• Peter Jakob ist auch für die SCL Tigers ständig auf Draht. · Bild: Daniel Gerber

30.10.2020
Emmental

«Ohne Zuschauer ist besser als gar nichts»

Am Mittwoch um 16.15 Uhr ist die Schweiz stillgestanden. Die Nation wartete auf den wegweisenden Corona-Bundesratsentscheid. Exklusiv war der «Unter Emmentaler» just zu diesem Zeitpunkt im Büro von Peter Jakob, dem Verwaltungsrats-Präsident der SCL Tigers und Geschäftsführer der Jakob AG.

Daniel Gerber im Gespräch mit Peter Jakob, Verwaltungsrats-Präsident der SCL Tigers.

Peter Jakob: Hat der Gesamt-Bundesrat jetzt Stadionverbot in Langnau?
(Lacht). Der gehört ja auch dazu, wenn keine Zuschauer hineindürfen.

Früher lautete eine beliebte Frage: «Was würden Sie tun, wenn Sie König der Schweiz wären?» – Heute lautet die Frage: «Was würden Sie tun, wenn Sie Gesundheitsminister der Schweiz wären?»
Ich masse mir nicht an, es besser zu können. Aber ich hätte gewünscht, dass der Bundesrat schon zehn Tage früher übernommen hätte und dass nicht eine solche Flickenpolitik entstanden wäre.

Wie trifft der Entscheid nun die SCL Tigers?
Sehr stark. Jede Massnahme hat uns getroffen. Die Reduktion der Zuschauer und der neuste Schritt nun natürlich noch mehr. Der einzige Trost ist, dass es alle Clubs betrifft, auch wenn die Bedingungen nicht überall gleich sind. Die Frage ist, wie gross der Rückforderungsanspruch im Frühling sein wird, weil wir die Leistung von Sponsoren und Ticket-Besitzern nicht haben erbringen können. Der Gastro-Betrieb bringt netto 700 000 Franken ein – jetzt legen wir drauf. Das ist unangenehm und belastend.

Sie ordneten bereits früh einen Ausländer-Stopp an – sind die Tigers gerade auch nach den neusten Entwicklungen das vernünftigste Team der Liga?
Wir haben bereits im Frühling gestoppt, weil wir zunächst Klarheit brauchten. Wir wollten uns nicht darauf verlassen, dass die Corona-Geschichte im Laufe des Sommers vorbei ist. Das war sicher richtig.

Ausländer wurden dann doch geholt – ohne dass ein Lohn bezahlt werden muss …
… nachdem klar war, dass es in Nordamerika erst im Januar weitergehen wird, sind Spieler via ihre Agenten
auf uns zugekommen, mit dem Ziel, dass die Spieler einfach spielen können, nur für Kost und Logis – und Spielpraxis. Wir haben den Eindruck, dass Erik Brannström dem Publikum Freude macht. Der Hockey-Journalist Klaus Zaugg schrieb damals, es sei wie ein Spiel für Männer, die immer diesem Drang erliegen, eben doch Ausländer zu verpflichten. Wenn wir das für 200 000 bis 300 000 Franken getan hätten, dann würde ich ihm zu 100 Prozent Recht geben. Doch es sind total rund 5000 bis 6000 Franken. Das ist zwar viel Geld, hätte – anders investiert – aber die Probleme nicht nachhaltig gelöst. Da gab Zaugg mir recht.

In das Schutzkonzept wurde viel investiert, im Moment nützen diese natürlich nichts … aber sie könnten später in der Saison wieder zum Zuge kommen?
Das Konzept konnte nur zweimal eingesetzt werden – das ist eine schwierige Situation. Niemand weiss, was im Januar ist. Es gab Meinungen, man soll bis Mitte Januar unterbrechen. Aber man weiss nicht, ob es dann viel besser ist. Diese ganze Corona-Geschichte bedeutet eine unglaubliche Ungewissheit für alle Firmen, die betroffen sind. Es drückt auf die Stimmung. Im Frühling war es ein Schock, alle sind erschrocken, die Leute hielten sich gut daran, danach wurde vieles aufgehoben, alle waren relativ frei, man ging in der Schweiz in die Ferien oder in die Nachbarländer. Jetzt, mit dem Anbruch der dunklen Jahreszeit, wirkt es wie ein Boomerang, die Zahlen sind schlimmer als im Frühling, alle sind überrascht.

Wie treffen diese Massnahmen Ihre Mannschaft?
Für kurze Zeit können wir ohne Zuschauer spielen. Das ist das Wichtigste. Der tiefst mögliche Level ist, ohne Zuschauer zu spielen wie am Dienstag. Das ist nicht gut, aber besser als gar nichts.

