• «Grundsätzlich würde ich eine zuweilen hart geführte politische Diskussion im Stadtrat nicht als «Eklat» bezeichnen.»

  • «Ich habe keineswegs die Lust am Amt verloren.» · Bilder: Thomas Peter

25.07.2022
Langenthal

Reto Müller: «Ich spüre eine gewisse Wachstumsskepsis in der Bevölkerung»

Der Langenthaler Stadtrat lehnt die vom Gemeinderat vorgesehene Entwicklungsstrategie «Areal Alte Mühle» ab und der SC Langenthal verabschiedet sich per Medienmitteilung von den Planungsarbeiten der neuen Eissportarena (der «Unter-Emmentaler» berichtete). Was ist los in der städtischen Politik, weshalb dauert die Umsetzung der vielen anstehenden Projekte derart lange? Langenthals Stadtpräsident Reto Müller (SP) hat dem «Unter-Emmentaler» einige kritische Fragen beantwortet.

Walter Ryser im Gespräch mit Reto Müller, Stadtpräsident Langenthal

Reto Müller, können Sie den herrlichen Sommer trotz mächtigen Gewitterwolken über dem Langenthaler Polithimmel geniessen?
Die abschliessende Beurteilung des Sommers kann wohl erst anfangs Herbst stattfinden. Bislang ist es sehr schön, sehr heiss und ein ab und zu reinigendes und Grundwasser bringendes, aber moderates Gewitter kann sicher nicht schaden. Dazwischen ist es wichtig, dass der Austausch untereinander weiter stattfindet und funktioniert, in diesen Tagen vorzugsweise bei einem kühlen Bier oder Mineralwasser (schmunzelt).

Ein politisches «Sommergewitter» losgetreten hat der Stadtrat, der an seiner letzten Sitzung die vom Gemeinderat vorgeschlagene Entwicklungsstrategie für das Areal der «Alten Mühle» abgelehnt hat, weil der Stadtrat befürchtet, dass man sich bei den vielen anstehenden Bauprojekten verzetteln könnte. Damit hat der Stadtrat dem Gemeinderat die Marschrichtung vorgegeben und ihn aufgefordert, bestehende Projekte voranzutreiben. Hat der Gemeinderat ein Führungsproblem, damit der Stadtrat derart heftig eingreifen muss?
Der Entscheid zur «Alten Mühle» reiht sich nahtlos in die bisherige Geschichte des Areals ein. Bereits in den 1980er- Jahren brauchte es beispielsweise zwei Abstimmungen, um die Stiftung «Alte Mühle» zu gründen, die Renovation zu beschliessen und deren erste Nutzung zu bestimmen. 2015 lehnte der Stadtrat eine erste Nutzungsstrategie für das Areal und nun letztlich die Verkaufsstrategie des Gemeinderats ab. Erstaunlich ist dabei, dass es ein liberaler Vorschlag des bürgerlichen Gemeinderats war, der vor allem von der bürgerlichen Parlamentsseite abgelehnt wurde. Der Gemeinderat hat kein Führungsproblem, obwohl wir zugegebenermassen sehr viele Projekte parallel bearbeiten. Ich denke eher, dass die Leistungsfähigkeit der 240 Personen starken Langenthaler Verwaltung zur Zeit etwas unterschätzt wird.

Wird die Langenthaler Stadtverwaltung damit zum Spielball der politischen Gremien?
So würde ich das nicht unbedingt formulieren. Aber klar, jeder parlamentarische Vorstoss löst etwas aus in der städtischen Verwaltung. Dessen dürfte sich der Stadtrat durchaus bewusst sein, so ist das System. Natürlich, ein negativer Entscheid des Stadtrates hat zur Folge, dass am Ende sehr viel geleistete Arbeitszeit ohne Ergebnis bleibt, die man im Nachhinein betrachtet, auch anders hätte verwenden können.

Aber es ist ja nicht nur der Stadtrat, der unzufrieden ist mit der Entwicklung in der Stadt, auch viele Bürger haben das Gefühl, in Langenthal trete man seit Jahren am gleichen Ort, sei es beim Umbau des Bahnhofs, beim Neubau einer Eissportarena, bei der «Alten Mühle» oder dem Markthallen-Areal. Täuscht dieser Eindruck?
Unzufriedene Bürgerinnen und Bürger begegnen mir sehr selten. Viele Menschen sind glücklicherweise sehr zufrieden mit der Stadt, dem Angebot und der vom Gemeinderat angestrebten, massvollen Entwicklung. Im Gegenteil spüre ich vor allzu grossen Planungen eine zunehmende Wachstumsskepsis in der Bevölkerung. Da die Stadt aus demokratiepolitischen Gründen zugegebenermassen eine lange Planungszeit bis zur Umsetzung braucht, war ich bisher immer der Meinung, dass wir verschiedene Projekte parallel planen müssen, damit man irgendwann zur Umsetzung gelangt. Nacheinander würde alles noch viel länger dauern. Die parallele Planung weckt angesichts hoher geplanter Infrastrukturkosten aber auch Befürchtungen beim Steuerfuss.

