• Die Beteiligung an der Gemeindeversammlung in Auswil war aussergewöhnlich hoch. · Bild: Marion Heiniger

13.06.2023
Oberaargau

Rücktritt des ganzen Gemeinderates gefordert

Die Beteiligung an der Gemeindeversammlung in Auswil war aussergewöhnlich hoch. Rund 25 Prozent der Stimmberechtigten fanden sich im Versammlungslokal ein. Dies nicht etwa wegen der positiv abschliessenden Jahresrechnung oder aufgrund der geplanten Überarbeitung des Generellen Entwässerungsplanes, sondern vielmehr im Hinblick auf die Mitteilung des Gemeinderates, dass die gesamte Verwaltung gekündigt habe. Die Versammlung forderte den freiwilligen Rücktritt des Gemeinderates.

Auswil · Ein Flugblatt und eine Mitteilung auf der Webseite der Gemeinde Auswil war wohl Grund der aussergewöhnlich hohen Beteiligung an der vergangenen Gemeindeversammlung. 88 Per­sonen nahmen daran teil, was knapp 25 Prozent aller Stimmberechtigten (353) in Auswil entspricht. Infolge Kündigung des Verwaltungspersonals habe der Gemeinderat die Reorganisation der Verwaltung an die Hand genommen, ist auf der Webseite der Gemeinde zu lesen.
Was war passiert, dass gleich alle drei Verwaltungsangestellten gleichzeitig gekündigt haben? Und weshalb hat auch Gemeinderat Ulrich Zürcher per sofort demissioniert? Fragen, die an diesem Abend jedoch nicht beantwortet wurden. Gemeindepräsidentin Regula Farner Rachdi berief sich mehrmals auf die Schweigepflicht und auf den Persönlichkeitsrechtsschutz. «Die Nachfolgeregelung ist schon auf gutem Wege, bereits drei Bewerbungen sind eingetroffen, die Gespräche finden nächste Woche statt», versuchte sie gleich zu Beginn die deutlich spürbare Missstimmung einzudämmen.

Freiwilliger Rücktritt gefordert
Ein Votant übernahm gleich das erste Wort. «Bisher hat in Auswil über Jahrzehnte immer alles sehr gut funktioniert, in den letzten Jahren hat sich aber Nebel über das Dorf gezogen.» Die langjährige Gemeindeschreiberin Elisabeth Kuch habe nach 32 Jahren Ende September 2019 gekündigt und nun habe sogar die gesamte Verwaltung gekündigt. Das Herz in Auswil schlage nun nicht mehr, lediglich der Nerv zucke noch ein wenig, erklärte der Votant weiter, der im Namen von mehreren Personen sprach. Das, was passiert sei, sei in jeder Hinsicht inakzeptabel. Das käme von einer gewissen Inkompetenz, von Verschleierung, von Eigenmächtigkeit und Rechthaberei. Die Gemeindepräsidentin habe nicht geführt, der Gemeinderat habe die Möglichkeit zu rügen und zu melden nicht genutzt. Das Ganze werde nun viel Geld kosten, was dazu führen könne, dass die Steuern erhöht werden müssten. Weiter erklärte der Votant, dass er mit dem Regierungsstatthalter gesprochen ha­be und man werde nun eine aufsichtsrechtliche Beschwerde und ein Disziplinarverfahren einleiten. Er schloss sein Votum mit den Worten: «Wir machen keine Bitte, wir machen auch keinen Vorschlag, sondern wir machen eine Forderung, nämlich den sofortigen freiwilligen Rücktritt des gesamten Gemeinderates.» Sein Statement wurde mit grossem Applaus quittiert.
Der Vorwurf eines weiteren Votanten lautete ähnlich: «Es stimmt doch etwas nicht, wenn nach der Kündigung der langjährigen Gemeindeschreiberin in­nerhalb weniger Jahre die ganze Verwaltung kündigt. Der Gemeinderat ist nicht fähig, mit den Leuten kooperativ zu arbeiten und hat seinen Job nicht ordentlich gemacht.» Zahlreiche weitere Voten folgten im vergleichbaren Kontext. Den Vorwurf, den Job nicht richtig gemacht zu haben, liess die Gemeindepräsidentin nicht auf sich sitzen und entgegnete, dass der Gemeinderat sehr wohl seinen Job gemacht habe, denn seither sei die Gemeinde nicht mehr in den roten Zahlen. Sie sei Gemeindepräsidentin geworden, weil sich sonst niemand gemeldet habe, es hätte sich ja jemand anderes dafür melden können. Weiter sagte sie: «Ihr müsst nicht meinen, ich denke mir nichts dabei, ihr müsst nicht meinen, es interessiere mich nicht. Aber heute Abend werde ich nicht zurücktreten. Ihr könnt eine Initiative starten, wenn ihr der Meinung seid, dass der Gemeinderat zurücktreten sollte.» Zu Wort meldete sich auch Vizegemeindepräsident Christian Lanz. Er sei überzeugt, dass der Gemeinderat fähig sei, die Gemeinde weiterhin gut zu führen und die Legislatur zu Ende zu bringen. Er empfinde die Diskussionen als ein sinnloses Machtspiel und sei überrascht, was für ein falsches Spiel hier nun geführt und die Gemeindepräsidentin angegriffen werde. Die Akzeptanz gegenüber dem Anderssein sei nicht da, schloss er.

Positiver Rechnungsabschluss
Zu keiner Diskussion hingegen führte die zu Anfang der Gemeindeversammlung vorgestellte Jahresrechnung 2022. Sie schliesst im Gesamthaushalt mit einem Ertragsüberschuss von 181 046 Franken ab. Was eine Besserstellung gegenüber dem Budget von 285 905 Franken bedeutet. Zu diesem positiven Resultat führten unter anderem ein durchwegs tieferer Betriebs- und Sachaufwand sowie die Wertberichtigung des sanierten Lehrerhauses, die aufgrund der amtlichen Neubewertung vorgenommen wurde. Ebenfalls positiv schliessen die Spezialfinan­zierungen Wasserversorgung (+2605 Franken) und Abwasserentsorgung (+505 Franken) ab. Einen Aufwandüberschuss von 6334 Franken hat der Bereich Abfall zu verzeichnen. Von den budgetierten 212 000 Franken für Nettoinvestitionen wurden im vergangenen Jahr lediglich 29 156 Franken gebraucht, da mehrere Arbeiten noch nicht ausgeführt werden konnten.
Ohne viel Aufhebens und nur mit wenig Diskussionsbedarf wurde der Verpflichtungskredit zur Überarbeitung des Generellen Entwässerungsplanes (GEP) grossmehrheitlich von der Versammlung angenommen. Aufgrund des Alters des GEP und neuen vorhandenen Daten sei die Überarbeitung sinnvoll, teilte die Gemeinde in ihrer Botschaft mit. Er diene als modernes und nachhaltiges Führungsinstrument im Bereich der Siedlungsentwässerung. Beantragt wurde der Versammlung ein Verpflichtungskredit von 97 000 Franken. Die Subventionen durch den Kanton Bern könne erst nach der Genehmigung des Verpflichtungskredites und der Einreichung des Beitragsgesuches zugesichert werden. Die Gemeinde rechnet dabei mit etwa 30 Prozent.
Ein Antrag aus der Versammlung, das Geschäft aufgrund der personellen Situation auf der Verwaltung um zwei bis drei Jahre zurückzustellen, wurde abgelehnt. Ebenso abgelehnt wurde der Antrag der Gemeindepräsidentin, die Abstimmung aufgrund des hohen Betrages geheim durchzuführen.

Von Marion Heiniger