nicht mehr helfen können.»

Automatischer Stall
Den neuen Laufstall statteten sie mit einem Fütterungs-, Melk- und Entmistungsroboter aus. Alles läuft automatisch – oder doch nicht ganz? «Es gibt schon einige, die glauben, wir hätten nun keine Arbeit mehr und alles laufe von selbst», lacht der 57-Jährige. Es stimmt, der Fütterungsroboter, der rund 500 Kilogramm Futter fasst,  mischt zehn bis zwölf Mal am Tag das Futter und verteilt es. Aber das Futter für die Mischung kommt nicht von selbst in die Tenne. Der Entmister verrichtet seine Arbeit auch mehrmals täglich, und doch muss ab und an von Hand runtergewaschen und die Liegeboxen neu eingestreut werden. Der Melkroboter, bei dem sich die Kühe im Durchschnitt drei Mal pro Tag melken lassen, verrichtet seine Arbeit ebenfalls automatisch. Aber ein Rind, das zum ersten Mal kalbt, muss erst an den Roboter gewöhnt werden. Die Kälber müssen getränkt, die jungen Rinder im Bauernhaus auch versorgt werden. Die rund 70 abkalbenden Tiere pro Jahr müssen ebenfalls betreut werden. Füttern, Melken und Misten – das machen die Roboter. Das spart Zeit für alles andere. Oberlis Betrieb besteht aus rund 75 Kühen und 65 Rindern und Kälber. Oberlis betreiben Milchwirtschaft und Ackerbau.

Ohne Handy geht nichts
All das Automatische behält Jürg Oberli über sein Handy im Auge. Die Mischungen für die laktierenden Kühe, Galtkühe und Rinder programmiert er auf dem Handy. Er kann einsehen, wie oft gefüttert, wie oft gemolken wurde, brünstige und kranke Tiere sowie Störungen werden angezeigt. Mit den installierten Kameras behält er auch ausserhalb des Stalles jederzeit alles im Blick. «Ohne mein Handy geht nichts, das ist immer bei mir. Einzig beim Duschen habe ich es nicht dabei», lacht der sympathische Bauer. Jürg Oberli ist zufrieden mit seinem Stall und würde wieder so bauen. Momentan beschäftigen sie einen Angestellten auf ihrem Betrieb. Sie selbst gehen beide noch auswärts arbeiten. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren im Nebenerwerb an verschiedenen Orten für ein bis zwei Tage pro Woche. «Das gibt mir einen Ausgleich zum Alltag und ich kann so auch noch was anderes sehen. Das ist mir wichtig», erzählt er. Seine Frau arbeitet in einem Gärtnereibetrieb und im Party Service.

Projekt A2/A2 Milch
Trotz der modernen Einrichtung, Jürg Oberli ruht sich nicht aus. Er hat vor rund drei Jahren ein neues Projekt gestartet, züchtet seinen Bestand auf die A2/A2 Milch hin. Diese Milch weist Beta-Kasein A2 auf und soll somit punkto Laktose besser verträglich für die menschliche Verdauung sein. Dies ist genetisch in der Kuh verankert. Genau auf diese Milch züchtet Jürg Oberli. Jedes Tier wird genetisch getestet und nur noch solche Genotyp-Stiere zur Zucht gebraucht. «Ich rechne damit, in rund eineinhalb bis zwei Jahren unsere Milch zu 100 Prozent umgestellt zu haben», berichtet er. Ein langer und kostspieliger Prozess, dennoch ist er überzeugt, dass sich dieses Projekt auszahlen wird, denn viele Menschen hätten mit Laktose-Intoleranz zu kämpfen. Alles in allem ist Jürg Oberli mit viel Herzblut Landwirt. Dennoch beschäftigt ihn etwas: «Es wäre wünschenswert, wenn die Bevölkerung uns Bauern gegenüber wieder etwas mehr Wertschätzung entgegenbringen würde. Wir haben strenge Richtlinien, müssen und halten uns daran. Wir geben tagtäglich unser Bestes, für den Kunden beste Ware zu produzieren», sagt der Bauer zum Abschluss.

Von Marianne Ruch