Schauen wir uns doch die einzelnen Projekte etwas genauer an. Wo stehen wir aktuell beim Umbau des Bahnhofs?
Bei diesem Projekt stehen alle Ampeln auf Grün. Die Planung ist abgeschlossen und wir sind seit rund neun Monaten im Bewilligungsverfahren. Daran hat sich auch eine Stadt zu halten. Der Bahnhofplatz Süd wird dem Stadtrat im August als Überbauungsordnung zur Genehmigung vorgelegt und der eigentliche Bahnhofsumbau wird vom Bundesamt für Verkehr die Bewilligung voraussichtlich in diesem Herbst erhalten. Alle Einsprachen und Landerwerbe sind mittlerweile bereinigt. Wir wollen im Januar 2023 mit der Realisierung beginnen.

Ein weiteres «Donnergrollen» über der Stadt hat der SC Langenthal mit seinem Rückzug aus den Planungsaktivitäten beim Bau einer neuen Eissportarena ausgelöst. Auch hier wird ein zu zaghaftes Vorgehen seitens Politik und Verwaltung als Grund genannt.
Der Gemeinderat hat die Medienmitteilung der SC Langenthal AG erstaunt zur Kenntnis genommen. Er wird im August eine Delegation des Verwaltungsrats und der Hauptaktionäre der SCL AG zum Gespräch empfangen und sich erst danach wieder öffentlich dazu äussern.

Und was passiert nun mit der «Alten Mühle»?
Ja, hier müssen wir uns wirklich ganz genau überlegen, wie es weitergehen soll. Der Gemeinderat wird sich eine neue Strategie zurechtlegen müssen. Nach dem jüngsten Entscheid des Stadtrates werden wir uns hier aber sicher nicht auf Biegen und Brechen hinter ein neues Projekt machen – der Stadtrat hat uns ganz klar eine Denkpause verordnet.

Jetzt haben wir lediglich über die bekannten Projekte gesprochen, die aktuell stocken. Auf die Stadt warten aber noch andere Herausforderungen, beispielsweise die Sanierung der Badi, die vor fast 30 Jahren zum letzten Mal erneuert wurde. Weil im Rahmen des Agglomerationsprogrammes Langenthal Bundesgelder zur Verfügung stehen, müssen auch diverse Strassenabschnitte innerhalb einer zeitlich festgesetzten Frist saniert werden, ansonsten gehen diese Gelder verloren. Fast schon eine Herkulesaufgabe für die Stadt?
Wie erwähnt kann die Langenthaler Politik auf eine leistungsstarke Verwaltung bauen. Die Teilnahme an den Agglomerationsprogrammen des Bundes sind natürlich eine Herausforderung, aber auch eine grosse Chance für Langenthal und die Region. Sie bringen namhafte kantonale und nationale Beiträge aus den jeweiligen Fonds für bedeutende Infrastrukturprojekte mit. Beim ESP Bahnhof werden von den 70 Millionen Franken rund 40 Millionen daraus bezahlt. Daneben planen wir für 12 Millionen Franken neue Kindergärten. Wir renovieren die Tagesschule, die Musikschule und die Bibliothek. Das ist eher ein Klotzen als ein Stocken. Daher mussten wir aber andere Investitionen in die Markthalle zum Beispiel oder ins Schwimmbad im Investitionsplan auf später verschieben. Das ist transparent ausgewiesen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Gerade beim Schwimmbad hat eine Analyse gezeigt, dass sich die Situation noch nicht so dramatisch präsentiert. Es ist dem Gemeinderat bewusst, dass es anhaltende Investitionen in die Infrastruktur braucht. Daher setzt er sich beispielsweise für eine moderate Erhöhung des Steuerfusses ein.

Kehren wir zurück zum «Sommergewitter», das der Stadtrat mit seinem Entscheid an seiner letzten Sitzung ausgelöst hat. Es war nicht das erste Mal in den letzten Jahren, dass sich der Stadtrat unzufrieden gezeigt hat mit dem Vorgehen des Gemeinderates. Das Verhältnis zwischen den beiden Gremien ist angespannt. Warum?
Es liegt meines Erachtens in der Natur der Institutionen, dass sich Regierung und Parlament nicht immer einig sind. Das ist durchaus legitim. Ich stelle aber auch fest, dass das früher gelebte Vertrauen in eine Regierung von Seiten des Volkes und des Parlaments heute nicht mehr unabdingbar vorhanden ist. Die Stadtverwaltung und die Behörden müssen immer umfangreicher begründen, weshalb man zu den getroffenen Schlüssen kam. Ausserdem haben im Langenthaler Parlament auf Grund der momentanen Zusammensetzung juristische Grundsatzdebatten an Bedeutung ge-won-
-nen. Der Gemeinderat ist aber sehr interessiert und bestrebt, ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis in und zwischen den Institutionen hochzuhalten und die erhöhten Ansprüche des Parlaments auch in Zukunft zu befriedigen.

