• Er wäre bereit, doch die Kundschaft fehlt: Carunternehmer Olivier Lustenberger aus Madiswil hat die Corona-Krise mit voller Wucht getroffen. · Bilder: Walter Ryser

  • Ferien in der Schweiz sind diesen Sommer angesagt – beispielsweise am Thunersee.

08.05.2020
Emmental

Nicht das Reisen, sondern das Wandern ist des Schweizers neue Lust

Das Wandern im eigenen Land wird diesen Sommer des Schweizers neue Lust sein. Was für Herr und Frau Schweizer genauso entspannt und vergnüglich sein kann wie ein Abstecher ans Meer, dürfte für die hiesige Reisebüro-Branche alles andere als ein Vergnügen darstellen, bringen doch die zu erwartenden Ausfälle bei den Ausland-Ferienreisen die regionalen Reise- und Tourismusanbieter in existenzielle Schwierigkeiten.

 

Reisebüros · «Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein», hat der deutsche Liedermacher Reinhard Mey einst gesungen. Doch über den Wolken werden sich diesen Sommer nur wenige befinden. Denn das Coronavirus hat die Flug- und Reisebranche komplett lahmgelegt. Reisen ins Ausland oder Ferien am Meer werden diesen Sommer vermutlich nur ganz   wenige Wagemutige absolvieren. Zu wenige, um einen kleinen Hoffnungsschimmer in die aktuell sehr düstere Stimmung der Reisbüros zu zaubern. Wir haben uns bei den regionalen Anbietern umgesehen.
Das Wort Zukunfts-Angst nimmt er nicht direkt in den Mund, aber es ist aus den Worten von Markus Bortolotti deutlich herauszuhören. Dem Inhaber des Reiselade in Huttwil macht die Situation zu schaffen. «Wenn ich höre, dass Experten davon sprechen, dass Langstreckenflüge vermutlich erst im Herbst 2021 wieder regelmässig angeboten werden, dann ist das Überleben vieler Reisebüros ernsthaft gefährdet», sagt Bortolotti und meint damit auch sein Geschäft, das auf Kuba-Reisen spezialisiert ist. Die Nachfrage nach Kuba-Reisen sei auf einen Schlag um fast 90 Prozent eingebrochen, erzählt der Reiselade-Inhaber. Gleichzeitig ist er aber überzeugt, dass die Reise-Trips in den mittelamerikanischen Staat nichts an Attraktivität einbüssen und weiter gefragt sein werden. «Die Frage ist bloss, wie lange können wir ausharren, bis die Nachfrage wieder steigt», bemerkt er, der in seinem Geschäft drei Personen beschäftigt (total 250 Stellenprozente). In dieser Lage mache man sich schon so seine Gedanken über die berufliche Zukunft, gibt er weiter zu verstehen, um gleich anzufügen: «In dieser Firma steckt so viel Herzblut und zudem bin ich seit über 20 Jahren in dieser Branche tätig und hier einfach zu Hause», macht Markus Bortolotti klar, dass er um seine Existenz und seine Leidenschaft kämpft.

Reisebüros haben keine Lobby
Existenz-Angst verspürt Hans-Peter Städelin keine, weil er sich bereits im Rentenalter befindet, aber zu schaffen mache ihm die Situation dennoch, sagt der Inhaber des Reisebüros Domino in Langenthal. Dabei verweist er auf die insgesamt fünf Personen, die im kleinen Unternehmen arbeiten. Seit 55 Jahren sei er in dieser Branche tätig, seit 43 Jahren Inhaber des Reisebüros Domino, aber so etwas habe er noch nie erlebt. Was ihn fast noch mehr ärgert als der Lockdown seines Unternehmens «ist die Tatsache, dass wir Reisebüros als Teil der Tourismusbranche viel zu wenig wahrgenommen werden. Wir verfügen über keine Lobby.» Dabei seien gerade Reisebüros seit vielen Jahrzehnten ein überaus treuer und zuverlässiger Dienstleister in dieser Branche.
Dass der kommende Feriensommer vermutlich mehrheitlich in der Schweiz stattfinden wird, möge er dem einheimischen Tourismus gönnen, sagt Hanspeter Städelin. Er ist überzeugt, dass wieder gereist wird, auch ins Ausland. «Die Frage ist bloss, wann und in welchem Ausmass.» Hier werde es zu schmerzhaften Zäsuren kommen, glaubt er und weist beispielsweise auf den Bereich der Kreuzfahrten hin. Das sei zuletzt ein überaus gutes Geschäftsfeld gewesen, «doch wer will bei dieser Ausgangslage in Zukunft mit vielen Hundert oder gar Tausenden von fremden Leuten mehrere Tage oder gar Wochen auf einem Schiff verbringen», fragt er. Nach einem Lichtblick tönt das auch bei Domino Reisen in Langenthal nicht gerade.