Also lieber Spiele ohne Zuschauer als ein Unterbruch?
Unbedingt. Damit man dem Sportler gerecht werden kann, es ist sein Beruf. Ein Unterbruch für zwei, drei Monate ist sehr schwierig. Wir können dadurch auch den TV-Vertrag und die Sponsoren, die man im TV sieht, zufriedenstellen.

Ist neben den SCL Tigers ist auch Ihre Firma Jakob Rope Systems in Trubschachen betroffen?
Hier in der Firma hatten wir im Frühling grosse Bedenken, 50 Prozent von unseren Produkten sind für den Export. Den grössten Einbruch erlebten wir in Frankreich. Aber in sehr vielen anderen Ländern sind wir recht gut unterwegs. Das Jahr ist für die Firma nicht so gut wie die Vorjahre, aber unter diesen Bedingungen sind wir zufrieden. Wenn in der Jakob AG die Hölle los wäre, wäre es für die SCL Tigers noch schwieriger.

Wann haben Sie zuletzt acht Stunden in Folge geschlafen?
Ich habe den Eindruck, dass ich es gut handlen kann. Wir haben eine intakte Familie, die Firma ist stabil und die neuen Leute bei den Tigers machen sehr viel Freude. Es ist nicht so, dass die Situation nicht belastet, aber ich kann es gut handlen.

Und wie gewappnet sind die Tigers für diese Situation?
Wir sind alle überrascht, damit hatten wir nicht gerechnet, vor einem Monat hielten wir das nicht für möglich. Was wir spüren, ist eine sehr grosse Solidaritätswelle bei Fans und Sponsoren. Wir sind uns aber bewusst, dass die Situation fadengerade ist: Wir machten Vorkasse für eine Leistung, die wir jetzt nicht bringen können. Wenn es so zu Ende geht, können wir 80 Prozent der Leistung nicht erbringen, sondern nur die TV-Beiträge, das ist rechtlich eine sehr klare Sache. Wenn jemand das Geld zurück will, dann gibt es da nichts zu diskutieren. Das ist ohnmächtig, wir haben keine Möglichkeit das zu ändern.

Krisen sind Chancen – trifft das jetzt in irgend einer Form auf die Tigers zu?
Seit dem Frühling sind die Clubs sehr stark zusammengerutscht bis auf Stufe der Geschäftsführer. Das läuft immer noch. Es gibt ein Paket von Reformen, die man angehen will, das betrifft die Löhne, Ausländer und den Modus von Auf- und Abstieg. Hier kann etwas zum Positiven seinen Niederschlag finden. Ohne Corona wäre das nicht möglich gewesen.

Was hören Sie von anderen Clubs?
Grundsätzlich betrifft es alle, der «ZSC», würde ich mal sagen, war mit Zuschauern am besten aufgestellt, sie mussten nichts umbauen, die Saisonkarten-Besitzer konnten alle reingelassen werden. Das Hallenstadion wurde zum Glücksfall. Mit Walter Frey und Peter Spuler sind zudem sehr starke Leute im Verwaltungsrat, die in der Lage sind, etwas «zu flicken», wenn es sein müsste.

Wie haben Sie die erste Welle erlebt?
Man stellte sich positiv darauf ein, es war ein kleiner Schock. Was unsere Behörden beschlossen hatten, fand ich sehr gut, die klaren Entscheide und die Idee, dass Firmen, die in Liquiditätsprobleme gerieten, schnell zu Geld kamen, das war weltweit sehr vorbildlich. – Jetzt in der zweiten Phase finde ich es nicht. Im Laufe des Sommers gab es Kritik, weil die Entscheidungsgewalt zu den Kantonen ging. Der Bundesrat hätte es früher in die Hände nehmen müssen. Das war sicher nicht gut.

Wie kamen Sie durch den Sommer?
Wir konnten hier in der Firma immer arbeiten, erst jetzt, seit zwei Wochen tragen wir Masken; man hat gelernt. Ich selbst reise seit dem Februar nicht mehr, das ist seit 20 Jahren nicht mehr passiert. Privat schränkte ich mich ein, aber ich habe es nicht als schlimmen Sommer in Erinnerung. Viel änderte sich nicht, man hat sich dreingeschickt. Wir sind – anders als in anderen Ländern – nie in Wohnblocks eingeschlossen gewesen, ohne rausgelassen zu werden.

Hatten Sie selbst schon Corona?
Nein.