Wie können solche «Eklats» künftig verhindert werden wie zuletzt mit der Ablehnung der Entwicklungsstrategie «Alte Mühle» durch den Stadtrat? Müssten allenfalls die politischen Prozesse angepasst und bei den Vorarbeiten zu Grossprojekten der Stadtrat anders, besser einbezogen werden?
Grundsätzlich würde ich eine, zuweilen hart geführte, politische Diskussion im Stadtrat nicht als «Eklat» bezeichnen. Der Stadtrat hat die Erarbeitung einer Verkaufsstrategie zur «Alten Mühle» abgelehnt. Nicht mehr und nicht weniger. Die Kirche bleibt trotzdem im Dorf. Gemeinderat und Stadtrat haben auch schon nicht ständige Kommissionen eingesetzt, um Themen zu bearbeiten, wobei die Resultate zuweilen dann nicht tragfähiger waren. Das Wahl- und Abstimmungsreglement ist beispielsweise auf Grund einer Beschwerde immer noch beim Verwaltungsgericht hängig. Wie wir den Stadtrat und das Volk noch besser informieren und in die Entwicklung und Verantwortung einbinden können, ist eine Frage, die wir uns in den letzten Jahren natürlich vermehrt stellten. Wir haben mit der neuen Homepage sowie Online-Umfragen in den letzten Monaten bereits daran gearbeitet, sind aber noch lange nicht am Schluss der Möglichkeiten angelangt. Ein Umbau oder gar eine Schwächung des Gemeinderates durch andere, politische Prozesse sehe ich aber nicht als Lösung.

Bislang haben wir ausschliesslich über Probleme gesprochen, mit denen man sich in Langenthal aktuell herumschlägt. Gibt es auch noch Lichtblicke in ihrer politischen Tätigkeit?
Die Geschäfte, die es an die Öffentlichkeit schaffen, sind natürlich nur die Spitze des Eisberges unserer Tätigkeiten. Und wenn ab und an eines abgelehnt wird, gehört dies zur Demokratie. Eine Vielzahl der Gemeinderatsgeschäfte erfahren im Verlaufe ihrer Erarbeitung und letztlich unter Einbezug auch der diversen politischen Aspekte eine grosse und positive Akzeptanz. Diese Art des miteinander Gestaltens, um die Stadt gemeinsam zu (er)leben und zu entwickeln, empfinde ich nach wie vor als sehr grosse Genugtuung in der Politik.

In zwei Jahren sind bereits wieder Gesamterneuerungswahlen in der Stadt. Haben Sie aufgrund der jüngsten Ereignisse die Lust an Ihrem Amt verloren oder machen Sie sich bereits Gedanken über eine dritte Amtszeit?
Die vier letzten Vorgänger waren im Schnitt 16 Jahre im Amt. Ich bin jetzt fünfeinhalb Jahre Stadtpräsident und habe nicht das Gefühl, meine Arbeit sei erledigt. Zudem habe ich keineswegs die Lust am Amt verloren. Dem Stadtrat habe ich letzthin auf den Weg gegeben, ich würde erst abtreten, wenn die Zukunft der «Alten Mühle» nachhaltig geregelt sei. Das kann noch dauern. Aber ernsthaft: Es liegt nicht nur an mir, darüber zu befinden. Letztlich habe ich eine Partei im Rücken, welche massgeblich darüber befindet, wer zu welchem Amt antreten soll und am Ende entscheidet das Volk, ob man das Vertrauen noch erhält.

Sie sind Vollzeit-Stadtpräsident und zugleich dreifacher Familienvater. Ein gewaltiger Spagat. Wie bewältigen Sie diesen, damit Sie Politik, Stadt und Familie gerecht werden?
Ehrlicherweise empfand ich den Spagat als Milizpolitiker noch grösser. Damals war trotz zahlreicher Sitzungen und Termine in der Politik auch noch ein Arbeitgeber zufrieden zu stellen. Heute bin ich Berufspolitiker mit Leib und Seele. Natürlich muss hierbei auch meine Familie mitmachen und Teilabstriche meiner Präsenz in Kauf nehmen. Aber ich nehme für mich nicht in Anspruch, mehr zu arbeiten als beispielsweise eine alleinerziehende, berufstätige Frau. Ausserdem arbeite ich seit jeher gerne und viel.

Die Ferien stehen vor der Türe und damit eine Zeit der Erholung. Wie und wo verschaffen Sie sich diese?
Im Sommer gehen wir jeweils als ganze Familie und mit Freunden zwei Wochen an den Comersee zum Campieren. Das verschafft mir sowohl zu Land als auch auf dem Wasser neue Perspektiven.

Doch danach kehrt der Alltag wieder ein – was steht anschliessend zuoberst auf Ihrer politischen Agenda?
Wie erwähnt stehen verschiedene Gespräche zur Klärung in den diversen Projekten an. Bereits erwähnt habe ich das Gespräch mit der SCL AG, das ich als äusserst wichtig empfinde. Es gibt aber auch weitere Sitzungen und Gespräche in der Planung des Agglomerationsprogramms 3 der sogenannten «Verkehrslösung Langenthal». Wir können uns auf alle Fälle auf einen spannenden politischen Herbst und Winter freuen.