• Die Villa Geiser am Rumiweg in Langenthal erstrahlt in neuem Glanz. · Bild: Walter Ryser

  • Ein Kapitel im neuen Oberaargauer Jahrbuch ist dem ehemaligen Langenthaler Stadtoriginal Jörg Fankhauser und seinem Tretauto gewidmet.

11.11.2019
Oberaargau

Rote Geschichten aus dem Oberaargau

Das 62. Jahrbuch des Oberaargaus präsentiert sich zwar unscheinbar und ganz grau, die Geschichten, die darin enthalten sind, dagegen sind farbig, vorwiegend rot gefärbt. Zum einen jene über die sanierte Villa Geiser in Langenthal, die wieder in kräftigem Rot erstrahlt, und zum andern diejenige über Jörg Fankhauser, der über Jahre hinweg mit seinem roten Tretautomobil das Stadtbild von Langenthal prägte.

Aarwangen · Eine stattliche Gästeschar hatte sich im Kornhaus in Aarwangen eingefunden, um der Präsentation des 62. Oberaargauer Jahrbuchs beizuwohnen. Dieses kommt für einmal etwas spezieller daher, kann entweder im gewohnten Format oder als Spezial-Ausgabe mit roten Plastik-Tragegriffen bezogen werden. Die Idee dazu lieferte der Aarwanger Künstler Kurt Baumann, dem im Buch ein Kapitel gewidmet ist, das sich mit seinen unzähligen beeindruckenden Tragegriff-Kunstobjekten befasst. Der ehemalige Werklehrer im Schulzentrum Kreuzfeld in Langenthal wurde dereinst für sein künstlerisches Schaffen in den Ferien auf Elba inspiriert, als er am Strand diverse verbogene und verkrümmte Plastik-Tragetaschengriffe entdeckte.
«Beim spielerischen und endlosen Experimentieren merkte ich, dass ich da ein Material gefunden hatte, das mich packte und in den Bann zog», erzählt er im Jahrbuch. Baumann begann die Tragetaschengriffe zu drehen, wenden, falten, zersägen, verbinden und zu verformen. Entstanden sind daraus Kunstobjekte (Pyramiden, Kugeln, Säulen, Kreise, Vieleckformen und viele mehr), die den Betrachter in Staunen versetzen.

Villa Geiser erhält ihre Würde zurück
Staunen tun in diesen Tagen viele Spaziergänger in Langenthal auch, wenn sie durch das Wohnquartier am Rumiweg schlendern. Inmitten der Überbauung Blumenau steht sie da und erstrahlt in neuem Glanz, die Villa Geiser, das stattliche Herrschaftshaus, das über Jahrzehnte zu den bedeutendsten Wohnbauten in Langenthal zählte. Bauherr der 1925 errichteten Villa Geiser war Friedrich Gottlieb Max Geiser, seit 1916 Mitinhaber der Eisenhandlung Geiser & Co. in der Marktgasse (später Geco Langenthal AG).
Als er 1920 Bertha Egger, eine Cousine zweiten Grades von Hector Egger heiratete, wohnte das junge Paar zunächst im «Löwenstock» am oberen Ende der Marktgasse. Mit dem Aufkommen der ersten Automobile wurde es dem Paar im Dorf bald zu lärmig. Auf der Suche nach einem ruhigeren Wohnsitz wurde Max Geiser in der zentrumsnahen Rumimatte fündig. Architekt Max Egger entwarf einen grosszügig konzipierten, rot gefassten Putzbau im Stil eines Landhauses. Nach dem frühen Tod ihres Mannes lebte Bertha Geiser bis ins hohe Alter alleine in der Villa.
1988 kam das Gebäude in den Besitz ihres Sohnes, der es samt dem dazugehörenden Bauland verkaufte. 1995 entschied das Langenthaler Stimmvolk knapp, dass die drei Villen in der Rumimatte nicht abgebrochen werden dürfen. Dagegen wurde die Überbauung des Parks an bester Wohnlage beschlossen. In einer ersten Bauphase entstanden ab 2004 im südlichen und östlichen Bereich des Parks erste Wohneinheiten, die nun mit der abschliessenden Überbauung Blumenau komplettiert wurden. Die Auflage einer öffentlichen Nutzung des Erdgeschosses der Villa Geiser machte man 2009 wieder rückgängig.
Der Bau war mittlerweile in schlechtem Zustand, seine künftige Nutzung unklar. Mit dem Verkauf des Grundstücks West und der Villa Geiser an eine Langenthaler Investorenfirma nahm die Geschichte 2012 eine glückliche Wende. Die neue Eigentümerin plante die Sicherstellung, Instandstellung und Restaurierung der Villa mit dem Ziel, die grosszügigen Räume wieder für gehobenes Wohnen nutzbar zu machen.
Durch die Restaurierung hat die wieder im kräftigen Rot erstrahlende Villa ihre ursprüngliche Würde zurückerhalten. Sie ist zum Kauf ausgeschrieben, der Kaufpreis bewegt sich zwischen 2,7 und 3,2 Millionen Franken. Erste Interessenten haben sich gemeldet.