Wird es die Tigers auch 2021/22 in der National League geben?
Es wird uns noch geben. Etwas anderes darf einfach nicht sein. Es gibt sehr viele Fragen, von denen wir nicht wissen, wie wir sie lösen werden. Aber wenn wir nicht daran glauben, müssten wir das jetzt sagen, alles andere wäre nicht fair. Die Fans sammelten schon im Frühling Geld. Bei jeder Firma, die das nicht überlebt, geht viel verloren. Jahrzehntelange gute Aufbauarbeit und Infrastruktur, die man aufgebaut hat. Ein neuer Aufbau in der 1. Liga wäre mehr Theorie als Wirklichkeit. Geht die erste Mannschaft verloren, kann man nicht mit ein wenig Gastro und Young Tigers weitermachen: Alle sitzen im gleichen Boot. Die Tigers bestreiten 40 Prozent der Miete in der Ilfishalle. Fallen wir weg, ist unklar, ob die Gemeinde sich noch Eis leisten würde. Auch sind wir der achtgrösste Arbeitgeber in Langnau, und keine Organisation zählt so viele Teilzeitarbeitsplätze wie die Tigers, gerade im Gastro sind es bis zu 200 Leute mit 5 bis 10 Prozent-Pensen. Und für Tausende Anhänger bedeuten die Tigers neben der Familie und dem Arbeitsplatz von September bis März, wenn die Tage kürzer sind, alles.
Unser Geschäftsführer in den USA stammt aus Argentinien. Er sagte mir einmal, dass, je schlechter es den Leuten geht, desto voller die Stadien sind, weil die Leute einmal für zwei, drei Stunden alles vergessen wollen.

Denken Sie, dass in der Schweiz mehrere Clubs gefährdet sind?
Ich sehe nicht genau in die Situationen der anderen Clubs. Gefallen ist das Wort der «Opfer-Symmetrie»: Es ist, möglich zu überleben, was ich ganz stark für Langnau hoffe. Das ist möglich, wenn in allen Bereichen ein Beitrag geleistet wird: Lohnreduktion, Goodwill der Fans und Sponsoren, TV-Vertrag, der wohl nicht gefährdet ist, und mindestens ein Teil die öffentliche Hand. Wir waren komplett schuldenfrei und hatten ein kleines Polster, sonst wäre es ungleich schwieriger. Nun die Frage: Gibt es Leute, die bereit sind, einen Beitrag zu leisten? Darlehen wären möglich, da wäre nicht die Verzinsung das Problem, sondern die Amortisation. Im Hockey, wo auf eine schwarze Null budgetiert wird, würde das heissen, dass, wenn zwei Millionen Franken Schulden in fünf Jahren zurückgezahlt werden müssen, 400 000 pro Jahr weniger zur Verfügung stehen – das ist sehr viel Geld.

Was bedeutet der Club für die Region und die Fans?
Wenn wir als Jakob Rope Systems verschwinden würden, wäre das dramatisch für die Arbeitsplätze, den Ort und die Lieferanten. Aber es wären nicht Tausende betroffen. Im Sport gibt es eine Verbindung, die nicht vergleichbar ist. Der Mix von Teenagern bis Grossvätern ist immer etwa gleich. Das Produkt ist auch in der heutigen Zeit sehr stark nachgefragt und aktuell, deshalb darf dies nicht untergehen. Es ist eine Lebensschule, man muss miteinander mit grosser Hoffnung ein schönes Ergebnis haben und den Sieg feiern, denn sehr oft verlieren wir leider. Man verarbeitet und akzeptiert die Niederlagen zusammen und umso schöner ist es, wenn man in ausverkauftem Haus den SCB schlagen kann. Nur wer weiss, wie Niederlagen gehen, weiss auch, wie man sich freuen kann. Für die Kunden unserer Firma geht es dagegen nicht um Höhen und Tiefen.

Es geht um Identifikation …
… wir sind ein Sportclub mit Fans, die sich mit Farben und Accessoires identifizierten, das ist komplett anders als eine ganz normale Firma. Manche Leute stehen im Stadion seit 50 Jahren auf dem gleichen Platz, es ist eine Seilschaft, der «Rüedu» steht vornedran und «Vreni» nebendran und dies schon seit 20 Jahren. Wenn ein geliebter Sportclub sang- und klanglos weg ist, ist nicht «nur» eine Firma weg. Es ist mehr als die Trauer für die Angestellten, bei einem solchen Sportclub ist es ganz anders. Das Fanverhalten und gemeinsam für etwas sein. Es ist auch anders als im Stadttheater –, dies braucht es auch, nicht jeder hat das gleiche Interesse – dort gibt es diese Gefühle nicht. Sondern es wird ein schöner, toller Abend erlebt, aber das Gefühl von Fan-Sein gibt es dort überhaupt nicht. Ebenso im Museum, dort sehe ich etwas Tolles, Neues und lerne etwas; werde aber nicht zum Fan.