Ein kurzes Car-Abenteuer
Von einem totalen Stillstand spricht auch Christoph Reist von Reist Reisen in Wasen. Das auf Car-Reisen spezialisierte Unternehmen hat bis Ende Juni alle Reisen abgesagt. Das schmerzt ihn, denn man sei gut ausgelastet gewesen, erwähnt der Firmeninhaber, der zusammen mit seiner Frau Gerty die Firma führt und rund 20 Mitarbeiter beschäftigt. Mehr als die aktuelle Situation mache ihm die Ungewissheit, was nach der Corona-Krise folge, zu schaffen. Immerhin zähle man auf eine treue Kundschaft, die grosses Verständnis signalisiere, aber auch versichere, dass man wieder mit Reist Reisen Ausflüge und Ferien planen werde. Christoph Reist ist sicher, dass es plötzlich schnell gehen könnte. «Es ist wichtig, dass man rasch reagieren kann. Das wird von uns allen einen Effort erfordern», gibt er zu verstehen. Doch man sei bereit, mit den Cars sofort loszufahren, sollte die Nachfrage ab Herbst wieder steigen.
Bereits das ganze Jahr abgeschrieben hat dagegen Olivier Lustenberger. Ihn trifft die aktuelle Krise ungebremst und mit voller Wucht. Der Madiswiler hat letztes Jahr sein Bodenbelägegeschäft verkauft und mit Lustenberger Reisen eine neue Firma gegründet. Damit hat er sich einen Traum erfüllt. Der leidenschaftliche Carfahrer hat einen neuen, topmodernen Car angeschafft und ist voller Enthusiasmus zu einem neuen beruflichen Abenteuer aufgebrochen – das allerdings nur knapp dreieinhalb Monate dauerte. Seit Mitte März habe er keinen Franken Umsatz mehr gemacht. Lustenberger ist nicht bloss deshalb frustriert: «In den Monaten März und April präsentierte sich die Auftragslage hervorragend», sagt er.
Wäre die Situation alleine nicht schon schlimm genug, kommt noch hinzu, dass er mit seinem Unternehmen durch alle behördlichen Parameter fällt und keinerlei Anspruch geltend machen kann (weder Kurzarbeit noch einen Überbrückungskredit). «Ich lebe auf Sparflamme und versuche Kosten zu reduzieren, wo ich nur kann», erwähnt er. Das bedeutet im Klartext: Der 59-jährige Olivier Lustenberger und seine Frau leben aktuell von ihrem Ersparten.

Krise wird Opfer hinterlassen
Weggebrochen ist gleichzeitig auch ein weiteres Standbein, half er doch bei Überkapazitäten anderen Carunternehmen aus und fuhr gelegentlich auch ÖV-Busse. Weil jedoch auch hier die Fahrpläne angepasst und die Frequenzen gesenkt wurden, benötigt es weniger Chauffeure. Die Hoffnung auf eine rasche Besserung hat er aufgegeben. Er rechne nicht mehr damit, dass dieses Jahr noch viel gehen werde. Aufgeben will er nicht. Er konzentriere sich bereits jetzt auf das nächste Jahr, das er rechtzeitig planen und bewerben wolle. Die Geschichte, die so vielversprechend begann, darf laut Olivier Lustenberger kein solches Ende nehmen, gibt er sich kämpferisch.
Ungeduldig ist man auch in der Kuoni-Filiale in Langenthal, wie Leiterin Miriam Müller bestätigt: «Nachdem wir einen Monat lang fast ausschliesslich mit Stornierungen, Umbuchungen und Abklärungen beschäftigt waren, machen wir uns mittlerweile Gedanken darüber, wann wir endlich wieder unserem Traum vom Reisen nachgehen dürfen und warten sehnsüchtig darauf, unsere Kunden wieder in die Ferien schicken zu dürfen.» Miriam Müller glaubt, dass Touristik Suisse
gut aufgestellt ist und die Krise überstehen wird. Blauäugig sei man aber nicht und wisse, dass die Voraussetzungen für Ferien in entfernte Destinationen auch in den kommenden Wochen noch nicht gegeben seien. «Aber wir glauben fest daran, dass Auslandsreisen im Laufe des zweiten Halbjahres mehr und mehr wieder möglich werden.»
Kuoni und seine Schwestermarken hätten über 100 Reiseländer im Angebot – immer mehr davon werden laut Einschätzung von Miriam Müller in absehbarer Zeit wieder als Reiseziele für Schweizerinnen und Schweizer in Frage kommen. Zudem könne man auch Schweizer Reisen bei Kuoni buchen. Gleichzeitig ist sie aber auch überzeugt, dass die Krise Spuren in der Reisebüro-Branche hinterlassen wird und nicht jeder Anbieter überleben werde. Miriam Müller spricht von einer Konsolidierung, die stattfinden werde, und vermutet, dass man künftig vermutlich nicht mehr so günstig irgendwohin fliegen kann wie bisher. «Ich wünsche mir deshalb, dass wir als Gesellschaft künftig wieder bewusster reisen werden.»

Von Walter Ryser