Der Mann mit dem roten Tretauto
Wie die Villa Geiser so war auch Jörg Fankhauser so etwas wie ein Langenthaler «Wahrzeichen». Der Mann, der sich viele Jahre mit seinem unverkennbaren roten Tretauto durch Langen-thals Strassen bewegte, war stadtbekannt. Ein Kapitel im Jahrbuch (Autor Beat Hugi) widmet sich dem liebenswürdigen Langenthaler «Unikum» mit seinem roten Tretauto voller Kleber und mit einem grossen Mercedes-Stern auf der Kühlerhaube. Jörg hatte die Erlaubnis von höchster Ebene erhalten, mit seinem Auto durch Langen-thals Strassen fahren zu dürfen. «Die Idee, Jörg Fankhauser einige schöne Stunden zu bescheren, wurde zum ersten Mal auf einer Reise der Polizeikommission formuliert. Und sie fiel auf fruchtbaren Boden. Jörg wurde offiziell aufgeboten, sein Fahrzeug zu prüfen», schrieb Ruedi Bärtschi, damaliger Redaktor der Berner Zeitung, 1995.
Der Chef der Motorfahrzeugkontrolle in Bützberg nahm nicht nur das bald 30-jährige Tretauto unter die Lupe, sondern auch die Fahrkünste des damals bereits 61 Jahre alten Chauffeurs. Jörg Fankhauser trug seit diesem denkwürdigen Moment offiziell eine alte Dienstmarke der Langenthaler Gemeindepolizei auf sich und sein Tretauto trug die Nummer 113. Der Start ins Leben allerdings war für Jörg Fankhauser weit weniger amüsant. Ein chirurgischer Fehlgriff verletzte bei der Geburt sein Hirn. Die Ärzte gaben dem Buben bloss 20 Lebensjahre. Der Dorfpfarrer riet seiner Mutter gleich nach der Geburt, ihn, den Erstgeborenen, unverzüglich in die Obhut eines Heims zu geben. Sie werde das, was da auf sie zukomme, nie und nimmer «prästieren», prophezeite er ihr. Es gab Frauen aus der Nachbarschaft, die kamen einzig «z Visite», um das «wüeschte» Kind zu sehen, erzählte die Mutter Jahre später einmal ihrer Tochter Corina, die bei der Jahrbuchpräsentation anwesend war und von ihren Erinnerungen an Bruder Jörg erzählte. Aber, was auch immer passierte, die Leute auch dachten oder sagten, Fankhausers nahmen Jörg als Glück und Teil der Familie an.
Jörg Fankhauser lebte nach dem frühen Tod des Vaters bei seiner Mutter Clara, zuerst in der Marktgasse, ab 1991 in einer Wohnung der Stiftung Lindenhof in Langenthal, nach Claras Tod im Milleniumsjahr bald einmal in einem eigenen Appartement im zweiten Stock des Heimgebäudes.
Hier verstarb Jörg Fankhauser am 9. April 2019 im 85. Lebensjahr. Sein rotes Tretauto lebt dagegen weiter, als Ausstellungsstück im Dorfmuseum von Langenthal.

Vereinigung: Wechsel im Vorstand
Die Jahrbuch-Vereinigung blickte an ihrer Vereinsversammlung auf ein erfolgreiches Jahr zurück. Finanziell konnte das Jahrbuch 2017/18 mit einem Überschuss von 7975 Franken abgeschlossen werden. Damit erhöhte sich das Eigenkapital auf 87 356 Franken. Auch das Budget für das Jahr 2019/20 sieht einen kleinen Gewinn von 4300 Franken vor. Neben einigen Anpassungen und Änderungen der Statuten standen vor allem Wechsel im Vorstand der Jahrbuch-Vereinigung im Mittelpunkt der Versammlung. Für den scheidenden Kassier Philipp Richner (Aarwangen) konnte noch kein Nachfolger gefunden werden. Ebenfalls verlassen haben den Vorstand die langjährigen Mitglieder Andreas Greub (Lotzwil), Christine Röthlisberger (Thunstetten) und Martin Sommer (Oberönz). Dafür nimmt neu Madeleine Hadorn (Langenthal) Einsitz im Gremium.

Von Walter Ryser